Gjirokastras Dachlandschaft: In den Sichtachsen auf die „silberne Stadt“ zeigen sich bereits deutliche Auflösungserscheinungen. (Fotos: Daniel Göler)
Einblicke in das zentrale Basarviertel der Stadt: Hier soll der Tourismus blühen.
Das sogenannte Zekate-Haus (benannt nach der Familie des Besitzers), Beispiel eines typischen zweiflügeligen Wehrhauses.
Terra incognita oder Touristenmagnet?
Das südalbanische Gjirokastra mit seinen etwa 20.000 Einwohnern wäre ohne das Label Welterbe nur wenigen Personen ein Begriff. 2005 wurde die am besten erhaltene osmanische Altstadt außerhalb der Türkei in die Welterbeliste aufgenommen und erfreut sich seitdem einer zunehmenden Zahl an Touristen.
Nun war und ist Albanien nach über vierzig Jahren einer besonders rigiden Interpretation von Kommunismus und sozialistischer Diktatur mit extremen Effekten der Systemtransformation konfrontiert. Emigration und brain drain verschärfen die Probleme. Ein ausgeprägtes Bewusstsein gegenüber kulturellen Werten zu entwickeln, ist in diesem Kontext genauso schwierig wie die Durchsetzung eines wirksamen Welterbemanagements.
Das um 1200 von Byzantinern gegründete Argyrokastron gehörte ab dem frühen 15. Jahrhundert für vier Jahrhunderte zum Osmanischen Reich. Der Großteil des Gebäudebestandes der Altstadt stammt aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Die Kulla, viereckige Wohntürme mit Wehrcharakter, dazu die zahlreichen, ebenso wehrhaften palastartigen Bürgerhäuser sowie ein kleiner Basar und einige Sakralbauten formen im Schatten einer mächtigen Burganlage eine imposantes Ensemble.
Eindrucksvolle Dachlandschaft mit morschem Kern
Der vergleichsweise gute Erhaltungszustand zu Beginn der Transformationsepoche um 1990 hängt mit Zufälligkeiten zusammen. Gjirokastra, die Geburtsstadt des langjährigen Alleinherrschers Enver Hoxha, wurde bereits 1961 zur Museumsstadt erklärt. Aufgrund dieses Privilegs wurde sozialistische Urbanität nicht in, sondern neben der bestehenden Altstadt realisiert. Zum 162,5 Hektar großen Welterbegebiet – Bamberg hat zum Vergleich 142 Hektar – gehört eine eindrucksvolle Dachlandschaft, in der allerdings deutliche Auflösungserscheinungen erkennbar sind. Die steingedeckten Dächer werden von filigranen Holzkonstruktionen getragen, die in den feuchten Herbst- und Wintermonaten schnell morsch werden. Bei einer Auflast von fast 300 Kilogramm je Quadratmeter bahnen sich die Dächer dann, der Schwerkraft folgend, alsbald ihren Weg durch das Gebäude, was im Regelfall zum Totalverlust führt. Bei zahlreichen Leerständen, die der massiven Abwanderung geschuldet sind, geschah das zuletzt recht häufig.
Das Leben in Gjirokastras Altstadt ist oft gleichbedeutend mit dem Verzicht auf ein zentrales Heizungssystem, Warmwasserversorgung und Kanalisation. Stromausfälle stellen regelmäßig eine Herausforderung dar. Steile Anstiege und schmale Gassen mit rutschiger Pflasterung versprühen Romantik, bedeuten für die alternde Bewohnerschaft jedoch einen erheblichen Diskomfort.
Zukunft des Welterbes gefährdet?
Befragungen im November und Dezember 2012 zeigen, dass im Welterbegebiet ein Drittel der Bewohner mit der Infrastruktur hadert; jeder Fünfte ist mit dem Leben im historischen Gebäude unzufrieden. Vielfach entspricht also weder Wohnung noch Wohnumfeld den Vorstellungen der verbliebenen Bewohner – viele haben bereits die Altstadt in Richtung Neustadt, nach Tirana oder ins benachbarte Ausland verlassen.
Jene, die dort wohnen bleiben, passen das Welterbe ihren Bedürfnissen an: An Dreivierteln der bewohnten Häuser im osmanischen Bestand wurden individuelle An- und Umbaumaßnahmen sowie wenig denkmalgerechte Ausbesserungsarbeiten an den Dächern durchgeführt. Vor diesem Hintergrund muss der momentan einsetzenden Remigration ambivalent entgegengesehen werden. Mit den Rückkehrern käme einerseits dringend benötigtes Kapital nach Gjirokastra, andererseits ergibt sich dadurch mehr Spielraum für ‚Renovierung‘ und Modernisierung. Auch die Stellung der talwärts gelegenen Neustadt, wo unzählige Apartmentblocks aus dem Boden geschossen sind, ist mit Blick auf das Welterbe differenziert zu bewerten. So nimmt die Bipolarität Gjirokastras zweifelsohne den Nutzungsdruck aus der Altstadt. Sie schafft aber eine neue Konkurrenzsituation um die begrenzten Ressourcen.
