Das Südportal der Kathedrale Saint - Étienne in Meaux

Kunsthistorische Fragestellung, baugeschichtlicher Zusammenhang und stilistische Einordnung

 

Leitung:Prof. Dr. Stephan Albrecht, Prof. Dr.-Ing. Stefan Breitling

Teilnehmer:Tobias Apfel, Nora Bruske, Jan Fuhrmann, Heike Müller, Christopher Retsch, Jakob Scharf, Henriette Thorau

 

Der Forschungsgegenstand

Das Stephanusportal am Südquerhaus der Kathedrale von Meaux  nordöstlich von Paris gehört zu den qualitätvollsten Werken der französischen Skulptur am Ende des 13. Jahrhunderts. Es ist bisher kaum von der Forschung berücksichtigt worden, wohl auch, weil fast sämtliche Figuren bei Zerstörungen im 16. Jahrhundert ihre Köpfe verloren haben. Darüber hinaus war bisher unklar, wieweit Restaurierungsarbeiten des 19. Jahrhunderts den mittelalterlichen Bestand verändert haben.

Das Portal ist im Zuge von tiefgreifenden Umbaumaßnahmen entstanden, die bereits kurz nach der Mitte des 13. Jahrhunderts eingesetzt haben. Die Arbeiten sollten den noch unvollendeten, aber statisch gefährdeten Bau aus dem späten 12. Jahrhundert konsolidieren und stilistisch auf den neuesten Stand bringen. Der namentlich bekannte Architekt Gautier de Varinfroy verwandelte die ursprünglich stilistisch eng an der Kathedrale von Soissons orientierte Architektur in einen Rayonnantbau nach Pariser Vorbild. Im Zuge dieser Erneuerungen erhielt die Kathedrale eine vollständig neue Sürquerhausfassade mit einem umfangreichen Figurenportal in der unteren Zone. Es wird nach Aussage der Schriftquellen zwischen 1282 und 1300 entstanden sein.

An der Außenseite nimmt das Portal mit seinen beiden begleitenden Blendwimpergen die vollständige Breite des Querhauses ein. Der Eingang verjüngt sich trichterförmig in drei mit Figuren bestückten Archivolten Auf dem Tympanon wird auf drei Registern die Stephanusgeschichte dargestellt, die ursprünglich von einem lebensgroßen Stephanus als Trumeaux am Mittelpfosten ergänzt wurde (Abb. 04, 05).

 

Das Projekt

Die architektonische Gestaltung der Gesamtanlage, besonders aber der Skulptur erweist sich bei genauerer Analyse als direkte Kopie nach dem nur wenige Jahre zuvor entstandenen Südquerhaus der Kathedrale von Paris. Bis in die Faltenzüge hinein stimmen die Figuren überein (Abb. 08, 09). Eine solche getreue Übertragung eines Vorbilds auf eine ca. 30 km entfernte Nachbarkathedrale stellt in der französischen Gotik einen Einzelfall dar.

 

Der Vergleich beider Objekte gibt einen tiefen Einblick in Organisation und Praxis einer Bauhütte um 1300. Mit welchen Hilfsmitteln wurden die Kopien angefertigt? Gab es Modelle? Zeichnungen? Wurde die Skulptur sogar direkt aus Paris importiert, wie Steinuntersuchungen es für die Westfassade vermuten lassen?

Weitere Fragen zur Einordnung in die Baugeschichte der Kathedrale, zur Bautechnik des Ursprungsbaus, zu den Bauabschnitten, der  Veränderungsgeschichte,dem Erhaltungszustand und zur ursprünglichen farbigen Fassung schlossen sich an. Auf der Grundlage eines mit Hilfe eines Laserscans erstellten verformungsgerechten Aufmaßes (Abb. 05) untersuchte die  Arbeitsgruppe das Portal innen und außen im Rahmen eines interdisziplinär angelegten einwöchigen Seminars (Abb. 02).

Der stilistische Befund

Die figürliche Skulptur des Portals erweist sich als stilistisch heterogen. Das aus mehreren Platten bestehende Tympanon folgt sehr einheitlich einem schönlinigen, dem Pariser Vorbild ähnlichen Figurenideal. Das Maßwerk sämtlicher Baldachine, auch der Baldachinreihen zwischen den Registern des Tympanons, erklärt sich hingegen aus dem lokalen Kontext der Kathedrale von Meaux heraus und unterscheidet sich von den vergleichbaren Teilen in Paris.

 

Nur wenige der Archivoltenfiguren können mit der hohen Qualität des Tympanons und des Pariser Stephanusportals mithalten. Besonders im oberen Bereich der Bögen verlieren die dargestellten Personen an physiognomischer Plausibilität und Plastizität (Abb. 06,07).