Dr. Elisa Kriza

Prof. Dr. Francisco Castañeda beim Vortrag

Vortrag von Prof. Dr. Francisco Castañeda (Universidad de Santiago de Chile)

Bamberg, am Montag, den 16. Januar 2017

»El desarrollismo en América Latina desde los años 60«

Bamberger Vorträge zur Lateinamerikanistik

Am 16. Januar 2017 fand ein spannender Gastvortrag im Rahmen der Lehrveranstaltung »Erinnerungskulturen und Fiktion in Chile und Argentinien« statt. Wirtschaftsprofessor Francisco Castañeda hielt einen Vortrag über die allgemeine wirtschaftspolitische Entwicklung in Lateinamerika seit den 1960er Jahren mit einem Schwerpunkt auf deren Auswirkungen auf die Hochschulpolitik in Chile.

Professor Castañeda begann seinen Vortrag mit einem Überblick über die wirtschaftspolitischen Entwicklungen in Lateinamerika seit den 1960er Jahren und betonte dabei das Spannungsverhältnis zwischen lokalen Problemen und transnationalen Lösungsvorschlägen. Durch ihre ökonomische Schwäche und geographische Nähe stehen die lateinamerikanischen Staaten unter dem starken Einfluss der Vereinigten Staaten, die einen breiten Konsens zugunsten der Marktwirtschaft auf dem amerikanischen Kontinent erringen konnten. Die hohe Verschuldung lateinamerikanischer Staaten stellte sie zudem in ein Abhängigkeitsverhältnis zum Internationalen Währungsfond und zur Weltbank, die neoliberale Reformen im finanzpolitischen Sektor forderten. So gelten in Lateinamerika seit den 1980er Jahren im Großen und Ganzen die Maximen einer neoliberalen Wirtschaftspolitik und seit den 1990er Jahren werden auch die Strukturprogramme des sogenannten »Washington Consensus« flächendeckend umgesetzt. So veränderte sich grundlegend die bis dahin noch beliebte Politik des »desarrollismo« (developmentalism), die staatliche Lenkung der Industrialisierung. Professor Castañeda fasste den »Washington Consensus« – eine Politik der wirtschaftlichen Liberalisierung – mit dem englischen Spruch zusammen »the best industrial policy is not to have an industrial policy«.

In der zweiten Hälfte seines Vortrags ging Professor Castañeda speziell auf das Thema Hochschulpolitik in Chile seit 1973 ein. Er berichtete darüber, wie die von Augusto Pinochet geführte Diktatur (1973-1990) große Änderungen im Bildungsbereich bewirkt hat. In dieser Zeit wurden die staatlichen Ausgaben für Bildung massiv gekürzt und das Schul- und Hochschulsystem weitgehend privatisiert. Die heutigen Herausforderungen im Bildungsbereich haben ihre Wurzeln in jener Zeit. Trotz wirtschaftlichen Wachstums wird bis heute wenig in Bildung investiert – weit unter OECD-Durchschnitt.

Die Hochschullandschaft in Chile unterscheidet sich deutlich von der in Deutschland: In Chile sind nur 30 der 60 Hochschulen staatlich, und 20 private Hochschulen sind außerdem gewinnorientiert. Des Weiteren müssen Studierende in Chile auch an staatlichen Universitäten sehr hohe Studiengebühren zahlen. Die Höhe der Studiengebühren wird nicht nur durch die Wahl des Hochschultyps beeinflusst, sondern auch von der Wahl des Studienfaches: So kostet ein Medizinstudium deutlich mehr als ein geisteswissenschaftliches Studium. Professor Castañeda wies jedoch darauf hin, dass die hohen Kosten eines Hochschulstudiums in Chile leider nicht mit einer höheren Qualität einhergingen. So erklärte er, warum Menschen aus allen Bevölkerungsschichten mit der aktuellen Lage der Studiengebühren unzufrieden sind, und nicht nur die ärmsten Bevölkerungsgruppen. Ein langer Hochschulstreik im Jahr 2011 forderte, die Studiengebühren zu senken, und verlangte, dass Privathochschulen besseren Qualitätskontrollen unterzogen würden und dass gewinnorientierte Hochschulen geschlossen werden sollten. Bis heute wird heiß debattiert, wie man den Zugang zu Bildung verbessern und eine höhere Qualität des Studiums erzielen kann.

Abschließend fand eine rege Diskussion mit Studentinnen und Dozentinnen statt. Die Studentinnen fragten nach, ob man Studierenden-Bewegungen eher als politisches Handeln oder als soziales Engagement verstehen kann. Hintergrund der Frage war der im Seminar behandelte Vorfall in Argentinien, bei dem aufgrund des Engagements einiger Studierender für ein Studierendenticket im öffentlichen Verkehrsbund diese von der Diktatur der 1970er Jahre verhaftet und zum Teil ermordet wurden, wie es im Buch Die Nacht der Bleistifte dargestellt wird. Professor Castañeda erzählte, dass einige ehemalige Aktivistinnen und Aktivisten der Studierenden-Bewegung von 2011 mittlerweile eine politische Karriere eingeschlagen hätten, betonte aber, dass das Thema der Studiengebühren als gesamtgesellschaftliches Anliegen betrachtet würde. Andere Fragen in der Diskussionsrunde besaßen eher einen praktischeren Charakter und bezogen sich auf das Studentenleben in Chile und auf Austauschmöglichkeiten mit chilenischen Bildungseinrichtungen.

(von Elisa Kriza, Januar 2017)