Verzeichnis der Abstracts

 

Keynote Speakers

Stephan Elspaß: Deutsche Auswandererbriefe des 19. Jahrhunderts: Ihr Wert für die Erforschung von Variation, Wandel und Sprachkontakt

Doris Stolberg: Kolonialzeitlicher Sprachkontakt: Deutsch in Neuguinea, Samoa und Kanada

Hans Boas: On comparing extraterritorial German contact varieties around the world

Christian Zimmer: German in Namibia: Grammar between loyalty and innovation

 

Panels Sektion A

Jirayu Tharincharoen: Das Haus ist schöner wie mein Haus! Australiendeutsche Vergleichskonstruktionen aus typologischer Perspektive

Alicia Cipria: Language maintenance and shift: Volga Germans in central Entre Ríos (Argentina) and Kansas (USA)

Anna Ladilova: Collective Linguistic Identity Construction of Volga Germans in Argentinia

Oliver Bunk / Heike Wiese / Britta Schulte: Bare NPs in German in the US, Namibia, and Germany: Results from a comparative corpus study

Rose Fisher: Disappearing Schwas: Morphophonological Patterns of Liquids in Pennsylvania Dutch

Anna Saller: Die tun-Periphrase in extraterritorialen Varietäten des Deutschen – eine qualitative Analyse des Barossa- und Texasdeutschen

Livio Gaeta / Raffaele Cioffi / Marco Bellante / Caterina Saracco / Marco AngsterKorpuslinguistik am Beispiel der walserdeutschen Sprachinseln in Italien – Sprachkontakt, Spracherhaltung, Sprachwandel

Claudia Riehl: Sprachkontakt und Reduzierungsprozesse: Der Abbau der Kasusmarkierung in Kontaktvarietäten des Deutschen aus einer gebrauchsbasierten Perspektive

Claudia Pavan: Untersuchung des Prozesses der Pattern Replication im Hunsrückischen als Übersetzungsphänomen, das durch den Sprachkontakt mit der portugiesischen Sprache in Brasilien entstanden ist

Caroline Reher: Deutsch in Chile - Ein Vergleich der Satzverknüpfung in extraterritorialen Varietäten des Deutschen

Martin Hansen: Sprachvariation und Sprachkontakt in Existenzverbkonstruktionen des Pomerano

 

Panels Sektion B

Adam Tomas: Eine kontrastive Gegenüberstellung der linguistischen Selbstreflexion. Wie sehen die Amischen und wie die Donauschwaben sich selbst als Sprachentität

Oliver Bunk / Maike Rocker: „Auf einmal ich hör nur noch so“ – Prosodic realization of V3 declaratives across German varieties

Nantke Pecht / Maike Rocker: Methodological Challenges in Corpus Research – Untangling Morphosyntactic Variation in Contact Settings of Closely-related Varieties

Göz Kaufmann: Edelgund und Celinha oder: Wie eine komplexe Identität die pommersche Namensgebung in Brasilien beeinflusst

Albrecht Plewnia / Rahel Beyer: Das Varietätengefüge in Ostlothringen um 1880: Ein Beitrag zur historischen Sprachminderheitenforschung

Patrick Wolf-Farré / Caroline Reher: Deutsch in Chile: Ein multiperspektivisches Forschungsprojekt

Manuel Schumann / Sebastian Franz: Interethnische Annäherung und ethnische Exklusivität – Sprachminderheiten im rumänischen Banat

Ellen Jones: The Influence of Gender Roles on Language Maintenance & Language Loss: A new Perspective from Texas German

Lena Stückler: Variation in Unserdeutsch: Von den Herausforderungen linguistischer Analysen in einer wenig erforschten, bedrohten Sprache

Birgit Alber / Joachim Kokkelmanns: Language Drift in Mòcheno, Cimbrian and Hutterisch

 

Abstracts Keynote Speakers

 

Deutsche Auswandererbriefe des 19. Jahrhunderts: Ihr Wert für die Erforschung von Variation, Wandel und Sprachkontakt

Stephan Elspaß

Paris-Lodron-Universität Salzburg (Austria)

