Georgiana BanitaBenjamin Herges/Universität Bamberg

Amerikanistin Georgiana Banita erforscht unter anderem Migration und Polizeikultur.

- Patricia Achter

Proteste gegen Rassismus – auch in Deutschland

Im Interview wirft Amerikanistin Georgiana Banita einen kulturwissenschaftlichen Blick auf die Proteste.

Migration, Polizeikultur und Innere Sicherheit gehören zu den Forschungsschwerpunkten der Amerikanistin Dr. Georgiana Banita Im Interview spricht die wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Bamberg darüber, welche Hintergründe die Proteste gegen Rassismus in den USA und in Deutschland haben. Und sie erklärt, wie Deutsche im Alltag ein mitmenschliches Zeichen setzen können.

Wie oft gibt es Diskussionen um Polizeigewalt und Rassismus in den USA?

Georgiana Banita: Alle paar Jahre entflammt in den USA die Debatte um Polizeigewalt und Rassismus. Jedes Mal erfassen die Proteste das ganze Land. An den Missständen und der Diskriminierung gegen afroamerikanische Bürger ändert sich trotzdem nichts. Beide Präsidenten der letzten Dekade hatten mit Polizeikrisen zu kämpfen. Zuletzt im Mai unter Trump: George Floyd, ein Afroamerikaner Mitte 40, wird in Minneapolis festgenommen und stirbt, weil ein Beamter ihm das Knie minutenlang auf den Hals drückt. Schon 2014 unter Obama hat Eric Garner, ebenfalls ein Afroamerikaner Mitte 40, um sein Leben gefleht mit den Worten: „Ich kann nicht atmen“. Garners tragischer Tod führte zur Gründung der Bürgerrechtsbewegung Black Lives Matter. Doch in den letzten sechs Jahren scheint die amerikanische Gesellschaft wenig gelernt zu haben. Auch dieses Jahr sind Menschen in Minneapolis und anderen Städten mit dem Slogan „Ich kann nicht atmen” auf die Straße gegangen.

Diesmal scheinen die Proteste größere Dimensionen anzunehmen als 2014 …

Aufgrund der ohnehin destabilisierenden Polarisierung der amerikanischen Politik spitzt sich der Konflikt um rassistische Vorurteile und Diskriminierung noch weiter zu. Verantwortung, Vernunft und Augenmaß bleiben dabei häufig auf der Strecke. Black Lives Matter-Aktivisten fordern immer drastischere Lösungen, etwa die Abschaffung der Polizei oder die Einrichtung autonomer, polizeifreier Gebiete. Trump dagegen plädiert für Ordnung, Sicherheit und geltendes Recht in einem vermeintlich anti-kriminellen Polizeistaat. Realisierbar sind diese extremen Forderungen auf beiden Seiten nicht. Stattdessen sind belastbare Allianzen gefragt zwischen politischen Lagern, zwischen Demokraten und Republikanern wie zwischen unterschiedlichen ethnischen Gruppen, um strukturelle Diskriminierung durch konkrete Reformen nachhaltig abzubauen. Mit Donald Trump wurde jede Annäherung jedoch um Jahre zurückgeworfen.

Wie präsent ist Rassismus in Deutschland?

Auch hierzulande gibt es ein Rassismus-Problem, von dem insbesondere Afrodeutsche, aber auch Menschen mit Migrationshintergrund und anderer Ethnien betroffen sind. Wir dürfen nicht vergessen, dass deutsche Flüchtlingsunterkünfte unlängst in Brand gesetzt worden sind. Noch im Februar dieses Jahres hat ein rechtextremistischer Terrorist in Hanau neun Menschen mit Migrationshintergrund erschossen, darunter Personen mit afghanischer und türkischer Staatsbürgerschaft, denen offensichtlich das äußere Erscheinungsbild zum Verhängnis wurde.

In beiden Fällen gab es keine großen Protestbewegungen. Übersehen wir Rassismus in Deutschland?

Deutschland wird nicht deutlich genug als Einwanderungsland definiert und wahrgenommen. So wird Rassismus tendenziell anderen Nationen zugeschrieben, die von Sklaverei und Kolonialismus geprägt wurden. Im Alltag und in der Ausbildung ist die Bekämpfung von Rassismus eher Nebensache und wird sogar häufig als Gutmenschentum oder Political Correctness Studies abgetan. Mit der Judenverfolgung und -ermordung im 20. Jahrhundert, an deren Aufarbeitung sich die deutsche Gesellschaft intensiv beteiligt, wird der heutige Rassismus zu wenig in Verbindung gebracht. Manche Konstanten sind am besten im historischen Verlauf erkennbar.

Wie weit geht Rassismus?

