Gastvortrag des Anthropologen Prof. Dr. Juan Álvaro Echeverri (Kolumbien)

Träger des Friedrich Wilhelm Bessel-Forschungspreises 2014/15 der Alexander von Humboldt-Stiftung

»Significado ancestral y espiritual del tabaco y la coca para los pueblos indígenas amazónicos«

Bamberger Vorträge zur Lateinamerikanistik

Bamberg, am Mittwoch, 16. Dezember 2015.

Mit Tabak spielt man nicht, lerne zu rauchen! Der wundervolle Vortrag von Prof. Dr. Echeverri ließ schnell erkennen, dass westliche Kategorien für Tabaksucht und Kokain als Drogen, die es auszumerzen gilt, bei indigenen Völkern nicht greifen, deren ursprünglicher Gebrauch der Tabak- und Kokapflanze weiterhin rituellen Praktiken unterliegt. Während Tabakkonsum und Kokain als stärker weiterverarbeitetes und potenteres Endprodukt der Kokapflanze mittlerweile als schädlich und selbstzerstörerisch gelten, sehen indigene Völker Südamerikas die beiden Pflanzen in einem ganz anderen Licht: unter religiösen Aspekten nämlich als mächtige Quellen für Heilung, Schutz und Weisheit, deren Einsatz respektvoll erlernt werden muss.

Die erste Erwähnung des Tabaks in europäischen Arzneibüchern führte diesen noch als Wurmtötungsmittel, bevor es zum Genussmittel und in seinen verschiedenen Darreichungsformen als Schnupftabak, in der Pfeife, als Zigarre und schließlich Zigaretten allmählich immer verbreiteter wurde. Demgegenüber steht noch heute der schamanistische Gebrauch als Heilpflanze, wie man auf der Videoaufnahme von einem kleinen Mädchen sehen konnte, das sichtlich erfreut von einem Heiler Tabakrauch auf die Füße und Handspitzen geblasen bekam. Durch die Einnahme des Tabaks wird Gott genährt und geheilt, und damit auch das Kind, für das die Substanz stellvertretend eingenommen wird. Ausgesprochen bemerkenswert ist hieran, dass dabei eine Unterscheidung in Subjekt und Objekt, Gott und Teil der Schöpfung, Patient und Arzt, oder allzu direkte Kausalzuschreibungen keine Rolle zu spielen scheinen.

Die unterschiedlichen Sichtweisen auf die Tabakpflanze erlebte Echeverri aus erster Hand, als er bei einer Feldforschung von einem curandero, einem indigenen Heiler,darauf hingewiesen wurde, dass das viele Rauchen seinen Körper überhitze und ihm empfahl, einen Monat lang nicht zu rauchen. Nach Ablauf des Monats überraschte ihn der Schamane allerdings erneut mit der Aussage, ein Mann müsse rauchen ‒ wenn ein Sturm kommt z.B. ‒, denn der Tabak sei stark; man müsse jedoch wissen, warum man raucht und dürfe nicht einfach selbstvergessen vor sich hin paffen. In der religiösen Vorstellung der Uitoto im Amazonasgebiet zwischen Brasilien, Peru, Ecuador und Kolumbien hat der Tabak nämlich einen Geist, der, wenn man ihn nicht kennt, schadet. Dieser Geist sei wie ein Jagdhund, mit dem bei richtiger Ausrichtung die Vorfahren kontaktiert werden können.

Die Kokapflanze hingegen habe einen schwachen, milden Geist, und sei dadurch auch gefährlicher, weil einschmeichelnd. Dem traditionellen Konsum der Pflanze, »mambeo« genannt, werden keine kurativen Eigenschaften zugesprochen wie dem Tabak; er ist aber Teil der Erziehung junger Männer und wird daher von manchen auch als mühselig angesehen, da die Praktik mit Aufopferung und Disziplin verbunden ist. Wie eine schöne Frau, die später anfängt, schwierig zu werden, müsse man wirklich bereit sein, mit ihr zusammenzuleben. Nur wer wirklich verliebt sei, hielte das aus. Schon Anbau und Ernte der Pflanze werden mit der achtsamen Behandlung einer Frau verglichen, die sich auf einen sorgfältigen Umgang mit dem eigenen Körper und die Gesundheit übertragen soll: denn stets wird der Kokastrauch andächtig von unten nach oben abgepflückt. Mit der Ehrfurcht, mit der man sie pflückt, wird sie einen auch behandeln. Der Geist der Kokapflanze ist auch der eigene Geist, der erobert werden muss. Die Worte, die man durch den Kokabrauch sprechen soll, werden als süß und kalt beschrieben, denn sie sind freundlich und schaffen in der Gemeinschaft Respekt. Mit dem Geist der Kokapflanze zu sprechen, diszipliniert, und überträgt sich schließlich auf einen grundsätzlich sorgsamen und geschickten Umgang mit sich und anderen weit über den Gebrauch der Pflanze hinaus.

Dass der im Oktober 2014 mit dem Friedrich Wilhelm Bessel-Forschungspreis ausgezeichnete Anthropologe und anthropologische Linguist Juan Álvaro Echeverri am Ende seines Humboldt-Stipendiums überhaupt für diesen Vortrag gewonnen werden konnte, verdankt die Professur für Romanischen Literaturwissenschaft/Hispanistik der Zusammenarbeit mit dem gemeinnützigen Verein Tierra firme, der sich der Förderung der Kulturen Iberoamerikas und der Integration der spanischsprechenden Bevölkerung in Bamberg verschrieben hat.

(von Arndt Lainck, Dezember 2015)