Kontingenz und Zweifel - Zur Sichtbarkeit journalistischer Produkte im digitalen Zeitalter
Inhalt und Ziele
Im digitalen Zeitalter haben immer mehr Akteure Gelegenheit und Chancen, an der Produktion von Öffentlichkeit mitzuwirken. Nicht immer ist dabei die Herkunft von Texten – und damit der Sender – für Rezipienten erkennbar. Das war sie auch zu analogen Zeiten auch nicht immer; das beste Beispiel dafür sind PR-Botschaften im Gewand journalistischer Berichterstattung, deren Herkunft für Rezipienten nicht ohne weiteres erkennbar ist. Angesichts der Vielzahl der textproduzierenden Akteure stellt sich die Frage, was journalistische Berichterstattung überhaupt von anderen Mitteilungsformen, speziell auch der Public Relations unterscheidet. Wissenschaftliche Arbeiten verweisen dabei gerne auf die unterschiedlichen Akteure, Journalisten einerseits, PR-Schaffende andererseits; Medienhäuser werben (ganz im Sinne einer Markenbildung) gerne mit der journalistischen Qualität, die ihre Produkte von anderen unterscheide. Wissenschaftlich gesehen hat sich das Konstrukt „journalistische Qualität“ jedoch als schwer operationalisier- und messbar erwiesen. Das Forschungsprojekt verfolgt einen anderen Ansatz, um journalistische von PR-Texten zu unterscheiden.
Forschungsdesign/Methode
Dabei orientieren wir uns am Kontingenzbegriff Luhmanns, wonach jede kommunikative Selektion so, aber auch völlig anders möglich ist. Wir gehen davon aus, dass sich journalistische Texte von PR-Texten dadurch unterscheiden lassen, dass erstere eine höhere Kontingenz aufweisen als PR-Texte. Wo PR eine einzige Quelle mit Partikularinteressen sprechen lässt – und dadurch Kontingenz einseitig schließt –, öffnet Journalismus neue Kontingenzräume, indem er idealiter mehrere Quellen zu Wort kommen lässt, also mehrere Verweisungshorizonte eröffnet.
Damit ergeben sich unmittelbare Berührungspunkte zu den „klassischen“ Forderungen an journalistische Berichterstattung, nämlich Transparenz, Binnenpluralität und Unparteilichkeit. Transparenz weist eine Kontingenzdimension auf, weil der Verweis auf Primärquellen dem Rezipienten bedeutet, dass auch andere Quellen möglich gewesen wären. Auch das Kriterium der Unparteilichkeit ist kontingenzaffin, da das Heraushalten von vorgegebenen Bewertungen Raum für unterschiedliche Bewertungen seitens des Rezipienten offenlässt. Eine kontingente Berichterstattung ermöglicht dem Betrachter somit Beobachtungen auf einer zweiten Ebene, weil die Relativität des Berichteten deutlich wird. Unsere Forschungsfragen lauten folglich: Gibt es textimmanente (linguistische bzw. sprachlogische) oder Meta-Elemente, mit deren Hilfe sich „Qualitätsangebote“ im Informationsbereich herausdestillieren lassen? Lassen sich diese textimmanenten oder Meta-Elemente mit dem Öffnen und Schließen von Kontingenz in Verbindung bringen? Können mithilfe dieser Elemente eindeutige Zuordnungen von Texten zu Journalismus oder PR erfolgen?
Erste Ergebnisse
Stand der Bearbeitung: Nach der Entwicklung eines Codebuchs wurde zwischenzeitlich ein größerer Textkorpus kodiert. Die Ergebnisse sind teilweise ausgewertet. Die Daten stehen zur Veröffentlichung an.
Bisherige Publikationen
Das Konzept und erste Ergebnisse wurden auf verschiedenen Konferenzen vorgestellt (Peer Reviewed):
- Theis-Berglmair, Anna M./Kellermann, Holger (2018): Zweifel an Medien??? – Zweifel in Medien!!! Eine linguistische Analyse der Kontingenz von journalistischen und anderen Texten. Vortrag bei der Tagung der DGPuK-Fachgruppe Mediensprache und Mediendiskurse „Medienkritik - zwischen ideologischer Instrumentalisierung und kritischer Aufklärung“ an der Universität Trier am 16. Februar 2018.
- Theis-Berglmair, Anna M./Kellermann, Holger (2015): Akteure oder Texte? Ein kontingenzbasierter Ansatz der Zuordnung von Angeboten. Vortrag bei der Fachkonferenz des Instituts für Journalismus & Medienmanagement und des Instituts für Kommunikation, Marketing & Sales der FHWien der WKW am 19.-20. März 2015.
Erste Ergebnisse der Untersuchung wurden in folgendem Aufsatz veröffentlicht:
- Theis-Berglmair, Anna M./ Kellermann, Holger (2017): Kontingenz oder Qualität? Die Entwicklung eines textanalytischen Verfahrens zur Differenzierung zwischen journalistischen und PR-Angeboten – ein Werkstattbericht. In: Rußmann, Uta/Gonser, Nicole (2017): Verschwimmende Grenzen zwischen Journalismus, Public Relations, Marketing und Werbung. Wiesbaden: VS, S. 103-114.