Making Dorf. Die Denkmalpflege und der Umbau der ländlichen Räume, 1950–1995

Das Projekt

Die Geschichte der Denkmalpflege im 20. Jahrhundert ist vor allem mit dem Wiederaufbau der kriegszerstörten Städte und dem Europäischen Denkmalschutzjahr 1975 verbunden. Insbesondere letzteres Ereignis hat in (West-)Deutschland das Bild einer gesetzlich und institutionell etablierten Denkmalpflege geprägt, die zusammen mit lokalen Initiativen der Abrisssanierung in den Städten Einhalt gebieten konnte. Gesetzliche Grundlagen, städtebauliche Schutzinstrumente und Förderprogramme, deren Anfänge in dieser Phase liegen, bestimmen den denkmalpflegerischen Alltag bis heute.

Aber auch Dörfer und Landschaften wurden in den Nachkriegsjahrzehnten im Namen von Flurbereinigung und Dorferneuerung kontinuierlich strukturell verändert. Die Politik für die ländlichen Räume und die daraus resultierenden Entwicklungsprogramme und Planungsinstrumente setzten verstärkt auf die aktive Gestaltung des Strukturwandels und die partizipative Formulierung von Zukunftsvisionen für Dörfer und Regionen. In diesen dynamischen und auf Veränderung und Umbau zielenden Prozessen stellt sich die Frage nach dem Umgang mit dem materiellen wie immateriellen Erbe umso mehr. Zu beobachten ist, dass Traditionsbestände zunehmend zu Gegenständen der Planungen wurden und in die Neugestaltungen einbezogen wurden. Neben gelebten lokalen Tradition und Bräuchen betraf dies auch den Umgang mit baulich-räumlichen Strukturen und (kultur)landschaftlichen Elementen – potentiellen Erbebeständen also, die in den Zuständigkeitsbereich der institutionalisierten Denkmalpflege fallen. Inwieweit wurden dabei, zu einer Zeit, in der in den meisten westdeutschen Bundesländern gerade erst Denkmalschutzgesetze in Kraft getreten waren, auch dezidiert denkmalpflegerische Belange formuliert und die Denkmalpflege eingebunden?

Fragestellung
Die Rolle der institutionalisierten Denkmalpflege bei diesem Umbau der ländlichen Räume ist bislang wenig erforscht; erste Recherchen lassen dennoch folgende Hypothesen zu, die im Rahmen dieser Studie näher untersucht werden: Entgegen einer auf den ersten Blick zu vermutenden, rein auf die Bewahrung ländlicher Strukturen zielenden Aktivität nimmt die Denkmalpflege eine dezidiert gestaltende Rolle ein: Dorf wird „gemacht“. Zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichen landschaftsräumlichen Kontexten werden dazu neue Instrumente der Erfassung und Bewertung entwickelt und positioniert sich die Denkmalpflege im baukulturellen Diskurs. Von Interesse sind schließlich Normen und Werte, auf deren Grundlage die Denkmalpflege operiert und die nicht selten eine Perpetuierung überkommener Wahrnehmungsmuster und einer kulturkritisch aufgeladenen Stadt-Land-Dichotomie (und damit von historischen, hegemonialen Geschmacksdiskursen) zur Folge hatten. Nicht zuletzt ist zu überprüfen, inwieweit auch denkmalpflegerisches Handeln im Kontext der paradigmatischen (Wieder-)Entdeckung des „landschaftsgerechten Bauens“ in den 1970er Jahren zu verstehen ist.

Die Studie nimmt die ländlichen Räume daher als denkmalpflegerisches Handlungsfeld in den Blick und fasst die Transformationsprozesse in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts explizit als „Dorfumbau“. Damit widmet sie sich einem Desiderat der Geschichte der Denkmalpflege, die bislang vor allem in urbanen Kontexten betrachtet wird. Die Hauptfragestellungen sind dabei, in welchen institutionellen und personellen Wirkzusammenhängen Denkmalpflege als Akteurin dieses Dorfumbaus agierte, welchen Begriffen und Bewertungen sie dabei folgte und ob und wenn ja welche instrumentellen Zugriffe sie für die Bearbeitung ländlicher Themen entwickelte. Als weitere Fragen schließen sich an: Welche architektonischen, landschaftlichen und immateriellen Elemente werden als Bestandteile eines vermeintlichen ländlichen, dörflichen Erbes klassifiziert? Wen repräsentiert und was bezeugt dieses ländliche Erbe? Zu fragen ist auch nach Normen und Werten, auf deren Grundlage die Denkmalpflege operierte. Inwieweit perpetuieren und aktualisieren diese überkommene Wahrnehmungsmuster eine kulturkritisch aufgeladenen Stadt-Land-Dichotomie und hegemoniale Geschmacksdiskurse? Welche sozialen und baukulturellen Leitbilder leiteten Akteure der Denkmalpflege daraus ab und implementierten sie in der Baupflege und Gestaltungsberatung?

Vorgehensweise
In Mikrostudien werden diese Aspekte auf Basis denkmalpflegerischer Fallakten für den Zeitraum zwischen 1950 und 1995 vertieft untersucht. Um die Genese von bis heute im bundesrepublikanischen Diskurs fortwirkenden denkmalpflegerischen Paradigmen und Handlungsansätzen nachzuvollziehen, konzentriert sich die Betrachtung auf Westdeutschland und hier insbesondere auf Schleswig-Holstein und Bayern. Akteure und Entwicklungen auf übergeordneter Ebene, etwa welche Auswirkungen das Europäische Denkmalschutzjahr 1975 mit seinen ausschließlich in den Städten verorteten Aktionen auf die Denkmalpflege in ländlichen Räumen hatte, sowie die Arbeit des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz (DNK) in diesem Feld, werden erstmals auf Basis von Archivquellen rekonstruiert. Ein dritter Abschnitt behandelt die Entstehung dörflicher und kulturlandschaftlicher Erfassungs- und Bewertungsinstrumente der Denkmalpflege in den 1970er und 80er Jahren.

Forschungsgeleitete Lehre

Publikationen

  • Johannes Warda: "Regeln ohne Ausnahme. Die Denkmalpflege und die Hegemonie über das Alltägliche", in: Alltägliches Erben, hg. v. Eva von Engelberg-Dočkal/Svenja Hönig/Stephanie Herold, Heidelberg 2023, S. 36–41 (Veröffentlichungen des Arbeitskreises für Theorie und Lehre der Denkmalpflege e.V., Bd. 32) <https://doi.org/10.11588/arthistoricum.1254.c17545>.