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Gruppenbild der Exkursionsteilnehmenden

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Gruppenbild der Exkursionsteilnehmenden im Ekhof-Theater, Gotha

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Bühnenbild des Ekhof-Theaters, Gotha

Deambulando discimus – Erfurt als Peripatos – Lope de Vega

Exkursion der Professur für Romanische Literaturwissenschaft/Hispanistik am Dienstag und Mittwoch, 3. und 4. Dezember 2019

Deambulando discimus ­­– Erfurt als Peripatos – Lope de Vega
Exkursion im Rahmen des Hauptseminars »Lope de Vega« (WS 2019/2020)

Die Professur für Romanische Literaturwissenschaft/Hispanistik begab sich im Rahmen des Hauptseminars Lope de Vega unter der Leitung von Herrn Prof. Dr. Rodrigues-Moura am 3. und 4. Dezember 2019 auf eine zweitägige Exkursion nach Erfurt. Dieser Exkursion lag das Konzept des deambulando discimus zugrunde, bei dem ein ausgewählter Ort mit einem Text, der als Grundlage für eine Diskussion dient und diese anregt, durchschritten wird und eine literarische und kulturelle Perspektivierung des ausgewählten Ortes stattfindet. Anknüpfend an die philosophische Schule des Aristoteles wählte die Professur für Romanische Literaturwissenschaft/Hispanistik in diesem Semester Erfurt als Peripatos mit dem Ziel der Verbindung von Lernen und Bewegung aus.

Die Beschäftigung mit dem spanischen Dichter Lope de Vega (1562-1635) und seiner Tragikomödie El caballero de Olmedo aus der Zeit des Siglo de Oro, welche ungefähr von der Mitte des 16. Jh. bis zur Mitte des 17. Jh. reichte, führte uns zu der Betrachtung der im gleichen Zeitraum stattfindenden Ereignisse in Europa und hierbei lenkten wir im Rahmen unserer Exkursion insbesondere unsere Aufmerksamkeit auf den Besuch und die Erkundung historischer Orte und Ereignisse in Erfurt und Gotha.

Am ersten Exkursionstag informierte uns Herr Dr. Reiner Prass (Universität Erfurt), der die Exkursion insgesamt als fachkundiger Stadtführer begleiten sollte, über die Geschichte der Juden in Erfurt und führte uns durch die im Zentrum Erfurts gelegene Alte Synagoge und Mikwe. Bei dieser Synagoge handelt es sich um eine der ersten Synagogenbauten in Deutschland, wobei der älteste Bauabschnitt dem späten 11. Jh. zugerechnet werden kann und von dem Mauerreste noch erhalten geblieben sind. Das Bodenniveau der Synagoge liegt unterhalb des Straßenniveaus, was typisch für Synagogen angesehen werden kann, da man sich so beim Hinuntergehen vor Gott verbeugt. Nach einer baulichen Erweiterung im 12. Jh. und einem Brand im 13. Jh. entstand darauffolgend ein repräsentativer Bau, von dem im Inneren das Lichtergesims zur Beleuchtung der Synagoge mit Kerzen oder Öllampen noch erhalten ist, und schließlich ein Erweiterungsbau Anfang des 14. Jh. Im Jahr 1349 endete schließlich die Nutzung der Synagoge aufgrund des Ausbruchs der Pest in Europa und des anschließenden großen Judenpogroms, bei dem die Juden als Schuldige ebendieser ausgemacht wurden. Infolgedessen fanden in Erfurt ca. 900 Menschen den Tod und Juden in vielen Regionen Europas wurden vertrieben. Die Stadt verkaufte den einstigen Synagogenbau an einen Händler, der ihn zu einem Speicher mit Gewölbekeller und neuem Dachstuhl umbauen ließ, und welcher über Jahrhunderte in dieser Funktion genutzt wurde, während er im späten 19. Jh. schließlich als Restaurant mit Tanzsaal im Obergeschoss diente und dessen aufwendige Dekoration wie Bemalung und Stuckfiguren auch heute noch betrachtet werden können. Nach einer weiteren Nutzung als Lagerhaus wurde 2009 schließlich das heutige Museum eingerichtet, welches über die Geschichte und die Kultur der mittelalterlichen jüdischen Gemeinde in Erfurt aufklärt.

