Im Sommersemester 2018 konnten Lehramtsstudierende im EWS-Bereich erstmals ein Seminar besuchen, das sich dem Thema Heterogenität aus vier verschiedenen bildungswissen­schaft­lichen Perspektiven näherte. Das interdisziplinäre Seminar wurde von Lehrenden der All­gemeinen Pädagogik, Schulpädagogik, Psychologie und Grundschulpädagogik gestaltet.

Gemeinsames Ziel war es, werdende Lehrerinnen und Lehrer für verschiedene Formen und Aspekte von Heterogenität im schulischen Kontext zu sensibilisieren und theorie- sowie evidenz­basiert Gestaltungsmöglichkeiten im Hinblick auf Lehr- und Lernprozesse zu vermitteln.

Die ‚Bildungswissenschaften‘ Allgemeine Pädagogik, Schulpädagogik, Psychologie und Grund­schulpädagogik verhandelten die Komplexität des Phänomens und schulischen Handlungsfelds Heterogenität sowohl vor ihrem jeweiligen fachlichen Hintergrund als auch dezidiert inter­diszi­pli­när. Dies gelang durch den wechselnden Einsatz von Lehrtandems in zwei parallelen Semi­naren. Zudem wurden in drei gemeinsamen Reflexionseinheiten multidisziplinäre Handlungs- und Gestaltungsoptionen im Hinblick auf einen zunehmend von Heterogenität geprägten schulischen Alltag erarbeitet, reflektiert und diskutiert.

In einem einführenden Teil vermittelten die Fachdisziplinen zunächst ein Verständnis für die Rele­vanz und Vielschichtigkeit des Themas und entfalteten spezifische Perspektiven. Hierbei stellte die Psychologie bspw. Instrumente vor, welche die Verschiedenartigkeit von Individuen im Denken, Fühlen und Erleben diagnostizierbar machen. Dabei wurde deutlich, dass die Kenn­zeichnung von Unterschiedlichkeit im schulischen Kontext notwendig ist, um auf verschiedene Persönlichkeitsmerkmale adäquat reagieren zu können. Die Grundschulpädagogik präsentierte den Studierenden ihre Schulform als einen Raum, der im Hinblick auf das Leistungsspektrum von Schülern sowie deren Vorwissensbeständen eine hohe Vielfalt aufweist. Das Spannungsfeld, das aufgrund dieser Heterogenitätsmerkmale entsteht, skizzierte dagegen die Schulpädagogik. In den Blick dieser Disziplin rückt Heterogenität insbesondere, „wenn zur Erreichung identischer cur­ri­cularer Ziele unterschiedliche schulpädagogische Maßnahmen erforderlich sind“ (Stöger & Zieg­ler 2013, S. 7). Aus einer historischen Perspektive verdeutlichte schließlich die Allgemeine Pädagogik, dass mit der Einführung der allgemeinen Schulpflicht strukturell mehr Bildungs­gerechtigkeit erzeugt und dadurch Ungleichheiten abgemildert wurden. Somit sind viele gegen­wärtige Herausforderungen an Schulen auch das Ergebnis einer flächendeckend und strukturell verankerten Bildungsgerechtigkeitsoffensive.

Im vertiefenden Seminarteil setzten sich die einzelnen Fachdisziplinen konkreter mit den Heraus­forderungen eines von Heterogenität geprägten Schul- und Unterrichtsalltags ausein­ander. Die Grund­schulpädagogik stellte multiprofessionelle Teams als Kooperationsformen vor, welche für die Arbeit im Handlungsfeld Heterogenität besonders gut geeignet sind. Die Psychologie plädierte auch für die Befähigung zu einer präzisen Diagnostik, um auf vielfältige Ver­­haltens­auf­fälligkeiten im schulischen Kontext adäquat reagieren zu können. Sowohl die All­gemeine Pädagogik wie auch die Schulpädagogik machten deutlich, dass das aufgrund von Hetero­genität erzeugte Spannungsfeld nicht aufzulösen, sondern lediglich auszubalancieren sei. Für eine heterogenitätsbewusste Kultivierung des Schullebens seien bspw. Schulfeste, gemein­same Projekte und Rituale geeignet. Im allgemeinpädagogischen Kontext wurden, bezogen auf die zunehmende religiöse Vielfalt, heterogenitätssensible Handlungskompetenzen beschrieben und diskutiert. Im schulpädagogischen Kontext wurden schließlich Ver­fahren der Schülerbeobachtung und die Gestaltung anschlussfähiger Lernum­gebungen als mögliche Handlungsstrategien vertieft betrachtet.

Den Austausch über bildungswissenschaftliche Lerninhalte zu fördern und ihre Ver­mittlung kohärenter zu gestalten sind Ziele des Teilprojekts BilVer (Bildungswissenschaft im Ver­bund). Die Wahl des facettenreichen Themas Heterogenität für das erste gemeinsame Seminar aller am EWS-Bereich beteiligten Disziplinen hat sich als gewinnbringend erwiesen – sowohl für Studierende, als auch für die Lehrenden. Das Zusammen- und Wechselspiel der sich gegenseitig ergänzenden und wenn nötig voneinander abgrenzenden Disziplinen trat klar hervor. Es wurde deut­lich, dass dieses und weitere Themen des Lehrerberufs der Zusammenschau aller Perspektiven bedürfen. Das Seminar ermöglichte es exemplarisch, sowohl die Mikro­ebene (Psychologie:  Denken, Fühlen und Erleben von Individuen), als auch die Makroebene (Päda­go­gik: "egalitäre Differenz" (Prengel 2001) von Individuen als konstituierendes Element von Gesellschaft und Schule) und die Mesoebene  (Grundschulpädagogik und Schulpädagogik: Begeg­nung der Unter­schied­lich­keit von Individuen in Institutionen) eines lehrerbildungsrelevanten Phänomens zu betrachten. Die gemeinsame Behandlung zentraler Themen der Bildungswissenschaften mag in der Entwicklung und Durch­führung herausfordernder sein als das Lehren und Belegen mono­dis­ziplinärer Seminare; sie erlaubt jedoch auf­grund ihrer Multiperspektivität einen ungleich profes­sionsbezogeneren Zugang zu zentralen Hand­lungsfeldern des Lehrerberufs. Daher soll sowohl das Heterogenitätsseminar weiter­ent­wickelt und wieder angeboten werden, als auch neue gemeinsame thematische Seminare konzipiert werden.