Viele der heutigen deutschen Minderheitensprachen bzw. -varietäten auf der Welt haben sich in der Zeit der großen Migrationsbewegungen im ,langen‘ 19. Jahrhundert entwickelt. Zahlreiche Eigenheiten dieser Varietäten sind auf Sprachkontakterscheinungen zurückzuführen. Um die Einflüsse des Kontakts mit den Umgebungssprachen erforschen zu können, ist es freilich zunächst notwendig, ein möglichst genaues Bild von den Varietäten zu bekommen, welche die Migrant*innen mitbrachten. Diese Varietäten umfassen zum einen die historischen gesprochenen Dialekte, die die Dialektologie seit dem 19. Jahrhundert erhoben, dokumentiert und beschrieben hat. Zum anderen liegen den Minderheitsvarietäten aber auch gesprochene schriftnahe Varietäten der Zeit zugrunde, wie sie spätestens im Rahmen des Schulbesuchs erworben wurden. Als hilfreiche Quelle zur Rekonstruktion solcher Varietäten haben sich konzeptionell mündliche Texte der privaten Schriftlichkeit, wie etwa Privatbriefe und Tagebücher (Elspaß 2012, 2015), erwiesen. Von besonderem Interesse sind im Kontext der Emigrationen im 19. Jahrhundert Briefwechsel von Auswanderer*innen und deren Angehörigen (s. Deutsche Auswandererbriefsammlung), deren Texte einen Einblick in ein breites Variationsspektrum des „geschriebe­nen Alltagsdeutsch“ weiter Bevölkerungskreise der Zeit gewähren (Elspaß 2005). Darüber hinaus gestatten Briefserien, die sich über mehrere Jahrzehnte erstrecken, Einsichten in Auswirkungen des Sprachkontakts (vgl. etwa Lattey & Tracy 2001) – ebenso natürlich auch Brieftexte, die in der Kontaktsprache verfasst sind (s. etwa Bagwell, Litty & Olson 2019). Im Vortrag werde ich an einem Korpus von Auswandererbriefen des 19. Jahrhunderts den Wert solcher Quellen für die Erforschung von Variation und Wandel des Deutschen sowie auch für die Erforschung von Sprachkontakteinflüssen in Minderheitsvarietäten aufzuzeigen versuchen.

References:

Bagwell, Angela, Samantha Litty & Mike Olson. 2019. Wisconsin immigrant letters. German transfer to Wisconsin English. In Hickey, Raymond (ed.). Keeping in Touch. Emigrant letters across the English-speaking world (Advances in Historical Sociolinguistics 10). Amsterdam/Philadelphia: John Benjamins, 27–41. DOI: 10.1075/ahs.10.02bag

DABS = Deutsche Auswandererbriefsammlung Gotha. In:Auswanderbriefe aus Nordamerika. Zugänglich unter: https://www.auswandererbriefe.de/. Gotha Bibliothek. 

DTA = Deutsches Textarchiv. 2021. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2021. https://www.deutschestextarchiv.de/.

Elspaß, Stephan (2005): Sprachgeschichte von unten. Untersuchungen zum geschriebe­nen Alltagsdeutsch im 19. Jahrhundert. Tübingen: Niemeyer. (Reihe Germanistische Linguistik, 263). DOI:  10.1515/9783110910568

Elspaß, Stephan (2012): The Use of Private Letters and Diaries in Sociolinguistic In­vestiga­tion. In Hernández-Campoy, Juan Manuel & Juan Camilo Conde-Silvestre (eds.): The Hand­book of Historical Sociolinguistics. Chichester: Wiley-Blackwell, 156–169. DOI: 10.1002/9781118257227.ch9

Elspaß, Stephan (2015): Private letters as a source for an alternative history of Late Modern German. In: Auer, Anita, Daniel Schreier & Richard J. Watts (eds.): Letter Writing and Language Change. Cambridge: Cambridge University Press (Studies in English Language Series), 35–52. DOI: 10.1017/CBO9781139088275.004

Lattey, Elsa & Rosemarie Tracy (2001): Language contact in the individual: A case study based on letters from a German immigrant in New Jersey. In: Ureland, Per Sture (ed.). Global Eurolinguistics. European Languages in North America – Migration, Maintenance and Death. Tübingen: Niemeyer, 413–433.

 

Kolonialzeitlicher Sprachkontakt: Deutsch in Neuguinea, Samoa und Kanada

Doris Stolberg

Leibniz-Institut für deutsche Sprache (Deutschland)

Im Fokus des Vortrags stehen Sprachkontaktsituationen des Deutschen außerhalb von Europa in den Jahrzehnten um 1900. Innerhalb dieser historischen Gleichzeitigkeit werden die Auswirkungen von Sprachpolitik und Sprachideologie auf Sprachkontaktphänomene in kolonialen und nicht-kolonialen Szenarien betrachtet und miteinander verglichen.