Unsere Führung setzten wir im Keller der Alten Synagoge fort, in dem der sogenannten »Erfurter Schatz« aus dem 13. und 14. Jh. untergebracht ist, der in der Nähe der Alten Synagoge gefunden und wahrscheinlich in großer Eile während des Judenpogroms 1349 zur Rettung im Boden vergraben wurde. Dieser besteht u.a. aus über 3000 Silbermünzen, dazu Silberbarren, Silbergeschirr und einer großen Anzahl an Goldschmiedearbeiten. Besonders hervorheben lässt sich hierbei der aufwendig gestaltete jüdische Hochzeitsring aus Gold, welcher traditionell während der Hochzeitszeremonie getragen wurde. Im ehemaligen Tanzsaal im oberen Geschoss befinden sich die Erfurter Hebräischen Inschriften, die dem 12. bis 14. Jh. zugerechnet werden können. Unsere Führung endete mit dem Besuch der Mikwe (rituelles Tauchbad), in der die rituelle Reinigung z.B. nach der Geburt eines Kindes vorgenommen wird.

Im Anschluss an unsere Führung über das jüdische Leben in Erfurt kam die Verbannung der Juden 1492 aus Spanien zur Sprache und Herr Prof. Dr. Coronel Ramos, der am Lehrstuhl für Klassische Philologie an der Universität Valencia lehrt und in diesem Wintersemester als Gastprofessor an der Professur für Romanische Literaturwissenschaft/Hispanistik tätig ist, unterrichtete uns über die spanische Inquisition.

Während unserer Führung »Auf den Spuren Luthers« veranschaulichte Herr Prass die Präsenz Luthers in Erfurt. Luther lebte zehn Jahre lang von 1501 bis 1511 in Erfurt, bei der es sich zu jener Zeit um eine große und bedeutende Stadt handelte, so z.B. aufgrund des Fernhandels und der großen Bedeutung als Handelszentrum der Waidpflanze, mit deren Hilfe Färbemittel für die Blaufärbung von Stoffen hergestellt wurde und die der Region zu beachtlichem wirtschaftlichen Wohlstand verhalf.

Wir besuchten die Alte Universität (Collegium maius), an der sich Luther 1501 als Student der Sieben Freien Künste einschrieb, und die Georgenburse, von der man annimmt, dass Luther dort während seiner Studentenzeit wohnte. Die im späten 14. Jh. gegründete und die zu Luthers Zeiten ein hohes Renommee innehabende Universität war die erste in Deutschland und eine der ersten in Europa, an der nicht nur Kirchenrecht, sondern auch Zivilrecht studiert werden konnte. 

Nach Beendigung seines Grundstudiums 1505 und der Promotion zum Magister Artium wandte sich Luther dem Jurastudium zu. Dieses verfolgte er jedoch nur kurze Zeit und somit besuchten wir auf unserem Rundgang das ehemalige Augustinereremitenkloster, in das Luther 1505 eintrat und Mönch wurde. Hier widmete er sich entscheidenden Fragen wie der Frage, wie der Mensch Gottes Gnade erlangen könne und er wandte sich von der Vorstellung der Werkgerechtigkeit ab, nach der die Erlangung ebendieser durch gute Werke zu erreichen sei, hin zu der Überzeugung, dass dem Menschen Gottes Gnade unabhängig von seinen Werken zuteilwerde. Wahrscheinlich in der Kilianskapelle des Erfurter Doms wurde Luther im April 1507 zum Priester geweiht und zog schließlich 1511 nach Wittenberg.