Von klein auf werden wir darauf konditioniert, körperliche Merkmale, Religion, Herkunft oder Sprache mit negativen Eigenschaften zu besetzen. Es ist wichtig, sich dieser Konditionierung bewusst zu werden. Rassismus fängt an, wenn man sich dieser Gewissensprüfung entziehen will, wenn man sich frei von Vorurteilen wähnt oder Antidiskriminierungsgesetze bewusst missachtet. Im Alltag äußert sich Rassismus oft auf subtile Weise: Zum Beispiel meidet man nichtdeutsche oder fremdaussehende Mitmenschen oder blickt herablassend auf sie. Im Extremfall reicht Rassismus bis hin zu Verbrechen wie Mord oder gar Massenmord, die heute in Hanau ähnlich motiviert sind wie im 19. Jahrhundert in den amerikanischen Südstaaten. In subtiler oder eklatanter Form, als Alltagsrassismus oder Gewalt, richtet sich der Rassismus gegen die ganze Gesellschaft. Letztendlich schadet man sich selbst: der Demokratie, dem Frieden und den Menschenrechten.

Welche Ängste liegen dem Rassismus zugrunde?

Ich würde diese Ängste in zwei Kategorien einteilen. Die vermeintlich „Anderen“ – Schwarze, Geflüchtete, Bürger „zweiter Klasse“ wie osteuropäische Wirtschaftsmigranten – sind angeblich schuld an Arbeitslosigkeit oder auch Wohnungsnot. Wie überzeugend diese Behauptung ist, hat das erfolgreiche Brexit-Votum in Großbritannien bewiesen. Zweitens liegt dem Rassismus eine diffuse Angst vor der Zukunft zugrunde. Es ist häufig von der Islamisierung des Abendlandes die Rede, von einer Masseneinwanderung in die Sozialsysteme, von einer Gesellschaft, in der man sich als Deutsche nicht mehr wiederfindet. Zum Teil werden solche Ängste medial und politisch angefeuert. In den USA kommt noch hinzu, dass die schwarze Bevölkerung auf undifferenzierte Weise unter den Generalverdacht der Kriminalität gestellt wird. Es ist fast zum Automatismus geworden, in ein afroamerikanisches Gesicht eine werdende Straftat oder kriminelle Intention hineinzulesen.

Was kann man im Alltag gegen Rassismus tun?

Im Alltag kann man vor allem Verständigung anstreben und sich solidarisch zeigen, wenn man Zeuge einer rassistischen Tat oder Geste wird. Das können unbegründete Polizeikontrollen sein oder Personen, die Geflüchteten zurufen: „Deutschland den Deutschen”. Diskriminierung ist gesetzlich verboten. Sollte ein solcher Fall vorliegen, muss er entsprechend gemeldet und geprüft werden. Man kann sich eine Welt ohne Rassismus vorstellen, das wäre ja schön und wünschenswert. In der Realität reicht es aber vollkommen, wenn Rassisten mit konkreten Konsequenzen für ihre Taten konfrontiert werden.

Was sollte die Politik tun?

Was mir in der deutschen Politik noch fehlt, sind Sätze wie der von Barack Obama nach der Erschießung Trayvon Martins vor acht Jahren: „Wenn ich einen Sohn hätte, würde er wie Trayvon aussehen.“ Nach dem rassistischen Anschlag von Hanau hätten mehr deutsche Politiker auf ähnlich bewegende Weise zu Wort kommen sollen. Langfristig wäre es zielführend, sozioökonomische Ungleichheiten nachzuweisen und zu beseitigen. Denn wir wollen in einer Gesellschaft leben, in der nicht so viele Einwanderer-Familien im gleichen Wohnblock dicht an dicht leben und wegen ihrer Ansteckungsrate mit dem Coronavirus stigmatisiert werden. Viele haben es verdient, aktiver am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, indem sie etwa Ausbildungs- und Arbeitschancen bekommen.

Welche Bedeutung hat es, wenn die Polizei rassistisch motivierte Gewalt anwendet?

Im modernen Staat kommt der Polizei eine wichtige Rolle zu. In erster Linie muss sie dafür sorgen, dass das Menschenrecht auf Sicherheit durchgesetzt wird. Für ethnische Minderheiten ist es besonders schmerzvoll, wenn ausgerechnet die Polizei sie diskriminiert. Denn dadurch wird ihnen dieses Grundrecht auf Sicherheit abgesprochen und ihre Humanität in Frage gestellt. Auch die deutsche Polizei hat Gewalt zu verantworten, vor allem gegen Geflüchtete. 1999 wurde zum Beispiel der sudanesische Flüchtling Amir Ageeb an Bord einer Lufthansa-Maschine von drei Polizisten durch massive Gewalteinwirkung erstickt. Hierzulande ist es genauso wichtig wie in den USA, dass die Würde jedes einzelnen Menschen vom Staat und seinen Behörden geachtet wird.

Vielen Dank für das Interview!