Während der deutschen Kolonialzeit (1884 bis 1914/19) kam die deutsche Sprache in den kolonialisierten Gebieten (in Afrika, China und Ozeanien) mit einer großen Zahl anderer Sprachen in Kontakt (Engelberg/Stolberg 2016). Sprachliche Folgen dieses Kontakts haben sich dauerhaft etabliert, in Form von lexikalischen Entlehnungen bis hin zur Entstehung neuer Sprachen (z. B. deutschbasierte Pidgin- und Kreolsprachen; Deumert 2009; Lindenfelser 2021; Mühlhäusler 2012; Volker 1991). In anderen Teilen der Welt, insbesondere in Nord- und Südamerika, trat Deutsch zur gleichen Zeit in einem anderen Rahmen in Kontakt mit anderen Sprachen, hier auf der Grundlage von (Im-)Migration, die nicht primär kolonial (im imperialen Sinne) motiviert, sondern auf die Ansiedlung in einem neuen Land ausgerichtet war. Hier etablierten sich teilweise deutschsprachige Minderheitengruppen (z. B. Altenhofen 2016, Boas 2009, Louden 2016).

Diese beiden Kontakttypen sind für das Deutsche bisher weitgehend getrennt voneinander betrachtet worden. Ausgehend von der zeitlichen Konvergenz beider Phänomene untersuche ich in meinem Vortrag, welche sprachbezogenen Parallelen (neben den offensichtlichen Unterschieden) sich identifizieren lassen. Im Fokus des Vergleichs steht einerseits die Sprach- und Sprachenpolitik, insbesondere in Bezug auf den jeweiligen Schulunterricht, und andererseits Aspekte von Sprachideologie und Sprachpurismus, jeweils für ausgewählte Gebiete in Neuguinea, Samoa und Kanada. Anhand von Analysen schriftlicher Daten wird untersucht, welche Auswirkungen auf das Sprachsystem und die Lexik, auf die Sprachwahl und auf die Verwendung und Funktion der deutschen Sprache in den unterschiedlichen Settings erkennbar sind.

Abschließend wird die Frage diskutiert, ob bzw. wie sich kolonialzeitlicher von kolonialem Sprachkontakt unterscheidet. Dies geschieht unter der Prämisse, dass sich diasporische Sprachgemeinschaften wie die hier untersuchten als Teil ihrer Selbstidentifikation in einem kontinuierlichen Ideenaustausch mit der Metropole/dem Herkunftsland befinden, was während der kolonialen Epoche auch in nicht-kolonialen Kontexten notwendigerweise zu einer Rezeption kolonialer Haltungen führt.

Literatur:

Altenhofen, Cléo V (2016): Standard und Substandard bei den Hunsrückern in Brasilien: Variation und Dachsprachenwechsel des Deutschen im Kontakt mit dem Portugiesischen. In: Lenz, Alexandra N. (Hg.): German Abroad: Perspektiven der Variationslinguistik, Sprachkontakt und Mehrsprachigkeitsforschung. Göttingen: Vienna University Press. 103-129.

Boas, Hans C. (2009): The Life and Death of Texas German. Durham: Duke University Press

Deumert, Ana (2009): Namibian Kiche Duits: The making (and decline) of a Neo-African language. Journal of Germanic Linguistics 21. 349–417.

Engelberg, Stefan/Stolberg, Doris (2016): Sprachkontakt in kolonialen Kontexten I: Quellenkundliche Aspekte. In: Stolz, Thomas/ Warnke, Ingo H./ Schmidt-Brücken, Daniel (Hg.), Sprache und Kolonialismus. Eine interdisziplinäre Einführung zu Sprache und Kommunikation in kolonialen Kontexten. Berlin, Boston: de Gruyter. 95-119.

Lindenfelser, Siegwalt (2021): Kreolsprache Unserdeutsch. Genese und Geschichte einer kolonialen Kontaktvarietät. Berlin/Boston: de Gruyter.

Louden, Mark L. (2016):Pennsylvania Dutch. The Story of an American Language. Baltimore, MD: Johns Hopkins University Press

Mühlhäusler, Peter (2012): Sprachliche Kontakte in den Missionen auf Deutsch-Neuguinea und die Entstehung eines Pidgin-Deutsch. In: Engelberg, Stefan/Stolberg, Doris. Sprachwissenschaft und kolonialzeitlicher Sprachkontakt. Sprachliche Begegnungen und Auseinandersetzungen. Berlin: Akademie Verlag. 71–100.

Volker, Craig A. (1991): The birth and decline of Rabaul Creole German. Language and Linguistics in Melanesia 22. 143–156.

