Zwei Gastvorträge: Prof. Dr. Diego Navarro Bonilla (Univ. Carlos III, Madrid) und Martina Clemen (Universität Göttingen)

Professur für Romanische Literaturwissenschaft/Hispanistik
Bamberger Vorträge zu Iberian Studies

Dienstag, 27. Mai 2014 / 20:00 Uhr, U2/01.33

Im Rahmen der Bamberger Vorträge zur Iberian Studies lud die Professur für Romanische Literaturwissenschaft mit Schwerpunkt Hispanistik am Abend des 27. Mai 2014 diesmal zu zwei Gastvorträgen. Martina Clemen (Georg-August-Universität Göttingen) referierte zum Thema »Parallelwelten. Der Kampf um den Bildungskanon in Spanien (1931-1936)«, bevor Professor Diego Navarro Bonilla (Universidad Carlos III Madrid) über »La nación fichada. Archivo y represión en España« sprach. Zu beiden Beiträgen fanden sich zahlreiche Hörer und Hörerinnen ein.

Martina Clemen (Georg-August-Universität Göttingen)
»Parallelwelten. Der Kampf um den Bildungskanon in Spanien (1931-1936)«

Thema des ersten der beiden Gastvorträge vom 27. Mai 2014 war der Bildungskanon in Spanien während der Zweiten Republik. Rednerin Martina Clemen studierte Hispanistik und Galloromanistik an den Universitäten Münster und Göttingen. Seit 2011 promoviert sie am DFG-Graduiertenkolleg Generationengeschichte über literarische Kanonisierungsprozesse und Nation-building im spanischen Bildungssystem.

Clemen begann ihren Vortrag mit einem Überblick zur bildungspolitischen Situation vor der Zweiten Republik (1931 – 1936) in Spanien und zeigte dann anhand des Beispiels einer publizierten Unterrichtslektion mit dem Titel El dolor de la guerra, wie sich der Fokus und die Prioritäten ab 1931 bezüglich der Lernziele veränderten. Das Gedicht des zeitgenössischen galicischen Autors Vicente Medina war – didaktisch aufbereitet – im März 1936 in der Zeitschrift El Magisterio español veröffentlicht worden und trug die Thematik des Krieges als Sujet; ein Thema, das essentiell für Friedens- und Toleranzerziehung – eines der neuen Lernziele – war und es heute noch ist. Die republikanischen Reformen ab 1931 wandten sich gegen ein konservatives System und propagierten Freiheit, Toleranz und Liberalismus. Zudem wurde die Schulbildung kostenlos, konsequenterweise die Schulpflicht eingeführt und die Religionserziehung fakultativ, sowie zweisprachiger Unterricht (in Katalonien) eingeführt, woraufhin es zu einer Frontenbildung zwischen den republikanischen Reformern und den konservativen katholischen Kräften kam.  

Im Anschluss daran wandte sich die Gastdozierende genauer dem literarischen Kanon im Schulunterricht zu. Dieser wurde von staatlicher Seite 1934 in den Blick genommen; der Trend ging nun zu altersgerechter, pazifistischer Literatur mit einem geeigneten Lebensweltbezug – präferiert wurden Fabelsammlungen oder auch Lyrik, keinesfalls sollte mit religiösen Thematiken gearbeitet werden. Die Jahre des Bachillerato wurden in zwei Zyklen à 3 bzw. 4 Jahre aufgeteilt und mit den cuestionarios führte man einen neuen spezifischen Lehrplan ein. Während die ersten drei Jahre noch an die Primaria anknüpfen sollten und in dieser Phase eher locker mit Prosa gearbeitet wurde, begann man im vierten Jahr bereits mit Gattungstheorie und Literaturgeschichte, wobei man sich erst Allgemeinem und Internationalem widmete, bevor man dann mit spanischer Literatur wie etwa dem Cantar de mio Cid oder auch La Celestina arbeitete. Im fünften Jahr wurden schwerpunktmäßig die Literatur des 18.-20. Jahrhunderts, hierbei auch regionale Literatur, sowie Werke aus Hispanoamerika behandelt. In den Folgejahren sollten dann mehrere internationale Werke gelesen werden. Besonderes Augenmerk lag hier auf griechischer und römischer (Ilias, Odyssee etc.) und auf französischer Literatur wie der von Victor Hugo, Pierre Corneille oder Molière. Auch den französischen Aufklärern wurde besondere Aufmerksamkeit geschenkt.

Noch einmal zog Martina Clemen dann sehr anschaulich den Konflikt zwischen Republikanern und Konservativen heran. Auf beiden Seiten gab es Publikationen zur literarischen Bildung und auch pädagogische Fachzeitschriften wurden veröffentlicht. Besonders deutlich wurde die Opposition der beiden Gruppierungen noch, als im August 1935 der 300. Todestag von Lope de Vega zu beklagen war. Die Reformer sahen diesen als nachahmenswertes Vorbild und Personifizierung von Sympathie, Bodenständigkeit, Loyalität, Anständigkeit und Toleranz. Die katholischen Stimmen jedoch standen dem Autor des Siglo de Oro aufgrund dessen privater Promiskuität eher anklagend gegenüber und konzentrierten sich eher auf dessen autos sacramentales um ihrem Leitmotiv razón y fe treu zu bleiben.

