
ForMaD 28.10.2025 - Entdecken und Begründen als zentrale Tätigkeiten eines spiralig aufgebauten Mathematikcurriculums
In seinem engagierten Vortrag nimmt Prof. Dr. Michael Meyer von der Universität zu Köln die Zuhörenden mit in die Theorien des Begründens. Die generellen kognitiven Prozesse des Entdeckens und Begründens lassen sich auch unabhängig von mathematisch-inhaltlichen Aspekten betrachten, wie Meyer an einem Detektivbeispiel von Sherlock Holmes erläutert. In Bezugnahme auf Peirce (1903) verweist er auf das der reinen Logik und Rationalität verpflichtete Schließen, für das wenn-dann-Relationen typisch sind. Ausgangspunkt und damit Anlass für logisches Schließen ist ein (überraschendes) Phänomen C. Aus dem (entdeckten/vermuteten) Gesetz “wenn A wahr, dann C”, kann dann geschlossen werden, A als wahr anzunehmen. An Beispielen aus Schulbüchern illustriert er nachfolgend dieses besondere Verhältnis zwischen Fall - Gesetz/Regel - Resultat bei mathematischen Zusammenhängen. Insbesondere arbeitet er für die unterschiedlichen Erkenntnisprozesse der Abduktion, Induktion und Deduktion die je spezifischen Relationen heraus. Meyer adressiert so die Logik des Entdeckens als Prozess der kognitiven Generierung von Erkenntnis.
Entdeckungen, so Meyer, beinhalten immer ein allgemeines Gesetz und einen konkreten Fall. Allerdings räumt er ein, dass es Lernenden (und Lehrenden) oft schwer fällt, die allgemeine Regel (das Gesetz) sprachlich zu fassen. Vor allem müsste in den Formulierungen je der hypothetische Charakter kenntlich gemacht werden (es müsste gelten). Entdeckungen als derartige Hypothesen bedürfen dann einer Prüfung. Gerade diese Unsicherheit des Wissens birgt nach Meyer großes Potenzial für Erkenntnisprozesse. Herausgestellt wird an Schulbuchaufgaben, dass spezielle Beispiele auch dazu führen können, falsche Entdeckungen zu bestätigen. Günstig sind hingegen (generische) Beispiele, bei denen das Allgemeine als Phänomen hineingesehen werden kann und durch geschickte strukturelle Elemente die Beweisidee latent deutlich wird. Diese Idee kann dann in der Verallgemeinerung aufgegriffen werden.
Aus der Analyse von Grundschul-Mathematikbücher kann er feststellen, dass hier zwar Entdeckungen vielfach erwartet werden, die erwarteten Begründungen jedoch nicht durch das Schulbuch - z.B. durch latente Beweisideen - vorbereitet werden. Er merkt kritisch an, dass die synonyme und damit unscharfe Verwendung der Begriffe Erklären, Begründen und Argumentieren für die gezielte Förderung der Prozesse des Entdeckens, nicht hilfreich sei. Das Prüfen hingegen tritt in Schulbüchern der Grundschule eigenartig verengt nur als Berechnen von Umkehraufgaben (Mache die Probe) oder als Nach-Messen von Längen auf. Das Prüfen von Entdeckungen wird (zumindest in den Schulbüchern) nicht erwartet.
Meyer verweist darauf, dass die Epistemologie mathematischen Wissens als spiralig aufbauend von der Grundschule bis zur Sekundarstufe II gesehen werden kann. Es wäre aus seiner Sicht folglich wichtig, von der Grundschule an, Entdeckungen und Begründungen anzubahnen, experimentelle Prüfungen (an mehreren Beispielen) zu hinterfragen und den Lernenden latente Beweisideen durch strukturelle Elemente an die Hand zu geben, damit mathematische Zusammenhänge nicht nur als Phänomene, sondern in ihren logischen Regeln als allgemeingültig erkannt werden können.
Leseanregungen
Meyer, M. (2021). Entdecken und Begründen im Mathematikunterricht. Von der Abduktion zum Argument. 2. Auflage. Berlin: Springer.
Meyer, M. (2015). Von Satz zum Begriff. Philosophisch-logische Perspektiven auf das Entdecken, Prüfen und Begründen. Habilitationsschrift TU Dortmund. Berlin: Springer.
Meyer, M., Müller-Hill, E., & Kiel, E. (2015). Was? Wie? WARUM? Erklären im Mathematikunterricht. PM (Praxis der Mathematik in der Schule), 57(64), 2-9.
Meyer, M., Prediger, S. (2009). Warum? Argumentieren, Begründen, Beweisen. Einführungsartikel des Thementeils. PM (Praxis der Mathematik in der Schule), 50(30), 1-7.
Meyer, M. & Voigt, J. (2009). Beweisen durch Entdecken. PM (Praxis der Mathematik in der Schule), 50(30), 14-20.


