Koordinationsausschüsse als parlamentarische Agendasetzer (CoCoPAS)

Inhalt und Ziele

Agenda Setzung, also die Entscheidung, über welche Themen im politischen Diskurs gesprochen und entschieden wird, ist ein wichtiges Element repräsentativer Demokratien. Agenda Setzung beeinflusst politische Prozesse und Verhalten, bestimmt Machtverhältnisse zwischen verschiedenen Akteuren, und wirkt auf den Parteienwettbewerb und politische Ergebnisse. Da politischer Wettbewerb zu großen Teilen im Parlament erfolgt, ist die Bestimmung der parlamentarischen Agenda von besonderer Bedeutung. In vielen Parlamenten wird diese von Koordinationsausschüssen bestimmt, im deutschen Bundestag beispielsweise durch den Ältestenrat. Dennoch sind die Funktionsweise und der Einfluss dieser Ausschüsse, die üblicherweise Parlamentspräsident*in, Fraktionsvertreter*innen und Repräsentant*innen anderer Fachausschüsse umfassen, in vergleichender Sicht kaum erforscht.

Das von der DFG geförderte Forschungsprojekt „Coordination Committees as Parliamentary Agenda Setters (CoCoPAS)“ untersucht und vergleicht die Rolle von Koordinationsausschüssen in etwa 30 europäischen Parlamenten. Das Projekt erfasst die Agendasetzungsregime dieser Parlamente im Allgemeinen und den Einfluss von Koordinationsausschüssen im Besonderen. Im Mittelpunkt der vergleichenden Beschreibung stehen die Zusammensetzung und Ressourcen dieser Ausschüsse sowie die Regel und Prozesse ihrer internen Entscheidungsfindung. Analytisch stellt sich die Frage, ob Ausschussmitglieder allein aufgrund ihrer Parteiziele handeln oder ob innerhalb des Ausschusses eine parteiübergreifende, auf das Gesamtparlament bezogene Gruppenidentität entsteht und handlungsleitend wird.

 

Methode (und Daten)

Das CoCoPAS Projekt beschreibt und erklärt die Arbeit und den Einfluss parlamentarischer Koordinationsausschüsse in Europa. Hierzu wird eine Mischung aus quantitativen und qualitativen Primärdaten erhoben und mit verschiedenen Methoden ausgewertet. Zum einen werden Agendasetzungsregime sowie die Rolle der Koordinationsausschüsse mittels Dokumentenanalyse und anhand einer standardisierten (online) Umfrage erhoben und beschrieben. Hierbei interessieren uns vor allem die Zusammensetzung, die internen Entscheidungsregeln und Ressourcen dieser Ausschüsse. Die Daten werden unter Zuhilfenahme verschiedener quantitativer Methoden analysiert und der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Zum anderen untersuchen wir die Entscheidungsfindung innerhalb ausgewählter Koordinationsausschüsse in vergleichenden qualitativen Fallstudien. Auf Basis von Sitzungsprotokollen und Experten-Interviews wird untersucht, ob und wenn ja wie verschiedene Koordinationsausschüsse trotz widerstreitender Interessen der handelnden Akteure internen Konsens herstellen.

 

Gesellschaftliche Relevanz und Nutzung der Ergebnisse

Parlamente sind aus demokratietheoretischer Sicht die zentrale Arena der politischen Auseinandersetzung – entsprechend wichtig ist die Frage, wer darüber entscheidet, welche Themen im Parlament besprochen und entschieden werden. Damit kommt parlamentarischer Agendasetzung eine zentrale Bedeutung für repräsentative Demokratien zu. Dennoch wissen wir aktuell sehr wenig über die parlamentarischen Akteure, die diesen Prozess verantworten, und die Dynamiken, nach denen sie handeln. Das CoCoPAS Projekt verspricht hier neue Erkenntnisse mit direkter Relevanz für das Verständnis politischen Wettbewerbs in europäischen Demokratien. Durch den Fokus auf die Herausbildung und Folgen von Gruppenidentitäten in Ausschüssen sind die Befunde des Projekts wissenschaftlich über die Parlamentsforschung hinaus auch für Nachbardisziplinen wie die Soziologie und (Sozial-) Psychologie relevant.

 

Bamberger Kompetenzen

Die vergleichende Parlamentsforschung ist seit langem ein Forschungsschwerpunkt von Prof. Sieberer und der vergleichenden Politikwissenschaft an der Universität Bamberg. Das Projekt baut direkt auf dieser Expertise auf. Zudem ist es Teil eines Forschungsverbundes der Bamberger Politikwissenschaft, in dem die Entstehung und Handlungsfähigkeit von horizontal (d.h. nicht hierarchisch) strukturierten Kollektivakteuren in verschiedenen Bereichen der Politik untersucht wird. Weitere Informationen zum dem Forschungsverbund finden Sie unter www.collectiveagency.de.

 

Publikationen mit Projektbezug

Euchner, Eva-Maria and Frech, Elena. 2021. "Mandated Representation: Exploring the Consequences of Gender Quota Design on Parliamentary Activity", Parliamentary Affairs (forthcoming).

Hönnige, C. & Sieberer, U. (2011). Germany: Limited Government Agenda Control and Strong Minority Rights. In B. E. Rasch & G. Tsebelis (Eds.), The Role of Governments in Legislative Agenda Setting (pp. 21-37). London: Routledge.

Müller, W. C., & Sieberer, U. (2014). Procedure and Rules in Legislatures. In S. Martin, T. Saalfeld, & K. W. Strøm (Eds.), The Oxford Handbook of Legislative Studies (pp. 311–331). Oxford: Oxford University Press.

Sieberer, U. (2006). Agenda Setting in the German Bundestag. A Weak Government in a Consensus Democracy, German Politics 15(1), 49-72.

Sieberer, U. & Höhmann, D. (2017). Shadow Chairs as Monitoring Devices? A Comparative Analysis of Committee Chair Powers in Western European Parliaments. Journal of Legislative Studies 23(3), 301-325.

Sieberer, Ulrich/Meißner, Peter/Keh, Julia F./Müller, Wolfgang C., 2016, Mapping and Explaining Parliamentary Rule Changes in Europe: A Research Program, Legislative Studies Quarterly 41 (1), 61-88.