Ausstellung in Ludwigshafen "Gegen jede Vernunft. Surrealismus Paris - Prag"

Die groß angelegte Surrealismus-Ausstellung mit hochkarätigen Leihgaben und namhaften Künstlern wie Max Ernst, René Magritte, Salvador Dali im Wilhelm-Hack-Museum Ludwigshafen bietet für jeden Besucher etwas Spannendes. Für diejenigen aber, die sich mit der slavischen Kunst- und Kulturgeschichte befassen, steht in erster Linie das von den Ausstellungsmachern angelegte Spannungsfeld zwischen den beiden Surrealismus-Zentren Paris und Prag im Mittelpunkt des Interesses. Während die meisten Vertreter des Pariser Surrealismus aus zahlreichen Publikationen weitgehend bekannt sind und auch bei verschiedenen Ausstellungen zu sehen waren, sind ihre Prager Kollegen außerhalb Tschechiens nur für einen schmalen Kennerkreis ein Begriff und das, wie die Ausstellung zeigt, absolut zu Unrecht.

Prag war neben Paris wohl das bedeutendste Zentrum des Surrealismus. Aus literarischen Strömungen entwickelte sich der Prager Surrealismus zunächst vollkommen eigenständig, ehe die Künstler ab Ende der 1920-er Jahre mit jenen aus Paris in Kontakt traten. Viele der tschechischen Künstler lebten zeitweise in Paris und waren in die dortigen Kreise integriert.

In der Ausstellung wird der schöpferische Dialog, den die tschechischen Künstler untereinander und mit den Pariser Kollegen führten, deutlich. Dem Betrachter aber wird es schwer fallen, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Die Kunst einer jeden und eines jeden bleibt heterogen und eigenständig, zum Beispiel von Toyen und Jindřich Štyrský. Beim Betreten der Ausstellung sticht einem zuallererst die überdimensionale „Surrealistische Weltkarte“ ins Auge. Mit der politischen oder geografischen Realität hat sie kaum etwas gemeinsam. Europa ist ganz klein, an den Rand gerückt und besteht hauptsächlich aus Paris. Die USA werden überhaupt nicht berücksichtigt, dafür aber spielen Russland und China eine umso größere Rolle. Die ohne Hinweis auf eine Autorschaft 1929 abgedruckte Karte demonstriert damit einerseits, wie aktiv sich die Surrealisten in die politische Diskussion der Zeit einbezogen, aber auch, dass sie mit Norm und Tradition spielerisch und provokativ umzugehen wussten.

Neben Dalís monumentalem Bühnenbild bietet die Ausstellung noch eine ganz besondere Attraktion. Der Besucher hat Gelegenheit, die Ausstellungsinszenierung der ersten „Exposition internationale du Surréalisme“ von 1938 in einer Rekonstruktion des Hauptraumes mitzuerleben! Noch während man sich mit anderen Ausstellungsobjekten befasst, erreicht einen merkwürdiger Lärm in Form von Paradeschritten, hysterischem Geschrei und Klopfgeräuschen. Man tritt in einen grottenartigen dunklen Raum ein. An der Decke hängen prall gefüllte Kohlesäcke, am Boden liegt trockenes Herbstlaub. In einer Ecke steht angeleuchtet das in ein Fischernetz gekleidete Mannequin. In der anderen ist ein Bett mit goldfarbenem Seidentuch darauf zu erkennen. Verschiedene Gegenstände, Gemälde, Schilf sind im Raum verteilt. Beim Besucher von heute ruft diese alle Sinne ansprechende Inszenierung eine große Faszination hervor. Denkt man zudem an den Zustand eines unvorbereiteten und durch die Performances des 20. Jahrhunderts nicht abgehärteten Zuschauers von 1938, braucht es wenig, um zu verstehen, welch Neuheit die Inszenierung dieses revolutionären Kunstkreises war und welche Wirkung in der Öffentlichkeit damals erreicht wurde.

Während der Exkursion bekam die Gruppe die Möglichkeit, mit der Ausstellungsmitarbeiterin Dr. Karoline Hille zu sprechen. Die einmalige Chance, Fragen zu stellen, hinter die Kulissen der Ausstellungsorganisation zu blicken und Insider-Informationen zu bekommen, wurde von den Exkursionsteilnehmerinnen beim gemeinsamen Durchgehen durch die Ausstellung aktiv genutzt. Anschließend konnte noch der zweite Teil der Ausstellung besucht werden, der der surrealistischen Fotografie gewidmet war. Auch dort stieß man auf altbekannte Werke von Man Ray oder Hans Bellmer, machte aber auch Entdeckungen weniger berühmter Fotografen, wie Jindřich Heisler, Jaromír Funke und Emila Medková.

Am Ende des Tages kehrten die Teilnehmerinnen mit einer echten Wissensbereicherung nach Bamberg zurück: Der Surrealismus ist nicht einfach eine Kunstrichtung gewesen, er war eine Revolution auf ganzer Linie, in West- und Osteuropa.

Helene Kißler, Irina Alter