Unter dem derzeitigen Status quo erscheint die Zukunft des Welterbes gefährdet. Trotz des eklatanten Modernisierungsstaus im Bestand, gepaart mit den während der Transformationsepoche verständlicherweise gestiegenen Ansprüchen der Bewohner ist der Vorwurf der Ignoranz gegenüber überkommenen Kulturgütern nicht angebracht; zu präsent sind auch in Bamberg noch Fehltritte aus vergangenen Jahrzehnten. Optimistisch stimmen könnte, dass 85 Prozent der Bewohner des Welterbegebiets dem Welterbestatus positiv gegenüberstehen, ist dies für die überwältigende Mehrheit doch gleichbedeutend mit touristischer Inwertsetzung und einer entsprechenden Wertschöpfung. Allerdings beschreiben viele Bewohner die Funktion der UNESCO recht vage. Zumeist wird sie als „Organisation, die Dächer in Gjirokastra repariert“ interpretiert, was zweifelsohne nicht dem Aufgabenbereich der UNESCO entspricht.
Tourismus als Perspektive?
Die global anerkannte Marke UNESCO Welterbe bietet dem peripheren Gjirokastra durchaus eine ökonomische Perspektive, schließlich kann Albaniens internationaler Tourismus jährliche Steigerungsraten von rund 30 Prozent vorweisen. Reisegruppen besuchen Gjirokastra allerdings oft nur für Tagesausflüge ohne Übernachtung; ähnliches gilt für Rucksacktouristen, die zudem eher zum Low-Budget-Bereich gehören. Der auf sun-and-beach-Destinationen fixierte Binnentourismus geht an Gjirokastra vorbei. Zahlungskräftige Individual- und Familienreisende, die im Welterbe-Tourismus üblicherweise für Wertschöpfung sorgen, bilden in Gjirokastra die Ausnahme.
Es liegt also noch erhebliches Steigerungspotential in dem Ansatz, mittels Tourismus Kapital aus dem Kulturerbe schlagen zu können. Auch wenn der Fremdenverkehr bereits einen kleinteiligen, spezialisierten Einzelhandel im historischen Basarviertel hervorgebracht hat, lassen sich große Gewinner noch nicht ausmachen. Nach eigenen Angaben profitieren nur 4,5 Prozent der Bewohner im historischen Stadtgebiet direkt vom Tourismus.
Verbindungen von Bamberg nach Albanien
Es ist vor allem diese Diskrepanz zwischen dem Anspruch, Tourismus als Entwicklungsperspektive nutzen zu wollen, und dem Umgang mit der schwindenden ‚Ressource‘ Kulturgut, die den Beobachter nachdenklich stimmt. Die physischen Bedrohungen durch Leerstand, Gebäuderuinen sowie informelle Bautätigkeiten im Welterbegebiet hängen mit dem steinigen Weg der Systemtransformation und ihren politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Implikationen zusammen. Noch mehr gilt das für Staatlichkeit und Governance: Letztlich fehlen nach wie vor die grundlegenden operationellen Strukturen für ein funktionsfähiges und akzeptiertes Welterbemanagement. Alle wahrnehmbaren Ansätze dafür entspringen momentan dem Engagement internationaler Nicht-Regierungsorganisationen.
Die Bamberger Welterbekompetenz kann hier auf wissenschaftlicher und interkommunaler Ebene Hilfestellungen leisten. Der Aufbau eines Studienganges für Stadtentwicklung und Kulturgutsicherung oder partnerstädtische Beziehungen zwischen den beiden traditionsreichen mittelstädtischen Regionalzentren wären Ansatzpunkte, die zu einer weiteren Verstetigung der über zwanzigjährigen akademischen Beziehungen zwischen Bamberg und Albanien beitragen können.
Hinweis
Der Artikel von Prof. Dr. Daniel Göler, Inhaber der Professur für geographische Migrations- und Transformationsforschung, und Dipl.-Geogr. Matthias Bickert, Stipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung an der Professur für geographische Migrations- und Transformationsforschung, ist dem aktuellen Universitätsmagazin uni.vers Bücher • Bilder • Bauwerke – Bamberger Wissenschaftler über die Vielfalt des Welterbes entnommen.
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