Die Kurie St. Philippus und Jakobus auf dem Bamberger Domberg

Bauforschung für das Großinventar „Bayerische Kunstdenkmäler“

Stefan Breitling, Anna Nöbauer, Christian Schalk

Seit 1992 zählt die Altstadt von Bamberg zum UNESCO-Welterbe, da sie in einzigartiger Weise die mitteleuropäische Stadt repräsentiert, welche sich auf frühmittelalterlichen Grundstrukturen entwickelte. Als Teil dieser frühen Stadtstruktur sind die Kurien auf dem Domberg ein exemplarisches Zeugnis des mittelalterlichen Wohnbaus. Bei den Gebäudekomplexen handelt es sich um Hofanlagen, die aus mehreren Gebäuden bestehen. Dazu gehörten meist ein steinerner Wohnbau, Wirtschaftsgebäude und eventuell eine Kapelle sowie ein Hofraum und Gärten. Die Anlagen wurden seitens des Domstifts als Lehen an den jeweiligen Domherren vergeben. Obwohl diese im heutigen Bestand eher unscheinbaren Bauten der mittelalterlichen Stadt Bamberg eher abseits der öffentlichen Wahrnehmung stehen, bieten sie einen weitreichenden Quellenwert, welcher sich mit den Methoden der historischen Bauforschung erschließen lässt und am Beispiel des Domherrenhofes „St. Philippus und Jakobus I” (heute Obere Karolinenstraße 4 und 4a) in exemplarischer Weise greifbar wird.

Der Gebäudekomplex wurde als Teil der Inventarisierung für das Großinventar „Die Kunstdenkmäler von Bayern – Stadt Bamberg, Bd. 2: Domberg, Teilband 2,3 – Domburg und Domherrenhöfe“ vermessen und bauforscherisch untersucht. Er befindet sich am Nordrand des Domberges zwischen der Oberen Karolinenstraße (früher Burggasse) und der Aufseßstraße (früher Hadergasse). Heute grenzt das Anwesen im Osten an den westlichen Flügel der Neuen Residenz und deren Nebengebäude. Im Westen befindet sich die Obere Karolinenstraße 6, Kurie St. Philippus und Jakobus II, die ehemals ein Teil der ursprünglichen Anlage war.

Die Bamberger Inventarinitiative unter der Leitung von Herrn Dr. Exner (Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege) nimmt mit der Erarbeitung eines siebenbändigen Großinventars eine Sonderstellung in der Inventarisation und Denkmalforschung ein.  Im klassischen Sinne kann unter der Inventarisation die vollständige und präzise Erfassung der Denkmäler mithilfe wissenschaftlicher Methoden in Form von Text, Abbildung und Plänen verstanden werden. Die Konzeption des Inventarbandes zu den Domkurien verfolgt einen Mittelweg zwischen klassischer Inventarisation und weiterführender Bauforschung an ausgesuchten Einzelobjekten. Zur Bearbeitung gezielter Fragestellungen sind freie Bauforscher, Restauratoren und Fachwissenschaftler beteiligt, um wesentliche Forschungslücken zu schließen und einen weitreichenden Erkenntnisgewinn zur Bau- und Veränderungsgeschichte zu ermöglichen. Die universitäre Beteiligung am Inventar erlaubt sowohl methodische als auch inhaltliche Möglichkeiten der Erkundung,  Erneuerung und Weiterführung von Forschungsmethoden und -fragen.

Zur Analyse des baulichen Bestandes und zur exakten Befundverortung wurden vom gesamten Gebäudekomplex Obere Karolinenstraße 4 (St. Philippus und Jakobus I) mit allen Kellern sowie vom Umgriff bis zur Alten Hofhaltung, dem Domplatz und der Aufseßstraße terrestrische Laserscans erstellt, welche die räumliche Situation in diesem Bereich des Dombergs exakt abbilden. Durch die Einbindung der Vermessung in ein übergeordnetes Messnetz und an die Referenzierung der 3D-Scans des Bamberger Doms wurde die Herstellung von genauen Höhenbezügen möglich (Abb. 2). Auf dieser Grundlage konnten begründete Rückschlüsse auf die historische Topografie des Domberges gezogen werden, welche sich in den vergangenen Jahrhunderten deutlich veränderte.

