Dissertation

Pfadenhauer, Katrin (2012): “… y la español también”. Fallstudien zum indigenen Spanisch zweisprachiger Mixteken in Mexiko. Bamberg: University of Bamberg Press.

Die Dissertation ist in der Reihe Bamberger Beiträge zur Linguistik erschienen und kann dort als Volltext heruntergeladen werden.

Zusammenfassung

Untersuchungsgegenstand der Arbeit ist das gesprochene Spanisch zweisprachiger Mixteken in Mexiko, das sogenannte español indígena oder indigene Spanisch dieser Sprechergruppe. Dieser Terminus bezeichnet keine feste Sprachvarietät. Vielmehr handelt es sich um eine Vielzahl von Idiolekten, die einerseits von Sprecher zu Sprecher variieren, andererseits aber auch zahlreiche gemeinsame Merkmale aufweisen. Im Zentrum des Interesses stehen die Darstellung und die Erklärung dieser Besonderheiten: Wann ist von Interferenzen auszugehen, die sich aus dem mixtekischen Adstrat ergeben? Wann handelt es sich um Phänomene, die auch aus dem ungesteuerten Zweitspracherwerb bekannt sind? Und welche Rolle spielen sprachinterne Entwicklungen und externe Faktoren wie die Diskriminierung oder der gesellschaftliche Druck von außen? Weiter wird die Frage nach der Einordnung dieser Varietäten und der Umgang mit ihnen diskutiert. Somit steht neben dem wissenschaftlich begründeten Interesse an der Erklärung der Sprachkontaktphänomene auch das Bemühen um die Sensibilisierung für die Problematik, die sich für die Sprecher aus ihrer Zweisprachigkeit ergibt.Die Untersuchung erfolgte nach qualitativen Kriterien, d.h. die Individuen und ihre Sprechweise wurden als Einzelfälle unter Einbeziehung ihrer Biographie und des sozialen Kontexts analysiert. Befragt wurden mixtekische Migranten in Mexiko-Stadt und deren Vororten und – in Funktion einer Kontrollgruppe – mixtekische Landbevölkerung im Bundesstaat Oaxaca im Süden von Mexiko. Die Daten wurden mit Hilfe eines Leitfadeninterviews erhoben, das Fragen zur Person, dem Sprachverhalten und den Sprechereinstellungen enthielt. Die Gespräche wurden mit dem vorherigen Einverständnis der Informanten aufgezeichnet, vollständig transkribiert und analysiert. Die Ergebnisse der in einem ersten Teil durchgeführten soziolinguistischen Untersuchung können wie folgt zusammengefasst werden: Allgemein kann bei der Kontaktsituation in Mexiko von konfliktiver Diglossie gesprochen werden, wobei eine Unterscheidung der Situation auf dem Land von der in den Städten erforderlich ist. Während in den isolierten, von der spanischsprachigen Umgebung weitgehend abgeschnittenen Dörfern noch immer eine relativ klare funktionale Trennung von H- und L-Varietät ausgemacht werden kann, lässt sich in den Städten eine nicht unbedenkliche Entwicklung beobachten, die über einen Bilinguismus ohne Diglossie hin zur vollständigen Aufgabe der Muttersprache führt. Die Integration in die mexikanische Gesellschaft, die sich die Sprecher durch die kulturelle und sprachliche Assimilation erhoffen, wird dabei allerdings oft nicht erreicht. Die Diskriminierung aufgrund der sprachlichen Kompetenz ist ein Phänomen, das sowohl in der ländlichen wie in der städtischen Gesellschaft zu Tage tritt. Interessant ist, dass es häufig nicht die Muttersprache ist, die zum Gegenstand der Kritik wird, sondern die aus dem Sprachkontakt und dem sozialen Druck von außen entstandenen neuen und oft als fehlerhaft empfundenen Varietäten. Ein widersprüchliches Bild ergibt sich aus den Antworten auf die Frage nach der Rolle des Mixtekischen in der Erziehung. Zwar wird der Wert der Muttersprache stets betont, das Mixtekische jedoch in der Regel nicht an die eigenen Kinder weitergegeben. Vor dem Hintergrund dieser Beobachtungen wurden die Varietäten in einem zweiten Teil der Studie unter systemlinguistischen Aspekten untersucht. Die eindeutige Erklärung der Auffälligkeiten stellt sich allerdings in vielen Fällen als problematisch dar, so dass ihre Entstehung auf ein Zusammenspiel multipler interner und externer Faktoren zurückgeführt werden muss. Interferenz kann vor allem für Besonderheiten auf der lautlichen Ebene angenommen werden, jedoch lassen auch Kongruenzschwächen, die die grammatischen Kategorien Genus, Numerus und Person betreffen, den Einfluss des Mixtekischen vermuten. Eine wichtige Rolle spielen Vereinfachungsstrategien wie Generalisierungen und Simplifizierungen, die aus Untersuchungen zum ungesteuerten Zweitspracherwerb bekannt sind und möglicherweise durch Strukturen des Mixtekischen zusätzlich begünstigt werden. Als indirekte Auswirkungen des Sprachkontakts ist das Phänomen der Hyperkorrektur zu erwähnen, das besonders in den Varietäten der mixtekischen Migranten in den Städten auffällt und den Druck reflektiert, dem die indigenen Sprecher in der mexikanischen Gesellschaft ausgesetzt sind.