Zwischen Wirklichkeitserzählung und Selbstzeugnis: Persische Pilgerberichte der Kadscharenzeit

Projektleitung: Prof. Dr. Roxane Haag-Higuchi & Prof. Dr. Birgitt Hoffmann

Mitarbeiter: Thomas Ecker, M.A.

Laufzeit: 08/2021 bis 07/2024

Im Mittelpunkt des von der DFG geförderten Projekts steht die vergleichende Analyse persischer Pilgerberichte aus der Kadscharenzeit. An der Popularität des Genres hatte der Herrscher, Nāṣir ad-Dīn Šāh (reg. 1848-1896), selbst großen Anteil, nämlich als Verfasser eines schon bald nach seiner Rückkehr 1871 gedruckt vorliegenden Reisetagebuchs zu den heiligen Stätten der Schia im Irak, aber auch als jemand, der andere, insbesondere Mitglieder aus dem Umfeld der Familie und des Hofes, zum Abfassen solcher Berichte ermuntert hat. Daher war es naheliegend, sein irakisches Reisetagebuch und die umfänglichen Berichte zweier kadscharischer Prinzen über ihre Wallfahrt nach Mekka auszuwählen und vergleichend zu betrachten. Diese Reisen außerhalb des iranischen Territoriums konfrontierte die Verfasser mit politischen, gesellschaftlichen und technologisch-zivilisatorischen Neuerungen in den unmittelbar benachbarten Ländern. In ihren Aufzeichnungen lässt sich die Verarbeitung dieser Eindrücke und Erfahrungen nachverfolgen. Sie werfen Schlaglichter auf die intellektuelle und mentale Verfasstheit der iranischen Hofgesellschaft in einer Zeit beschleunigten Wandels. Inhalt, Form, Sprache und Kontext der Pilgerberichte werden befragt im Hinblick auf die beschriebenen Lebens- und Erlebniswelten, die Selbstdarstellung der Verfasser sowie die Wahrnehmungsmuster und Erzählmodi, welche den Texten zugrunde liegen und sie strukturieren. Darüber hinaus werden die sozialen und kulturellen Kontexte eruiert, in denen sie entstanden sind und auf die sie zurückwirkten. Um der Vielschichtigkeit der Texte gerecht zu werden und nicht in einer deskriptiven Fallstudie zu verharren, wird auf eine Vielfalt methodisch-theoretischer Zugänge rekurriert. Dazu gehört etwa das Konzept der „Wirklichkeitserzählungen“, welches dem Unterschied zwischen fiktionalem und faktualem Erzählen Geltung verschafft. Die formale Analyse orientiert sich an Konzepten und Begrifflichkeiten der Textanalyse und Erzähltheorie. Die inhaltsbezogene Analyse nimmt die Ebenen der Weltbeschreibung und des subjektiven Erlebens und ihrer Wechselbeziehung gleichermaßen in den Blick. Das Augenmerk richtet sich dabei vor allem auf die kognitive Konstruktion des politischen und sozialen Raumes, insbesondere auf die Wahrnehmung von Grenzen, auf die Formierung territorial geprägter Vorstellungen von Staatlichkeit und die daraus resultierende Positionierung Irans in der nahöstlichen Staatenwelt. Die Beschreibung und der Vollzug religiöser Rituale, die Sonderstellung der Schiiten und die Wahrnehmung sakraler Landschaften bilden ein weiteres Themenbündel.