Aus den Punktwolken der 3D-Scans und den tachymetrischen Messungen wurden verformungsgerechte Pläne erstellt. Für bauliche Details wurden ergänzende Handaufmaße angefertigt. Die Überlagerung verschiedener Aufmaßmethoden ermöglichte weiterführende Analysen. Insbesondere die Überlagerung von Plänen und IR-Aufnahmen legte zerstörungsfrei bauliche Strukturen unter der verputzten Fassade offen. Durch dendrochronologische Untersuchungen wurde deutlich, dass ein Großteil der baulichen Substanz des Gebäudes noch aus dem 14. Jahrhundert stammt (Abb. 3). 
Die Kombination aller Messungen, Einzelanalysen und baulichen Befunde erlaubte die Erstellung einer relativen Chronologie. Während der bisherige Kenntnisstand zur Baugeschichte weitestgehend auf der Darstellung der Kurie im Zweidlerplan von 1602 (Abb. 4) basierte, konnte auf Grundlage der Befundanalyse eine detaillierte Bau- und Veränderungsgeschichte rekonstruiert werden (Abb. 5).

Bereits für das 13. Jahrhundert ist ein steinernes Gebäude nachweisbar, das bis heute in seinen Grundmauern erhalten geblieben ist. Vermutlich handelte es sich um eine Kemenate (ein beheizbares Wohngebäude) und einen niedrigeren Saalbau, die direkt an der Dombergmauer an einem steilen Abhang errichtet worden waren. Das damalige Bodenniveau ist heute noch im Kellerraum 01.03 erhalten. Vermutlich bestand noch keine Trennung zwischen den beiden Kurien OK4 und OK6. Die Kurie wurde wohl im Zuge der Auflösung der Vita Communis neu errichtet.

Nach einer umfangfreichen Baumaßnahme zu Beginn des 14. Jahrhunderts umfassten die Wohn- und Repräsentationsbauten der Kurie eine Kemenate und einen Palas, dessen Dach bis heute vollständig erhalten geblieben ist. Die ehemals repräsentative Fassadengestaltung des Baus lässt sich mithilfe der Infrarot-Thermografie nachvollziehen (Abb. 2). Außerdem wurde die Befestigung des Domberges um eine Zwingermauer ergänzt, bei der es sich in diesem Abschnitt wohl um eine Palisade handelte. Im Zweidlerplan von 1602 ist der bauliche Zustand vor den weitreichenden Baumaßnahmen am Domberg in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts abgebildet (Abb. 5). In den Jahren 1538/39 (d) und 1530/31 (d) waren der Nord- und des Südflügel der OK6 errichtet worden. Wohl zeitgleich erfolgte die baulich Trennung der beiden Kurien. Neben der Erweiterung der Kelleranlagen wurde im 17. Jahrhundert der Zwinger verfüllt und eine neue Zwingermauer errichtet. 1881 wurde dem Domherrenhof gegenüber die  Domschule gebaut.

Obwohl die erhaltenen Gebäude der Kurie im Zuge von Nutzungsänderungen in den Jahren nach 1910 und 1979 mehrfach umgebaut wurden, ist ein Großteil der historischen Bausubstanz, Binnengliederung und Ausstattung der vergangen Jahrhunderte bis heute erhalten geblieben und mit bauforscherischen Methoden als historisches Zeugnis lesbar. 

Breitling, Stefan / Nöbauer, Anna / Schalk, Christian: Die Kurie St. Philippus und Jakobus auf dem Bamberger Domberg. Bauforschung für das Großinventar „Bayerische Kunstdenkmäler“, in: Arera-Rütenik, Tobias / Bellendorf, Paul / Breitling, Stefan / Drewello, Rainer / Hess, Mona / Vinken, Gerhard (Hg.): Kompetenzzentrum Denkmalwissenschaften und Denkmaltechnologien 2018-2020, Berichte des KDWT 2, Bamberg 2022, 112-115 (https://doi.org/10.20378/irb-56714).

Breitling, Stefan / Schalk, Christian: Die unterirdischen Anlagen des Dombergs zu Bamberg. Bauwerkserfassung, Archivstudien, Datenreferenzierung, Inventar, in: Arera-Rütenik, Tobias / Breitling, Stefan / Drewello, Rainer / Hess, Mona / Vinken, Gerhard (Hg.): Kompetenzzentrum Denkmalwissenschaften und Denkmaltechnologien 2016-2018, Berichte des KDWT 1, Bamberg 2019, 52-53 (http://dx.doi.org/10.20378/irbo-54686).

Zitationshinweis für diesen Artikel / Parallelpublikation:

Breitling, Stefan / Nöbauer, Anna / Schalk, Christian: Die Kurie St. Philippus und Jakobus auf dem Bamberger Domberg. Bauforschung für das Großinventar „Bayerische Kunstdenkmäler“, in: Arera-Rütenik, Tobias / Bellendorf, Paul / Breitling, Stefan / Drewello, Rainer / Hess, Mona / Vinken, Gerhard (Hg.): Kompetenzzentrum Denkmalwissenschaften und Denkmaltechnologien 2018-2020, Berichte des KDWT 2, Bamberg 2022, 112-115 (https://doi.org/10.20378/irb-56714).