Projektentwurf

Mitarbeiterteam

Projektleiter: Prof. Dr. Thomas Gehring - E-mail

Mitarbeiter: Dr. Christian Dorsch - E-mail

aktuelle und ehemalige Hilfskräfte (Projekt und Lehrstuhl): Helge Flug, Benjamin Hoh, Johanna Gehring, Melanie Rüth, Felix Schirner, Mareike Schamel, Marcel Stübner, und Antje Treichel.

Forschungsansatz und Fallauswahl

Forschungslücke und neuer Forschungsansatz

Der UN-Sicherheitsrat gilt als die mächtigste internationale Institution und seine Tätigkeit wird regelmäßig kommentiert, doch gibt es kaum Analysen, die diesen Weltsicherheitsrat systematisch als eine internationale Institution untersuchen. Das Projekt soll nicht nur Erkenntnisse zur Funktionsweise des Sicherheitsrates liefern, sondern auch zur Entwicklung einer tragfähigen Theorie internationaler Organisationen beitragen, die die autonomen Wirkungen dieser Einheiten systematisch zu erfassen vermag und Organisationen nicht lediglich als Bürokratien oder als Resultanten der Präferenzen und Machtpotentiale von Staaten und gegebenfalls anderen Akteuren ansieht.

Der Projektansatz knüpft an vorherrschenden Perspektiven an, die den Sicherheitsrat vorrangig als ein Forum oder Instrument mächtiger Staaten sehen, aber erweitert sie um wichtige Aspekte. Im Anschluss an bisherige Theorien internationaler Institutionen und an wichtige Stränge der Organisationtheorie, konzipieren wir den Sicherheitsrat als eine Organisation, die Entscheidungssituationen definiert und dadurch die Handlungsoptionen der beteiligten Akteure verändert. Durch diesen konzeptionellen Schritt können wir systematisch untersuchen, ob und in welchem Umfang der Weltsicherheitsrat als organisationsähnliche internationale Institution gegenüber seinen Mitgliedern Autonomie gewinnt und dadurch auf das Entscheidungsverhalten der Staaten und den Inhalt der dort getroffenen Entscheidungen systematisch Einfluss nimmt.

Zu untersuchende theoretische Mechanismen

Aus der Fülle der theoretisch denkbaren Einflusspfade von Organisationen auf das Entscheidungsverhalten der beteiligten Akteure werden in dem Projekt zunächst die vermutlich wichtigsten Pfade untersucht, die für die Entwicklung der Tätigkeit des Weltsicherheitsrates nach 1990 charakteristisch sind. So lässt sich beobachten, dass der Rat seine weit reichenden Entscheidungskompetenzen nach Kapitel VII der UN-Charta zunehmend auf Konfliktfelder ausdehnt, die nicht im klassischen Sinn zwischenstaatlichen Charakter haben. Daneben findet die Entscheidungstätigkeit des Rats zunehmend in komplexeren Entscheidungssystemen (Ausschusswesen) statt und tritt in Wechselwirkung mit anderen internationalen Institutionen. Abgeleitet aus dem bisherigen Wissensstand auf dem Gebiet internationaler Institutionen werden wichtige Einflusspfade theoretisch auf die zugrunde liegenden Mechanismen und empirisch auf die Relevanz innerhalb des Sicherheitsrates erforscht.

Zunächst wird das Projekt die Herausbildung fallübergreifender „Entscheidungsdoktrinen“ untersuchen, welche eigentlich unabhängige Krisenfälle so miteinander verknüpfen, dass die beteiligten Akteure an einen einmal eingeschlagenen Entscheidungspfad gebunden werden. Dies sollte auch die schrittweise Ausweitung der Sicherheitsratskompetenzen sinnvoll erklären können. In späteren oder ergänzenden Forschungsschritten könnten noch andere Einflusspfade untersucht werden, etwa die funktionale Differenzierung innerhalb der komplexeren Entscheidungssysteme des Sicherheitsrats oder die Wechselwirkung mit anderen internationalen Institutionen. So greift der Sicherheitsrat vermehrt auf Unterausschüsse und andere Unterorgane zurück oder seine Entscheidungen betreffen auch die Tätigkeitsfelder andere internationaler Organisationen.