Aufgrund der Ausbreitung der in den folgenden Jahren von Luther ausgelösten protestantischen Reformbewegung erfolgte die Einberufung des Konzils von Trient (1545-1563), das Reformen zur Glaubenslehre und zum innerkirchlichen Leben hervorbrachte, welche schließlich die Gegenreformation einleiteten. Die Wirkung und Verbreitung des Protestantismus erstreckten sich auf West-, Mittel- und Nordeuropa bzw. auf die entstehenden Kolonien. Es zeigt sich jedoch, dass sich dieser in Spanien trotz z.B. der Übersetzung von Texten Luthers durch Juan de Valdés nicht etablieren konnte und im Zuge der Reaktion der Inquisition gänzlich aus Spanien verschwand.

Auf unserem Rundgang kamen wir auch an dem in der Erfurter Altstadt gelegenen Kaisersaal vorbei, der zu den ältesten Veranstaltungshäusern Europas zählt. In dem ehemaligen und hauptsächlich von der Universität genutzten Ballhaus führte Goethe ab 1791 mit dem Hoftheater aus Weimar Stücke auf und die Prosafassung von Schillers Don Carlos wurde hier uraufgeführt. Kaiser Napoleon I. lud 1808 zu einem europäischen Fürstenkongress in das Ballhaus ein, bei dem u.a. der russische Zar Alexander I. anwesend war, und so führte die Comédie-Française dort ungefähr drei Wochen lang Tragödien u.a. von Corneille auf.

Am zweiten Exkursionstag war ein Tagesausflug nach Gotha geplant. Zuerst besuchten wir Schloss Friedenstein, welches in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges von Herzog Ernst dem Frommen von Sachsen-Gotha-Altenburg erbaut wurde und von 1646-1945 bewohnt war.

Ein besonderes Augenmerk legten wir auf den Besuch des im Westturm befindlichen Ekhof-Theaters, welches Herzog Friedrich I. von Sachsen-Gotha-Altenburg errichten ließ und das als das älteste Barocktheater mit noch original erhaltener hölzerner Bühnenmaschinerie gilt. Das 165 Plätze umfassende Theater diente zunächst eigentlich als Ballsaal, jedoch wurde dieser ab 1680 nachträglich zu einem Theater umgebaut. Der heutige Zustand entspricht mit Ausnahme der modernen Beleuchtung dem originalen Zustand. Seit 1996 finden im Ekhof-Theater jährlich Theaterveranstaltungen während des Ekhof-Festivals statt, bei denen wie schon seit Jahrhunderten die Kulissenschnellverwandlungsmaschinerie, die per Hand von bis zu fünfzehn Personen betrieben wird, zum Einsatz kommt. Hierbei werden die Kulissen, das Rückprospekt und die Soffitten auf Schienen verschoben und das Bühnenbild kann somit, da diese durch ein System u.a. aus Seilen miteinander verbunden sind, gewechselt werden. Der technische Aufbau ermöglicht einen Wechsel zwischen insgesamt drei unterschiedlichen Bühnenbildern in kürzester Zeit. Des Weiteren konnten Effekte wie Donner und Wind durch technische Aufbauten erzeugt werden. Üblicherweise fungierten Hofbeamte und Mitglieder der fürstlichen Familie als Schauspieler an dem nur für Angehörige des Hofes zugänglichen Theater, wobei besonders die Fürstenkinder das freie Bewegen erlernen sollten. Gerne wurden französische Theaterstücke gespielt, so u.a. Voltaire, der sich 1753 für ungefähr fünf Wochen auch persönlich als Gast auf Schloss Friedenstein aufhielt. 1775 gründete Herzog Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg das ständige Hoftheater, welches aus einem festen Schauspielensemble bestand und exklusiv für das Schlosstheater aufführte. Somit entstand das erste stehende deutsche Hoftheater und im selben Jahr war das Theater nun auch dem Bürgertum zugänglich. Bis ins 19. Jh. trug es den Namen »Hoftheater«, wurde dann aber in »Ekhof-Theater« nach Conrad Ekhof umbenannt, der als »Vater der deutschen Schauspielkunst« gilt und der versuchte, den Schauspielstand insgesamt aufzuwerten. Ekhof war seit 1774 als Schauspieler am Theater in Gotha tätig und übte auch die Direktion aus.                    

