Habilitationen

Andreas Flurschütz da Cruz

Internationale Subsidienprojekte der Frühen Neuzeit(638.9 KB, 4 Seiten)

Deutsche Soldaten kämpften die Kriege der Anderen: Nach Ende des Dreißigjährigen Kriegs (1618–1648) strebten deutsche Fürsten wie der Landgraf von Hessen-Kassel oder die Fürsten von Braunschweig oder Württemberg danach, auf Augenhöhe mit den europäischen Dynastien zu agieren. Um dieses Ziel zu erreichen, stellten sie Truppen von enormer Stärke zusammen – mit Soldaten, die aus dem Dreißigjährigen Krieg übriggeblieben waren. Stehende Heere wurden aufgebaut, die an die Könige von England, die Niederlande oder die Republik Venedig ausgeliehen wurden. Diese Kooperationen erhöhten den Status der deutschen Fürsten, manche wurden selbst zu Königen.

Die skizzierten zwischenstaatlichen Kooperationen schweißten die entstehende europäische Staatengemeinschaft mit ihren ständig wechselnden Konstellationen seit der Mitte des 17. Jahrhunderts zusammen, und zwar zeitgleich in politischer, militärischer und ökonomischer Hinsicht.

Daraus erwuchs ein komplexes, von fragilen Abhängigkeiten geprägtes und behutsam austariertes Staatengeflecht. Möglicherweise verkörpern Subsidienprojekte unter den internationalen Kommunikations- und Kooperationsformen sogar diejenige, die das europäische Staatensystem, wie wir es heute kennen, besonders entscheidend vorgeprägt hat.

Für die entstehenden deutschen Territorialstaaten waren sie der Schlüssel zu machtpolitischem Zugewinn und zum Aufstieg in die Reihe der europäischen Mächte: Dank einer Mischung aus Subsidienprojekten und den oft damit verknüpften Heiratsabreden wurden aus deutschen Fürsten über kurz oder lang Monarchen von europäischem Rang: Landgraf Friedrich von Hessen-Kassel regierte von 1720 bis 1751 als schwedischer König, die Herzöge von Hannover herrschten ab 1714 gleichzeitig auch in Großbritannien und Irland.

Zu den bekanntesten dieser Subsidienprojekte zählen mit Sicherheit die in den USA bis heute sprichwörtlichen 30.000 deutschen, davon allein rund 20.000 hessischen Soldaten, die Ende des 18. Jahrhunderts vom britischen König nach Amerika verschifft wurden, um dort die gegen die Krone aufbegehrenden Amerikaner zu bezwingen. Dieses späte Beispiel prägt bis heute das allgemeine Bild der deutschen Fürsten und ihres ‚Menschenhandels‘: Bis in die jüngste Zeit hinein hält sich in der deutschen Öffentlichkeit und sogar in Teilen der geisteswissenschaftlichen Forschung hartnäckig die Vorstellung, deutsche Soldaten seien von ihren Fürsten ins Ausland verkauft worden, wie es schon Schiller in seinem Trauerspiel Kabale und Liebe behauptete. Die Unternehmung markiert indes nur die Spitze eines ganzen Eisberges an Subsidienprojekten, die im 17. und 18. Jahrhundert zwischen deutschen Fürsten und ausländischen Mächten geschmiedet wurden.

Christian Kuhn

Die Politik des Pasquino. Schmähschriften, Protestgelächter und Öffentlichkeiten in politischen Konflikten Alteuropas (ca. 1540-1750)

'Öffentlichkeit' (im qualitativen Sinne Habermas‘) ist ein umstrittener Hauptwert der modernen Zivilgesellschaft. Im 19. Jahrhundert als liberale Leitkategorie entstanden, hat 'Öffentlichkeit' auch eine frühneuzeitliche Vorgeschichte und bahnte sich in anonymen Anklagen und Schmähschriften an. Diese setzten sich zum Ziel, eigene Positionen in einem stark von Mündlichkeit und Anwesenheit geprägten Informationsmarkt ständeübergreifend zu positionieren. Dieser Funktion diente mit literarischen Mitteln erzeugte Komik.

Die untersuchten Materialien werden bestimmten politischen Krisen und Konfliktkulturen Alteuropas entnommen, die eine bestimmte historische Eigenlogik hervorbrachten: Politische Krisen in der Reichsstadt des 16. Jahrhunderts, im französischen Staat des 17. Jahrhunderts, in der Stadtrepublik um die Mitte des 18. Jahrhunderts und im revolutionären Nordamerika. Die Fälle zeigen unterschiedliche Handlungsspielräume öffentlicher Kommunikation, die teilweise durch Faktoren wie Kommerzialisierung, Professionalisierung und Literarisierung bedingt wurden. Die erhaltenen Flugschriften, Schmähschriften, Lieder und Dichtungen stellen dem durch Michail Bachtin, Norbert Elias und Michel Foucault sensibilisierten Leser vor Augen, dass der historische Humor eine bestimmende Eigenschaft klandestiner Kommunikation und von Vorformen von Öffentlichkeit war.

