EKD fordert wirksame Bekämpfung von Armut in Deutschland

Denkschrift "Gerechte Teilhabe" veröffentlicht

 epd vom 11. Juli

Berlin (epd). Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat Politik und Wirtschaft aufgerufen, wachsende Armut nicht tatenlos hinzunehmen. Die wirksame Bekämpfung von sozialer Ungerechtigkeit erfordere eine enge Verzahnung von Bildungs-, sowie Sozial- und Arbeitsmarktpolitik, stellt die EKD in einer am Dienstag in Berlin vorgestellten Denkschrift zur Armut in Deutschland fest. Zentrale Wege, um Menschen vor Armut zu bewahren, seien die Integration in den Arbeitsmarkt und der verbesserte Zugang zu Bildungsmöglichkeiten.

Mehr als sieben Millionen Menschen, darunter zwei Millionen Kinder und Jugendliche, lebten Ende 2005 in Deutschland von Leistungen auf dem Sozialhilfeniveau, heißt es in dem EKD-Text. Betroffen davon seien vor allem Langzeitarbeitslose, Geringqualifizierte, sowie allein Erziehende. Ein wachsender Anteil der Bevölkerung sei von gerechter Teilhabe an Arbeit, Bildung und gesellschaftlichen Prozessen ausgeschlossen: "Wenn sich aber ein großer Teil der Bevölkerung als ausgeschlossen erlebt und die Differenzen zwischen Reichen und Armen weiter wachsen, kann es keine allseits als gerecht erlebte gesellschaftliche Entwicklung geben."

Wenn Armut hingenommen werde, sei dies ein "gesellschaftliches und individuelles Versagen vor Gottes Geboten", betont die EKD in dem Dokument mit dem Titel "Gerechte Teilhabe - Befähigung zur Eigenverantwortung und Solidarität". Die bundesdeutsche Gesellschaft verfüge über ein Ausmaß an Ressourcen, das in ihrer Geschichte ohne Vorbild sei: "Deswegen gibt es keine Entschuldigung, unzureichende Teilhabe und Armut nicht überwinden zu wollen."

Der Sozialstaat müsse einen starken Akzent darauf legen, Armutsrisiken zu vermeiden, wird in der Denkschrift gefordert. Bildung und Weiterbildung als Voraussetzung für Eigenverantwortung komme in einer erfolgreichen Sozialstaatsstrategie eine Schlüsselrolle zu. Derzeit versage das Bildungssystem nicht nur gegenüber sozial und kulturell Benachteiligten, sondern es trage sogar zu deren Schlechterstellung bei, indem bildungsferne Kinder nicht genügend gefördert würden.

Die EKD dringt auf Bildungsreformen und befürwortet frühkindliche Förderung, Stärkung der Erziehungskompetenz der Eltern, Kooperation der Schule mit gesellschaftlichen Partnern, Wertschätzung jedes Kindes, sowie Qualitätsverbesserung des Unterrichts. Angeregt wird auch eine Überprüfung des mehrgliedrigen deutschen Schulaufbaus. In keinem vergleichbaren Industrieland werde in so jungen Jahren über künftige Lebenschancen entschieden wie in der Bundesrepublik.

Zu den maßgeblichen Armutsfaktoren wird in der Denkschrift die Arbeitslosigkeit gezählt: "Wenn Arbeitslosigkeit die Hauptursache für Armut und soziale Ausgrenzung ist, dann müssen Maßnahmen zur Vermeidung von Armut sich vorrangig an der Schaffung von Arbeitsplätzen und der Integration von Erwerbslosen in den Arbeitsmarkt orientieren." Unter anderem wird eine Umstellung der sozialen Sicherungssysteme auf Steuerfinanzierung empfohlen.

Zur Entwicklung eines sozial abgesicherten Niedriglohnbereiches gebe es keine Alternative für jene Menschen, die nur in gering bezahlten Arbeitsplätzen eine Perspektive hätten. Die Instrumente der Beschäftigungsförderung sollten gestrafft und um psychosoziale Hilfe ergänzt werden. Zugleich wird jedoch vor einem Niedriglohnsektor gewarnt, in dem Beschäftigte durch eine Abwärtsspirale bei den Löhnen ausgebeutet würden: "In einem reichen Land wie Deutschland sollte es Ziel sein, den Niedriglohnsektor so gering wie möglich zu halten."

Für Langzeitarbeitslose, die am regulären Arbeitsmarkt keine Chance haben, dürften auch staatlich geförderte Arbeitsplätze in einem "zweiten" oder "dritten" Arbeitsmarkt" kein Tabu sein: "Staatlich geschaffene Tätigkeiten mögen ökonomisch ineffizient sein, aber die heutige Situation ist nicht nur menschlich, sondern auch ökonomisch unbefriedigend."

Vorbereitet wurde die Denkschrift "Gerechte Teilhabe - Befähigung zu Eigenverantwortung und Solidarität" von der EKD-Kammer für soziale Verantwortung. Dem Beratungsgremium unter Vorsitz von Gert G. Wagner vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung gehören Politiker, Vertreter aus Wirtschaft und Gewerkschaften, sowie Juristen und Sozialethiker an. (08167/11.7.2006)