Im Zuge der Beschäftigung mit dem Ekhof-Theater aus dem 17. und 18. Jh. verglich Herr Prof. Dr. Rodrigues-Moura dieses mit dem Theater in Spanien in der Zeit des Siglo de Oro. Hierbei zeigten sich die unterschiedlichen Formen des Theaters und des Bühnenaufbaus, wie der im städtischen Raum integrierten und dem zahlenden Publikum offenstehenden corral-Bühne, die nur dem höfischen Publikum zugänglichen Palastbühne (teatro palaciego) und der für religiöse Stücke im Kontext religiöser Feierlichkeiten gebrauchten transportablen carro-Bühne. Aus der im öffentlichen Raum befindlichen corral-Bühne, auf der Theaterstücke unter freiem Himmel aufgeführt wurden, entwickelte sich am Hof das teatro palaciego, bei dem es sich wie bei der Hofbühne des Theaters in Gotha um einen geschlossenen Raum mit Perspektivbühne und detailreichen Kulissen handelte. So kam wie auch bei dem Theater von Gotha eine Bühnenmaschinerie zum Einsatz, die aufwendigere Schauspielinszenierungen mit ausgefeilten Effekten ermöglichte. In Gotha entstand 1775 das erste deutsche Hoftheater und das Bürgertum wurde daraufhin zu diesem zugelassen, währenddessen auch am Hof in Madrid dem städtischen zahlenden Publikum der Zugang zum Theater gewährt wurde, wobei sowohl in Gotha als auch in Madrid mit den Eintrittsgeldern die Kosten der aufwendigen Theaterinszenierungen gesenkt werden konnten.                            

Abschließend besichtigten wir nach der Erkundung des Ekhof-Theaters das Schlossmuseum als Teil von Schloss Friedenstein und das angrenzende Herzogliche Museum, welches zwischen 1864 und 1879 errichtet wurde. Hierbei richteten wir unsere Aufmerksamkeit u.a. auf Gemälde von Lukas Cranach dem Älteren, der ein enger Freund Martin Luthers war und Luthers reformatorische Ideen und Thesen in Bilder umsetzte, sowie auf die aus sechs Figuren bestehende Figurengruppe der commedia dell’arte, die aus dem zur damaligen Zeit beliebten Böttgersteinzeug gefertigt worden war.    

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es sich um eine sehr facettenreiche und informative Exkursion gehandelt hat. Mit dem Konzept des deambulando discimus haben wir Bewegung und Lernen miteinander verbunden und die Tragikomödie Lope de Vegas, die zeitliche Epoche des Siglo de Oro und die zeitgleich stattfindenden Ereignisse in Erfurt, die z.B. mit Martin Luther und der Reformation einen großen Einfluss über die Landesgrenzen hinaus hatten, miteinander in Verbindung gebracht und kontextualisiert. Neben dem Fokus auf dem wissenschaftlichen Aspekt kam auch das persönliche Miteinander nicht zu kurz, wie z.B. durch den Besuch des Erfurter Weihnachtsmarktes und das gemeinsame Essen, welches begleitet von anregenden Gesprächen den Zusammenhalt des Kurses gefördert hat und von einem respektvollen Umgang begleitet wurde. Hierbei thematisierten wir auch das erste deutsch-deutsche Gipfeltreffen seit der Teilung Deutschlands, als Bundeskanzler Willy Brandt 1970 zu Gesprächen zum DDR-Ministerratsvorsitzenden Willi Stoph nach Erfurt reiste und die vor dem Hotel »Erfurter Hof« versammelte Menschenmenge »Willy Brandt ans Fenster!« skandierte, und so berichteten einige Exkursionsteilnehmende auch über ihre von den politischen Ereignissen des Kalten Krieges geprägte Biographie.

(Nadine Kley, Dezember 2019)

 

Das Hauptseminar über Lope de Vega und die Vorlesung über Baltasar Gracián bilden ein Modul mit Schwerpunkt Siglo de Oro.