Schließlich wurde eine Problematik der republikanischen Bildungspolitik, die Clemen unter dem Terminus der »Orientierungslosigkeit« fasste, angeschnitten. Besonders die vielen Reformen in kurzer Zeit hatten zu einer administrativen und sozialen Überforderung geführt und so mehrten sich Forderungen nach einer einheitlichen Steuerung, insbesondere in Hinblick auf eine von republikanischer Seite nicht präzise konturierte „nationale Identität“. Gerade Schulfächer wie Literatur und Geschichte sollten, so forderten die Republik-affinen Pädagogen, stärker genutzt werden, um einen kollektiven Charakter zu formen und die »Unkenntnis des Vaterlandes« zu beseitigen. Mit der Gründung des franquistischen Bildungsministeriums bereits während des Spanischen Bürgerkriegs im Jahr 1938 endete die in den demokratischen Jahren herrschende Pluralität der Deutungen. Ab diesem Zeitpunkt unterlagen sämtliche unterrichtlichen Inhalte der totalitären national-katholischen Doktrin. 

Prof. Dr. Diego Navarro Bonilla (Universidad Carlos III, Madrid)
»La nación fichada. Archivo y represión en España«

Im Anschluss an den Vortrag von Martina Clemen sprach nun Professor Diego Navarro Bonilla vom Seminar für Archiv- und Bibliothekswissenschaft der Universität Carlos III in Madrid über das Bürgerkriegsarchiv von Salamanca und die Kontrolle über die Gesellschaft während des Franco-Regimes. Professor Navarro Bonillas Forschungsschwerpunkte sind Schreibkultur, Dokumentenmanagement, Spionagegeschichte und Geheimdienstforschung.

Sehr anschaulich führte Navarro Bonilla sein Publikum zu Beginn  an die Thematik der systematischen Unterdrückung heran, indem er aufzeigte, dass es in einer Konfliktsituation immer zwei Wege gebe: den Weg der Waffen und den Weg der Worte. Er zeigte einerseits ein Bild vom August 1936, d.h. einem Monat nach Ausbruch des Spanischen Bürgerkrieges, auf dem deutlich der Kampf mit Waffengewalt zu sehen war, und stellte diesem kontrastiv die schriftliche Dokumentation als Repressionsinstanz gegenüber, denn neben physischer Gewalt wurde auch dieses Medium genutzt, um das spanische Volk zu kontrollieren.

Bereits 1937 wurde in Salamanca eine »Stelle zur antikommunistischen Erforschung und Propaganda« (span.: Oficina de Investigación y Propaganda Anticomunista)gegründet, eine Institution mit der Aufgabe, sämtliche Propaganda der Kommunisten und ihren verwandten Organisationen des Landes zu sammeln, zu analysieren und zu archivieren, um die staatlich gelenkte Gegen-Propaganda zu organisieren, sowohl in Spanien als auch im Ausland. Dabei nahmen sich die franquistischen Kräfte, die direkt dem spanischen Innenministerium unterstanden, das Recht, jegliche Dienststellen ihrer Gegner zu schließen. Das Archiv von Salamanca verwandelte sich in der Folge rasch zu einem der bürokratischen Zentren systematischer Unterdrückung. Man erstellte etwa 2-3 Millionen Personenkarteien, mit denen die sogenannte »Säuberung« der Franco-Diktatur vollzogen werden sollte. Jede von ihnen reduzierte die »verdächtige« Person auf wenige Zeilen, meist handelte es sich um Informationen von politischer Bedeutung; die Machenschaften sind in gewissem Maße mit den Handlungen der Stasi im geteilten Deutschland zu vergleichen.

Zum Thema des Vortrages hat Professor Navarro Bonilla einen besonderen persönlichen Bezug, da auch einige seiner Vorfahren und Verwandte von dieser systematischen Überwachung betroffen waren. Immer wieder zeigt er während des Vortrages Dokumente ebendieser zu Veranschaulichungszwecken.

Heute werden große Teile dieser Archivdokumente des Spanischen Bürgerkriegs (1936-1939) sowie der Nachbürgerkriegszeit im öffentlich zugänglichen »Centro documental de la memoria histórica de Salamanca« aufbewahrt und verwaltet.

Das 2012 im Verlag Espuela de Plata erschienene Buch Morir Matando von Professor Navarro gibt einen spannenden Einblick in die Thematik der sogenannten »Nación fichada« (zu deutsch etwa »archivierte Nation«) der Franco-Zeit.

(von Florian Lützelberger, Juni 2014)