Heinrich Lang

"Elitennetzwerke und die Konstituierung von Märkten: Die Florentiner Kaufmannbankiers Salviati und die Augsburger Handelsgesellschaften der Welser in Lyon (1507-1551)"

Themenstellung:

Das vorliegende Projekt untersucht die Verflechtungen zwischen süddeutschen und florentinischen Handelsgesellschaften und deren Bedeutung für materiellen sowie kulturellen Transfer auf transalpinen Märkten. Im Zentrum steht die mikroökonomische Perspektive der Akteure, um auf der Grundlage umfassender Auswertung von Handelsakten die Entwicklung von Märkten im Kontext makroökonomischer Bedingungen wirtschafts- und kulturhistorisch zu analysieren. Leitfaden des Projektes sind Entstehung sowie Dynamik mehrschichtiger Netzwerke und geschäftlicher Kooperationsformen, die die ökonomischen und sozialen Beziehungen zwischen süddeutschen und florentinischen Kaufmannbankiers auf den Waren- und Wechselmärkten am Messestandort Lyon in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts hervorbrachten und spezialisierte Märkte im Süden Frankreichs konstituierten.

Zielsetzung:

Durch die exemplarische Untersuchung der Vernetzung der Florentiner Salviati mit den Augsburger Welser vor dem Hintergrund der Beziehungen zwischen süddeutschen und italienischen Kaufmannbankiers über mehr als 50 Jahre in Lyon werden langfristige Dynamiken von Verflechtungs- und Austauschprozessen sowie von Kooperation und Konkurrenz der süd- und mitteleuropäischen Wirtschaftsbeziehungen, die als Rückgrat der expandierenden „europäischen Weltwirtschaft“ in der Wirtschaftsgeschichte lange unterschätzt wurden, fassbar. Zugleich handelt es sich um eine quellengesättigte Studie zu transalpinen Beziehungen, die einen zunächst ökonomisch motivierten Integrationsprozess italienisch-deutscher Märkte und materiellen sowie kulturellen Güteraustausches konstituierte.

Schwerpunkt:

Die Kooperationsformen von Akteuren auf transnationalen Märkten über kulturelle Grenzen hinweg strukturierten sich einerseits durch verwandtschaftlich und landsmannschaftlich organisierte Geschäftsbeziehungen, andererseits durch dazu komplementäre oder wirtschaftlich opportune geschäftliche Verbindungen. In diesem Zusammenhang werden die kulturelle Identität stiftenden Narrative wie die Entstehung organisierter nationes mit ihren spezifischen rituellen Ausprägungen oder der Einfluss der sich zuspitzenden konfessionellen Differenzen auf die französischen Märkte ebenso wie deren Überbrückung durch Handelskooperationen oder Alltagsbeziehungen zwischen den Kaufmannschaften untersucht. Die Ausbildung von spezialisierten Märkten wie beim Handel mit Rohseide und Seidentuch verlangte besonders profiliertes Wissen und eine größere Zahl an verlässlichen Kontakten. Dabei bildeten die Akteure der merkantilen Netzwerke Konventionen aus, welche die Unsicherheiten geschäftlicher Interaktionen auf den transnationalen Märkten reduzierten und das nötige Vertrauen schufen. Beginnend mit einer gemeinsamen Kommanditgesellschaft unter den Namen Domenico Naldini und Hans Vöhlin intensivierte sich die als einmalig zu erachtende, durch rechtlich bindende Verträge verstetigte Kooperation der Welser aus Augsburg und der Salviati aus Florenz. Um Lyon als kommerziellem Gravitationszentrum des frühen 16. Jahrhunderts herum entwickelte sich ein sich zunehmend verdichtendes Gewebe von Waren-, Wechsel- und Kreditgeschäften sowie Informationsströmen und persönlichen Beziehungen, dessen Antriebskraft in der Verknüpfung von geschäftlichen Absichten beider business partnership agglomerates bestand. Neben den raumzeitlichen und sozialen Dynamiken dieser Netzwerke richtet sich die Aufmerksamkeit auf die Vermittlung zwischen Netzwerken durch Mittelsmänner und Agenten als „Kreditvermittler“ oder als Interlokutoren, um wie im Falle der Interventionen der eng mit den Augsburger Welsern verbundenen Berner Familie May bei der französischen Krone über Streitfälle oder Privilegien zu verhandeln.