Steidl Verlag

Christof Hamanns neuer Roman heißt „Usambara“.

Ein Sammler: Der Autor erläutert seine Spurensuche und Quellenforschung.

Friedhelm Marx (rechts) und Christof Hamann diskutieren über mögliche Vorbilder für Hamanns Roman.

- Diana Demel

Reise zum Kilimandscharo

Literatur in der Universität mit Christof Hamann

Vom Bodensee zum Kilimandscharo: In der Reihe „Literatur in der Universität“, die vom Lehrstuhl für Neuere deutsche Literaturwissenschaft veranstaltet wird, war am 23. Januar der Autor Christof Hamann zu Gast. Der Schriftsteller, dessen Bodensee-Roman „Seegfrörne“ 2002 auf durchweg positive Resonanz stieß, las aus seinem jüngst erschienenen Roman „Usambara“.

Eine lange Anreise hatte Christof Hamann nicht hinter sich, da er in diesem Semester als Dozent am Lehrstuhl für Neuere deutsche Literaturwissenschaft Dr. Julia Schöll vertritt. Insofern ist Christof Hamann nicht nur Autor, sondern auch Literaturwissenschaftler, was Prof. Dr. Friedhelm Marx in seiner Einführung betonte. Diesmal waren die Zuhörerinnen und Zuhörer gekommen, um ihn als Autor zu erleben, obwohl Hamann die strikte Trennung zwischen Wissenschaft und Kunst bei seinem Profil suspekt sein wird.

Usambaraveilchen oder Hagebucheria?

Christof Hamann las am 23. Januar in der Reihe „Literatur in der Universität“ aus seinem aktuellen Buch „Usambara“, das historischer Roman, Literaturroman und Gegenwartsroman zugleich ist. Hamann folgt mit „Usambara“ dem Trend der Entdeckergeschichten von Daniel Kehlmann und Ilija Trojanow. Was so geheimnisvoll klingt, ist die Geschichte von Leonhard Hagebucher und seinem Urenkel Fritz Binder. Leonhard Hagebuchers Gegenwart ist das ausgehende 19. Jahrhundert. Er nimmt an einer Expedition des Afrikaforschers Hans Meyer auf den Kilimandscharo teil und entdeckt dabei das Usambaraveilchen. Diese Pflanze, von der Hagebucher glaubt, dass sie unentdeckt ist, haut ihn, der immer in Bewegung ist, buchstäblich „von den Beinen“. Er glaubt, „das Seine“ gefunden zu haben. Er gibt der Pflanze Namen wie „Afrikaveilchen“ und sogar „Hagebucheria“, so stark ist der Einfluss des Veilchens auf seinen Gemütszustand. Mit Blick fürs Detail und subtilem Humor beschreibt Christof Hamann die Erlebnisse des Urgroßvaters.
 
Parallel zur Geschichte des Urgroßvaters wird von seinem Urenkel erzählt, der von seiner Mutter von klein auf mit den Abenteuergeschichten von Hagebucher „vollgestopft“ wurde. Das Usambaraveilchen taucht hier erneut als Motiv auf. Fritz beginnt, sich mit dem Leben des Urgroßvaters auseinanderzusetzen. Er rekonstruiert Geschichte, um den Urgroßvater historisch einzuordnen und sich ihm anzunähern. Diese Auseinandersetzung mit Hagebucher führt soweit, dass auch Fritz den Kilimandscharo besteigen will und am „Kilimandscharo Benefit Run“ teilnimmt. In der Höhe, wo die Luft immer dünner wird, scheinen die Grenzen zwischen Vergangenheit und Gegenwart schließlich zu verschwimmen.

Intensive Quellenforschung

Wie die Figur Leonhard Hagebucher bezeichnet Christof Hamann auch sich selbst als Sammler, wodurch er dem Protagonisten seines Romans ähnelt. So wie dieser das Usambaraveilchen aufliest, sammelte Christof Hamann Urkunden, Zeitungsberichte und historische Quellen zu dieser Pflanze. Eine Zuhörerin wollte wissen, wie wichtig die Quellenforschung für die Entstehung des Romans gewesen sei. Der Autor antwortete: „Das Quellenmaterial ist nur ein Element von vielen anderen“, allerdings habe er hier viele Quellen gehabt. Auf die Frage, ob nicht die Erzählerfigur im Laufe des Romans demontiert werde, gab Christof Hamann zu, eine Skepsis gegenüber historischem Erzählen zu haben. Ihm helfe nicht die Grenze zwischen Erfinden und Finden, allein die Überschreitung derselben führe zu einer Produktion. Ein Zuhörer hakte nach, ob beim Schreiben von „Usambara“ Karl May eine Rolle gespielt habe. Erst nach kurzem Zögern gab der Autor zu, dass neben Wilhelm Raabes „Abu Telfan oder Die Heimkehr vom Mondgebirge“, dem Hamanns Figur Leonhard Hagebucher entnommen ist, auch „Winnetou I“ als Vorbild gedient habe. Als anderen Prätext vermutete Friedhelm Marx „Die Schrecken des Eises und der Finsternis“ von Christoph Ransmayr. Er habe weder dieses Buch noch Daniel Kehlmanns „Die Vermessung der Welt“ während des Schreibens gelesen, antwortete Hamann. Es gehöre zu seiner Arbeit, begründete er dies, dass man Abstinenz übe, wenn man sich mit ähnlichen Themen beschäftigt.

Untermalt und bereichert wurde die Lesung von Fotografien und historischen Bildern, die an die Wand projiziert wurden. Ein Bezug zu Wilhelm Raabe sei das Mondgebirge, wie Hamann ursprünglich seinen Roman nennen wollte. Das Mondgebirge stelle sowohl einen geographischen als auch poetischen Ort dar. Von diesem Ort jenseits der Erde könne man laut Hamann anders über die Erde sprechen. Inspiriert von den Bildern des Kilimandscharo und der Bedeutung des Wortes „Mondgebirge“ verließen die Zuhörerinnen und Zuhörer den Vorlesungssaal.