Dr. Viola Hildebrand-Schat

Frau Dr. Viola Hildebrand-Schat ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kunsthistorischen Institut der Goethe- Universität Frankfurt am Main. Sie hat über "Zeichnung im Dienste der Literaturvermittlung. Moritz Petzschs Illustrationen als Ausdruck bürgerlichen Kunstverstehens" promoviert und unlängst ihre Habilitationsschrift über die Literaturrezeption im Werk von Marcel Broodhaers eingereicht. Ausgehend von ihren Tätigkeiten im Bereich des Austellungswesens verfügt sie über umfangreiche Erfahrungen auf dem Gebiet der Gegenwartskunst. Ihr besonderes Interesse gilt den Entwicklungen der russischen Kunst von der Avantgarde bis heute.

 In ihrem Vortrag verortete Frau Dr. Hildebrand-Schat die Entwicklung der russischen Buchkunst im Kontext der Erneuerung der Buchkunst im 20. Jahrhundert, ausgehend von der englischen Arts & Crafts-Bewegung. Am Beispiel der Märchenillustrationen von Ivan Bilibin zeigte sie die charakteristische Verbindung von Anregungen aus der russischen Volkskunst mit Stilisierungstendenzen des Jugendstils und erörterte die enge Verbindung von Bild und Text.

Letztere kam auch in den Büchern des russischen Futurismus zum Tragen, wurde aber im Zeichen der Dekonstruktion von sprachlichen und visuellen Konventionen und unter Nutzung von Reproduktionstechniken wie Lithographie und Linolschnitt und moderner Gestaltungsweisen wie der Collage anders umgesetzt. Paradigmatisch wurde dies anhand von zum Teil auf bewusst einfachem Papier gedruckten Büchern gezeigt, die in der Zusammenarbeit des Dichters Aleksej Kručenych mit Kazimir Malevič, Ol’ga Rozanova und anderen Avantgarde-Künstlerinnen und Künstlern entstanden sind. Anhand einiger Bücher von Ėl’ Lisickij zeigte die Referentin den Übergang von expressionistischen zu konstruktivistischen Gestaltungsweisen in der Buchillustration. Dabei erwies sich sowohl der Rückbezug auf die suprematistische Malerei von Malevič als auch die Einführung einer reduktionistischen Typografie als zentral.

Anhand der ROSTA- Fenster in den frühen 1920er Jahren und der Plakate und Zeitschriften der 1920er und 1930er Jahre, in der Gestaltung Aleksandr Rodčenko, Varvara Stepanova und Gustav Klucis wurde deutlich, dass die sowjetische Buchillustration, in der die Photographie einen wachsenden Stellenwert erlangte, auch einen politischen Auftrag zu erfüllen hatte. Die Praxis der Samizdat, der sich in der Sowjetunion nach dem 2. Weltkrieg als Reaktion auf den wachsenden ideologischen Druck im Zeichen des sozialistischen Realismus eine Reihe von kritischen Schriftstellern wie Aleksander Solšenycin oder Igor' Cholin und Künstler wie Evgenij Kropivnickij bediente, wurde als Voraussetzung der Buchproduktion der Moskauer Konzeptualisten bewertet. Als Beispiele stellte Frau Hildebrand- Schat abschließend Bücher von Boris Mikhailov, Ilya Kabakov und der Künstlergruppe "Die blauen Nasen" vor.