Müssen die historischen Eisenträger in der Fassade Vorderen Ledergasse 8 ausgetauscht werden? (KDWT)

Praxisgerechte Einbindung bauforscherischer Analysemethoden in bauaufsichtliche Verfahren

 

Leitung: Prof. Dr.-Ing. Stefan Breitling

Bearbeiter: Dipl.-Ing. Christian Schalk M.A.

Arbeitsbereich: Bauforschung und Baugeschichte des KDWT

Laufzeit: ab 2016

 

Ausgangslage

In der praktischen Baudenkmalpflege werfen sich neben Fragen nach der Zuverlässigkeit häufig auch solche nach der Zulässigkeit von historischen Baukonstruktionen und Bauweisen auf. Oft bleibt es strittig, ob - bzw. wenn ja dann welche - neuen Bauvorschriften angewendet werden müssen. Fraglich bleibt es auch, ob beispielsweise historische Tabellenwerke herangezogen werden dürfen und diese auch heute noch gelten.
Meist wird dabei das recht facettenreiche Thema „Bestandsschutz“ - dessen Regelungsdichte in den Bundesländern unterschiedlich tief ist - von ganzen Gebäuden und Bauteilen hinterfragt. Doch selbst beim bauordnungsrechtlich geregelten Bestandschutz bleibt die Frage nach der korrekten bauzeitlichen Umsetzung und Bauausführung. Allzu oft werden dann historische Baukonstruktionen ausgebaut und gegen neue, zeitgenössische Konstruktionen mit neuen Materialien ersetzt.
Bewertende Untersuchungen können dabei helfen, solche Missstände abzumildern und Substanzverlust zu minimieren, denn genaue, fundierte und dokumentierte Bauforschung kann auch mit historischen Genehmigungen, Bauvorschriften und Regelwerken referenziert werden.
Ziel solcher Bewertungen ist es, die Grundlagen für weitere Beteiligte zu liefern, die in der Folge gezielte Eingriffe unter weitest gehender Schonung der Originalsubstanz planen. Mit ihren Arbeitsschritten „Beobachten, aufnehmen, analysieren, beschreiben und referenzieren“ eignet sich die Bauforschung hervorragend für solche und ähnliche Aufgaben, die hier an einem Beispiel aus der Praxis beschrieben werden sollen.

Objekt

Ehemaliges Gerberhaus Vordere Ledergasse 8 in Nürnberg, Gemarkung Nürnberg-Lorenz, Flurnr. 3322, Denkmalliste D-5-64-000-2060, Dendrodat. 1410/11, Vorgängerbau vermutet. Das bestehende Wohn- und Geschäftshaus (sieben aufgezeigte Bauphasen) muss saniert und soll umgebaut werden.

Veränderungsgeschichte und Verfahren

Die Straßenfassade wurde mit Baugesuch von 1889 im Stilmix des Historismus geändert und wurde seither mindestens dreimal verändert. Das Gebäude überstand die Bombennächte des zweiten Weltkriegs nahezu unversehrt. Die historische Bausubstanz ist materiell gut erhalten. Bauaufsichtliches Verfahren: Die geplanten Maßnahmen sind zum Stichtag (2015) im Geltungsbereich der Bayerischen Bauordnung (BayBO) gemäß Art. 59 im vereinfachten Genehmigungsverfahren genehmigungspflichtig. Das denkmalschutzrechtliche Verfahren ist gemäß Bayerischem Denkmalschutzgesetz (DSchG) Art. 6 Abs. 3 Satz 1 in das Hauptverfahren eingebunden. Die Einstufung der Gesamt- anlage erfolgt in die Gebäudeklasse 5 i.S.d. Art. 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BayBO, kein Sonderbau i.S.d. Art. 2 Abs. 4 BayBO. Gebäude der GK5 benötigen einen durch Nachweisberechtigten i.S.d. Art. 61 BayBO erstellten Standsicherheitsnachweis („Statik“), der i.S.d. Art. 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BayBO durch Prüfsachverständigen bescheinigt werden muss. Die Erstellung des Standsicherheitsnachweises erfolgt auf Grundlage der Bauvorlagenverordnung (BauVorlV), erlassen gemäß Rechtsverordnung i.S.d. Art. 80 Abs. 4 BayBO.