Zu untersuchende Fälle

Die Fälle, auf deren Grundlage empirisch geklärt werden soll, ob sich durch die Entscheidungstätigkeit innerhalb des Weltsicherheitsrates Entscheidungsdoktrinen herausbilden, die auf den Inhalt nachfolgender Entscheidungen Einfluss nehmen, sollen die folgenden Kriterien erfüllen:

Erstens müssen im Zeitverlauf mehrere Entscheidungssituationen auftreten, die ähnliche Entscheidungsprobleme aufwerfen, denn dies ist die Voraussetzung für das Entstehen einer Entscheidungsdoktrin. Zweitens muss die Problematik sich auf die kollektive Entscheidung innerhalb des Rates selbst beziehen, weil Folgeentscheidungen über die Bereitstellung umsetzungsnotwendiger Ressourcen bereits auf der Ebene der Einzelstaaten liegen. Drittens soll die Untersuchung auf wichtige Aktivitätsfelder des Weltsicherheitsrates im Bereich der Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII der UN-Charta fokussiert werden, um die Relevanz der empirischen Befunde für das Verständnis der Funktionsweise des Rates sicherzustellen.

Daher haben wir zunächst folgende Fälle ausgewählt:

1) Interventionen in innerstaatlichen Konflikten

Seit dem Ende des Ost-West-Konfliktes greift der Sicherheitsrat in zahlreichen Fällen durch friedenerzwingende Maßnahmen nach Kapitel VII der UN-Charta auch dann in Bürgerkriege ein, wenn keine Zustimmung des Ziellandes oder aller relevanten Konfliktparteien vorliegt. Er hat inzwischen etwa 20 derartige Einsätze durchgeführt und etwa weitere 20 Militärinterventionen ohne UN-Kommando autorisiert. Insgesamt lässt sich feststellen, dass Zwangsmaßnahmen bei Friedensoperationen in Bürgerkriegen heute nicht mehr ungewöhnlich sind und für den Rat eine Erweiterung seines Tätigkeitsfeldes darstellen, welche durch die Logik der Entscheidungsdoktrin geprägt sein sollte.

2) Maßnahmen gegen den internationalen Terrorismus

Nach 1990 hat der Sicherheitsrat seine Kompetenzen zum Erlass von Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII der UN-Charta auch zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus eingesetzt. Zuvor hatte er sich mit verbalen Verurteilungen und Appellen begnügt. Seither hat er etwa Sanktionen gegen Libyen verhängt, Zwangsmaßnahmen erlassen, die sich unmittelbar gegen nicht-staat­liche Akteure richten, und nach den Anschlägen vom 11.9.2001 das Recht auf Selbstverteidigung der Staaten bei Terroranschlägen anerkannt. Inzwischen befasst sich der Rat regelmäßig mit Terroranschlägen auf der ganzen Welt und erlässt Antiterrormaßnahmen. Diese Maßnahmen werfen das Problem der Behandlung von Aktivitäten einzelner Personen oder privat organisierter Gruppen im Rahmen eines im Kern zwischenstaatlichen Gremiums auf und für den Rat eine Erweiterung seines Tätigkeitsfeldes darstellen, welche durch die Logik der Entscheidungsdoktrin geprägt sein sollte.

Voraussichtlicher Zeitplan (36 Monate)

MonateForschungsschritte
1-4
Ausarbeitung des theoretischen Konzeptes und Hypothesenbildung
5-6
Pilotphase und Auswahl der zu untersuchenden Einzelsituationen bzw. -phasen
7-15
Untersuchung der ersten Fallkonstellation: Materialsammlung, Materialauswertung und analytische Verdichtung der Ergebnisse
16Projektworkshop, einschließlich Vorbereitungszeit
17-25
Untersuchung der zweiten Fallkonstellation: Materialsammlung, Materialauswertung und analytische Verdichtung der Ergebnisse
26-36
Vergleichende Auswertung der empirischen Projektergebnisse im Hinblick auf eine Theorie internationaler Organisationen sowie Verdichtung der empirischen Ergebnisse zu einer Theorie internationaler Organisationen