Neuer Artikel in Governance

In einem neuen Artikel des Journals Governance untersuchen Jonathan K. Klüser (Universität Zürich), Ulrich Sieberer und David Schmuck die ministerielle Zusammenarbeit bei Gesetzesvorhaben der deutschen Bundesregierung.

Die Verantwortung für die Ausformulierung von Gesetzesvorhaben liegt oftmals im Zuständigkeitsbereichs eines Bundesministeriums. Die Ausformulierung bedarf aber häufig auch die Mitwirkung und Abstimmung anderer Ressorts. In Koalitionsregierungen teilen sich die Koalitionsparteien die Ressorts untereinander auf und haben oftmals unterschiedlicher Zielvorstellung über einzelne Sachmaterien. In der Studie argumentieren die Forscher, dass Koalitionsregierungen sich auf ein gemeinsames inhaltliches Programm verschreiben und Koalitionsparteien durch die Mitwirkung bei der Ausarbeitung von Gesetzesvorhaben des anderen Koalitionspartners ein einseitiges Abweichen von der gemeinsamen Kompromisslösung verhindern können. Die Forscher vermuten, dass Koalitionspartner bei Gesetzesvorhaben, deren Zuständigkeitsbereich stärker zwischen Koalitionsparteien aufgeteilt ist, häufiger sich beteiligen. Zudem sollte der Effekt der Mitwirkung stärker sein, wenn die Koalitionspartner eine stärker voneinander abweichende Vorstellung über die ideologische Idealposition der Gesetzesmaterie haben.

Anhand über 2800 Gesetzesvorhaben 11 verschiedener Bundeskabinette und der Mitwirkung von verschiedenen Bundesministerien in Deutschland im Zeitraum von 1976 bis 2013 zeigt sich, dass Bundesministerien verschiedener Koalitionsparteien wahrscheinlicher an einem Gesetzesentwurf sich beteiligen, wenn die tangierte Sachmaterie des Gesetzvorhabens stärker zwischen Bundesministerien der verschiedenen Koalitionsparteien aufgeteilt ist. Koalitionsparteien beteiligen sich insbesondere dann wahrscheinlicher bei Gesetzesvorhaben der anderen Koalitionspartei(en), wenn die Koalitionsparteien sich stärker ideologisch unterschiedlich zu der Sachmaterie positionieren und somit Risiko besteht, dass der Koalitionspartner eine vom Koalitionskompromiss abweichende und die eigene Position stärker vertretendes Gesetz umsetzt.

Figure 1: Klüser et al. 2023

Die Ergebnisse haben wichtige Implikationen für das Verständnis von der Arbeitsweise bzw. Kontrollmechanismen in Koalitionsregierungen. In bisheriger Forschung zu Gesetzesvorhaben wurde insbesondere der parlamentarische Teil des Gesetzgebungsprozesses berücksichtigt wurde (z.B. durch Abänderung von Gesetzesvorhaben in parlamentarischen Ausschüssen). Es zeigt sich aber, dass ein wichtiger Teil der Koalitionskontrolle bei Gesetzesvorhaben bereits in der Ausformulierung innerhalb des Kabinetts und somit außerhalb der öffentlichen Aufmerksamkeit stattfindet.

Klüser, Jonathan K.; Schmuck, David; Sieberer, Ulrich (2023): Colleagues or adversaries: Ministerial Coordination Across Party Lines. In: Governance. https://doi.org/10.1111/gove.12784