Problemstellung

Im Standsicherheitsnachweis müssen die historischen Träger in der Fassade des Einzeldenkmals rechnerisch nachgewiesen werden. Diese Unterzüge tragen u.a. die Lasten aus den aufgehenden Wänden, dem Dach und des Dacherkers (dendrodat. 1601). Ein Unterzug der Decke über EG lastet auf. Das Tragsystem steht zur Diskussion, denn es wird bezweifelt, dass die ursprünglich (1889) genehmigten Träger noch unverändert eingebaut sind, geänderte Lasteinträge werden unterstellt und es wird angenommen, dass eine zweite Stütze gab. Falls nicht gezeigt werden kann, dass die ursprüngliche Konstruktion auch heute noch vorhanden ist, wird der Abbruch und Ersatz durch neue Stahlträger mit Subkonstruktion auf den historischen Kelleraußenwänden. Bauforscherische Untersuchungen und Archivrecherchen ergaben, dass im ersten historischen Bauplan (1889) zwei Sandsteinstützen dargestellt sind. Im Tekturplan (um 1890) fehlt diese zweite Stütze (= missing link). Die Schaufensteranlage mit gusseiserner Stütze bestand nachweislich. Unklar bleibt, ob die zweite Sandsteinsäule als Stütze für neu eingebaute Träger diente, die Schaufenster von 1889 erst errichtet und dann abgebrochen wurden. Auch 1928 könnten (nochmals) neue Träger eingebaut worden sein. Die erhaltene Sandsteinsäule wurde abgespitzt, was als massiver, statischer Eingriff bewertet wird. Bestandsschutz muss nachgewiesen werden.

Methode und Einbindung

Die Zuständigkeit und Kompetenz anderer Projektbeteiligter muss respektiert werden. Die Bauforschung benennt, analysiert, beschreibt und datiert u.a. Bauteile, Abläufe und Systeme. Damit kann sie Voraussetzungen für das Vorliegen von Bestandsschutz fundiert herleiten, da -aufgrund der exakten Vorgehensweisen- in der Regel zweifelsfrei dargestellt werden kann, wie die Bauabfolge verlief. Baukonstruktive Zwänge, Zusammenhänge und Systeme können erkannt, analysiert und kommuniziert werden. Die Träger wurden also genauestens befundet, exakt gezeichnet, mit historischen Trägern verglichen und natürlich auch auf Schäden hin untersucht. Historische Bautabellen konnten aufgefunden, ausgewertet und an alle Projektbeteiligten verteilt werden. Die Gültigkeit von Rechtsverordnungen wurde archivalisch erfasst und nachgewiesen. Auch bezüglich der für die Auflager verwendeten Sandsteine konnten Belege und Nachweise aufgezeigt werden, die zeigen, dass die ursprüngliche Konstruktion im Grunde genommen seit der Bauzeit unverändert geblieben ist.

Ergebnis

Es wurde nachgewiesen, dass die gusseiserne Stütze lediglich Zierelement war. Gezeigt werden konnte, dass in den tragenden Querschnitt der erhaltenen Sandsteinsäule nicht eingegriffen wurde. Die ursprünglich eingebauten Träger wurden nie ausgebaut, eine weitere, tragende Sandsteinsäule gab es nicht. Es wurde bereits anfangs so gebaut, wie es im Tekturplan dargestellt ist (drei Träger, eine Sandsteinsäule). Diesen Sachverhalt ließ man sich um 1890 nachgenehmigen, was eine auch heute noch durchaus übliche Praxis ist.


Schlussfolgerung


Die Träger wurden plan- und genehmigungskonform ohne statische Veränderungen eingebaut. Sie genießen formellen Bestandsschutz auf Grundlage der Allgemeinen Bauordnung für Bayern aus dem Jahr 1881. Damals erfolgten gem. §85 Prüfungen, Kontrollen und Abnahmen. Histori- sche Regelwerke liegen zugrunde.

Ausblick

Das KDWT startet eine Initiative zur Verankerung technischer und bauforscherischer Analysemethoden im bauaufsichtlichen Verfahren. Ziel ist es, Empfehlungen zu erarbeiten, die in Folge an Kammern, Verbände, Sonderfachleute und die Legislative herangetragen werden. Als Kooperationspartner soll die Hochschule Coburg gewonnen werden.

Beantwortung der Ausgangsfragestellung

Nein, die Träger können bleiben. Die Prüfauffassung des Sachverständigen wird dem wohl folgen. Die einzige nicht genehmigte und planabweichende Umbauphase seit 1899 ist übrigens der Einbau der heutigen Schaufensteranlage aus den 1970er Jahren.