„MatGlas“: Materialität und Authentizität von Glas und Glaskonstruktion im Bauwesen der Hochmoderne.

Eine baukonstruktive und restaurierungswissenschaftliche Bestandsaufnahme und Analyse von Material und Konstruktion

Inhalt und Ziele

Die Materialität und Authentizität von Glas und Glaskonstruktionen von Gebäuden der Hochmoderne standen bislang nicht im Zentrum grundlagenorientierter Forschung. Die Bedeutung des Materials Glas hat in der heutigen Gesellschaft so weit abgenommen, dass mitunter selbst von Denkmalpflegern Gläser und Glaskonstruktionen von Profanbauten aus der Zeit der Industrialisierung bzw. der Hochmoderne als Verfügungsmasse betrachtet werden. Die Praxis des Austausches von Gläsern hat zur Folge, dass bereits wichtige Zeugnisse der Zeit- und Technikgeschichte unwiederbringlich verloren gegangen sind.

Um diesem Umstand entgegenzuwirken, wollen die Projektpartner, das Institut für Baukonstruktion der TU Dresden und die Professur für Restaurierungswissenschaft der Uni Bamberg, gemeinsam eine wissenschaftliche Grundlage zum Themenkomplex der industriell hergestellten Verglasungen sowie deren Verwendung in bautechnischen Konstruktionen schaffen.

Das Projekt untersucht den Zeitraum von ca. 1880 bis ca. 1970 und deckt damit den Bereich der Hochmoderne ab. Mit der Hochmoderne wird eine wichtige Zeitspanne näher beleuchtet, in die zwei signifikante Technikwechsel fallen: erstens der Übergang von geblasenem Flachglas zu gezogenem Glas Anfang des 20. Jahrhunderts und zweitens die Einführung des Floatglases in den 1960er Jahren.

Übergeordnetes Ziel ist es, die Bedeutung des originalen Glasproduktes als ein unverzichtbares und unersetzbares Element der Authentizität und damit der kulturellen Bedeutung von Bauten der Hochmoderne zu manifestieren. Der lebendige Charakter von industriell hergestellten Gläsern aus der Zeit vor der Einführung von Floatglas ist ein Resultat der Herstellungsprozesse. Gerade dieser vermeintliche Mangel trägt dazu bei, dass industriell hergestelltes Glas eine faszinierende Dualität und einzigartige Materialität aufweist: aufgrund seiner lichtdurchlässigen Eigenschaften im Wellenlängenbereich des sichtbaren Lichtes ist es auf der einen Seite transparent und körperlos, auf der anderen Seite wird das durchtretende Licht an den optischen Fehlern gebündelt oder gestreut, sodass eine lebendige Struktur entsteht. Aufgrund der nahezu perfekten Beschaffenheit von heutigem Floatglas fehlen diesem diese charakteristischen Eigenschaften gänzlich. Bei einem Austausch historischer Gläser gehen daher sowohl Authentizität als auch Materialität verloren.

Ziel des Forschungsvorhabens ist es, charakteristische Konstruktionsarten von Glaselementen aus der Zeit der Industrialisierung herauszuarbeiten sowie Methoden zu deren Erkennung zu definieren. Diese Zielsetzung setzt die Beantwortung der folgenden Forschungsfragen voraus: 

  • Welche wesentlichen Hauptlinien und Neuerungen kennzeichnen die Verwendung von Glas und Glaskonstruktionen im Bauwesen?
  • Wie lassen sich materialspezifische und konstruktive Innovationen der Glastechnik und der Glaskonstruktion als denkmalkonstituierende Elemente identifizieren, würdigen und vermitteln?

Auf Grundlage der Forschungsergebnisse soll eine verstärkte Sensibilisierung der Denkmalpflege bezüglich der Erhaltung historischer Flachgläser geschaffen werden. Ziel ist es, den Denkmalpflegern ein Werkzeug zur Hand zu geben, damit die Wertigkeit von Flachglas und Glaskonstruktionen als bedeutende Elemente der Authentizität von Gebäuden des Untersuchungsraums erkannt und entsprechend bewertet werden können. Dafür soll ein Bewertungsschema erstellt werden, welches besonders das originale Flachglas und die Glaskonstruktion von Bauten der Hochmoderne in den Fokus rückt.

Methode

Umfassende Literaturrecherche, Kartierungen exemplarischer Gebäude sowie minimalinvasive und zerstörungsfreie Glasuntersuchungen bilden die Grundlage der interdisziplinären Zusammenarbeit, um erhaltende Glasbestände der Hochmoderne zu charakterisieren und identifizieren. Zur gemeinsamen Ansprache wird hierfür das mitunter divergent verwendete Fachvokabular zu übergreifenden Begriffsdefinitionen zusammengeführt. 
Mit der Weiterentwicklung der Glasherstellungsverfahren ging auch eine Entwicklung der zur Verfügung stehenden Glasformate, -qualitäten und deren Sicherheitseigenschaften einher. Es wird erarbeitet, inwiefern technische Neuerungen in der Glasherstellung einen Wandel in der Bauweise zur Folge hatten. Im Zentrum stehen hier vor allem innovative Ausführungsvarianten, die schlankere Konstruktionen zugunsten eines steigenden Glasanteils in der Fassade ermöglichten. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Analyse der an die Gläser gestellten zeittypischen baukonstruktiven Anforderungen. Diese Betrachtung ist mit der Entwicklung der Glasverarbeitung zur Erhöhung der Tragfähigkeit und Sicherheit verbunden. 


Angestrebt wird auch eine geografische sowie zeitliche Einordnung der Glashütten und glasverarbeitenden Betriebe inklusive der logistischen Randbedingungen und den damit verbundenen Reichweiten, um die Verfügbarkeit der Gläser abschätzen zu können. Auf dieser Grundlage werden historische Flachgläser in Bestandsgebäuden mit ihrem Standort und der Bauzeit eingeordnet. Im Zuge dessen wird eine Eingrenzung des spezifischen Bestands auf einzelne Herstellungsverfahren möglich. 


Aktuell existiert kein Methodenkanon mit dem Gläser den unterschiedlichen Herstellungsprozessen zugewiesen werden können. Es werden daher unterschiedliche Bewertungs- und Messverfahren zur Charakterisierung der produktionsbedingten Merkmale, wie optische, sichtbare und punktförmige Fehler, sowie zur Bestimmung der jeweiligen Materialzusammensetzungen entwickelt und verbreitet. Kern der optischen Untersuchung ist die Bestimmung der Materialität der Gläser aus der Zeit der Hochmoderne.

Fördermittelgeber

Das Vorhaben wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen des DFG-Schwerpunktprogramms 2255 „Kulturerbe Konstruktion“ gefördert:  
www.b-tu.de/fakultaet6/forschung/dfg-schwerpunktprogramm-2255