Gastvortrag von Dr. Doris Wieser – Kriminalliteratur in Peru, 29. Oktober 2013

»Politische Gewalt und Terrorismus im Peru der 1990er Jahre. Literatur und Erinnerung«
Bamberger Vorträge zur Lateinamerikanistik

Am 29. Oktober fand ein von der Professur für Romanische Literaturwissenschaft / Hispanistik organisierter Vortrag mit dem Thema »Politische Gewalt und Terrorismus im Peru der 1990er Jahre. Literatur und Erinnerung« statt. Die Gastdozentin Dr. Doris Wieser, zu deren Präsentation sich zahlreiche interessierte Zuhörende einfanden, arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Seminar für Romanische Philologie der Georg-August-Universität in Göttingen. Die Veranstaltung fügte sich thematisch in das Professur-Projekt »Der lange Schatten der Diktaturen. Fiktionale und faktuale Narrationen in der Iberoromania« von Prof. Dr. Rodrigues-Moura ein.

Frau Wieser brachte am Dienstagabend den Studierenden und Lehrenden anhand der Werke Abril rojo von Santiago Roncagliolo und Grandes miradas von Alonso Cueto das Genre des Kriminalromans sowie die sozio-politische Situation in Peru in den 1990er Jahren nahe. Dabei stand zunächst die zentrale Frage nach der aktuellen Bewertung der Kriminalliteratur im Raum. Aufgrund zahlreicher TV-Serien und Romane der Populärliteratur beschränkt sich nach Frau Wieser der Erwartungshorizont des Einzelnen meist auf die Erfüllung einiger weniger Aspekte wie Spannung oder Unterhaltung. In ihrem Vortrag ließ die Gastdozentin das kommerziell sehr erfolgreiche Genre schließlich in einem anderen Licht erscheinen, indem sie zwei Autoren vorstellte, die durch die Behandlung von Themen, die über die üblichen Erwartungen an die Kriminalliteratur hinausgehen, zwei kritische Beiträge zur Vergangenheitsbewältigung innerhalb der peruanischen Literatur bzw. Kultur geschaffen haben.

Nach der Vermittlung des theoretischen Grundgerüsts für die Gattung Kriminalliteratur, deren zentrales Thema das Verbrechen ist, ging die Vortragende auf die politische Situation Perus seit den 1970er Jahren ein, die vor allem geprägt war durch anfängliche Misswirtschaft, das Aufkommen der linken Guerilla-Organisation Sendero Luminoso und deren, sich bald auf einen Bürgerkrieg ausweitenden, Bekämpfung durch den damaligen Präsidenten Alberto Fujimori (1990–2000; ab 1992 regierte er aber nach einem Selbstputsch, »autogolpe«).

Ausgestattet mit diesen Hintergrundinformationen konnten die Zuhörenden schließlich der Vermittlung der Handlung der Romane folgen, in denen referenzielle historische Ereignisse mit fiktiven Mordsituationen verknüpft sind. So verbindet Roncagliolo in seinem 2006 erschienenen Serienmörderroman Abril rojo religiöse Motive, peruanische Legenden und den Sendero Luminoso mit der Aufklärung des Verbrechens. Aufgrund eines mit dem Schriftsteller geführten Interviews konnte Frau Wieser auch dessen Entscheidung für die Verarbeitung realer Begebenheiten in einem Kriminalroman begründen: Bewusst wählte der Autor dieses Genre zur Darstellung nach wie vor brisanter Themen – beispielsweise die Problematik der Versöhnung und Schuldzuweisung im Bürgerkrieg – in der Absicht, auf diesem Weg ein breites Publikum zu erreichen.

Die fiktive Planung eines Attentats auf den ehemaligen Geheimdienstchef Montesinos fokussierend, greift Cueto in seinem 2003 veröffentlichten Roman eine wichtige Persönlichkeit der jüngsten peruanischen Vergangenheit auf. Die Referentin legte anhand von Beispielen dar, wie sich der Autor oftmals der Technik der Innensicht der Figuren bedient, um so seine thematischen Schwerpunkte wie »das Funktionieren von Macht aus psychologischer Sicht« oder »moralisches Verhalten in Extremsituationen« auf anschauliche Weise zu vermitteln.

Im Hinblick auf die Forschungsschwerpunkte der Professur für Romanische Literaturwissenschaft / Hispanistik erwies sich der Vortrag von Frau Dr. Wieser als eine interessante Bereicherung für die Zuhörenden. Im Anschluss an den Vortrag konnte Prof. Rodrigues-Moura Frau Dr. Wieser auch zum Feodor Lynen-Forschungsstipendium für Postdoktoranden der Alexander von Humboldt-Stiftung gratulieren, das sie für das Forschungsprojekt »Politische und literarische Identitätsentwürfe in Portugal, Angola und Mosambik« (2014-2016) erhalten hat.

(von Barbara Decker, Oktober 2013)