 

On comparing extraterritorial German contact varieties around the world

Hans Boas

University of Texas at Austin (USA)

The first part of my talk provides a brief overview of the history of documenting and analyzing the speech of German language minorities around the world (since the 19th century). More specifically, it focuses on methodological issues surrounding different methods of recording spoken data and making them available for linguistic analysis. The second part of my talk reviews how technological innovations in the 20th century allowed for a more detailed way of collecting and archiving spoken language data from so-called German language islands ("Sprachinseln"). In this connection, I will also discuss some early attempts at comparing different extraterritorial varieties of German since the second half of the 20th century, highlighting the role of Standard German as a tertium comparationis in such efforts. The third part of my talk outlines the cornerstones of a systematic approach towards systematically comparing extraterritorial varieties of German. At the center of this approach are recent technological innovations as well as some innovative proposals as to how to analyze specific linguistic phenomena in a theoretically coherent way.  

 

German in Namibia: Grammar between loyalty and innovation

Christian Zimmer

Freie Universität Berlin (Deutschland)

In contrast to many other extraterritorial varieties, German in Namibia can be described as linguistically vital. Language loyalty to (Standard) German plays an important role within the German-speaking community and many efforts are made to preserve this minority language. At the same time, almost all members of the community also use English (the official language of Namibia) and Afrikaans (which has/had the function of a lingua franca in certain domains) in their daily lives (see, e.g., Wiese et al. 2017, Shah & Zappen-Thomson 2018, and Zimmer 2019). In my presentation, I will address how this setting has shaped the language use of the German-speaking community. To this end, selected standard-divergent features, such as gehen (‘go’)as a future auxiliary (ich geh nix auswendig lernen, ‘I’m not going to learn anything by heart’) and the expanded use of the um zu-infinitive (es fällt mir schwer um zu verstehen was die sagen, ‘it is difficult for me to understand what they are saying’) will be examined. I will show that many grammatical innovations can be interpreted as a compromise between loyalty and the reduction of cognitive load in the multilingual setting (Matras 2020). Furthermore, I will argue that grammatical innovations did not start from scratch, but rather build on existing characteristics of German (following Heine & Kuteva 2005). In doing so, I pursue two aims: First, I want to shed more light on how grammar and sociolinguistic aspects interact in a setting like German in Namibia. Second, I will show how quantitative approaches and the use of new resources such as the corpus Deutsch in Namibia (Zimmer et al. 2020) can enhance our understanding of linguistic variation in minority varieties.

Literatur:

Heine, Bernd & Tania Kuteva (2005): Language Contact and Grammatical Change. Cambridge: Cambridge University Press.

Matras, Yaron (2020): Language Contact. 2nd ed. Cambridge: Cambridge University Press.

Shah, Sheena & Marianne Zappen-Thomson (2018): German in Namibia. In Corinne A. Seals & Sheena Shah (eds.), Heritage language policies around the world, 128–147. (Routledge studies in sociolinguistics 15). London & New York: Routledge.

Wiese, Heike, Horst J. Simon, Christian Zimmer & Kathleen Schumann (2017): German in Namibia: A vital speech community and its multilingual dynamics. Language & Linguistics in Melanesia (Special issue: Language Contact in the German Colonies: Papua New Guinea and beyond; ed. by Péter Maitz & Craig A. Volker), 221–245.

Zimmer, Christian (2019): Deutsch als Minderheitensprache in Afrika. In Joachim Herrgen & Jürgen Erich Schmidt (eds.), Sprache und Raum ‒ Deutsch. Ein internationales Handbuch der Sprachvariation, 1176–1190. (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 30.4). Berlin & Boston: de Gruyter Mouton.

Zimmer, Christian, Heike Wiese, Horst J. Simon, Marianne Zappen-Thomson, Yannic Bracke, Britta Stuhl & Thomas Schmidt (2020): Das Korpus Deutsch in Namibia (DNam): Eine Ressource für die Kontakt-, Variations- und Soziolinguistik. Deutsche Sprache 48, 210–232.

 

Panels Sektion A

 

Das Haus ist schöner wie mein Haus! Australiendeutsche Vergleichskonstruktionen aus typologischer Perspektive

Jirayu Tharincharoen     

Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (Deutschland)

Australiendeutsch ist eine extraterritoriale Varietät, die sich in Auflösung befindet. Demnach sind aus morphologisch-syntaktischer Perspektive zahlreiche Simplifizierungsprozesse nachweisbar wie Kasusabbau. Dieser Beitrag fokussiert auf einen Simplifizierungsprozess der australiendeutschen Vergleichskonstruktionen.

Bei Vergleichskonstruktionen sind drei Kategorien vorhanden:

  1. Nicht-Grad Äquativ: Johannes isst wie Johanna.
  2. Grad-Äquativ: Johannes isst schnell wie Johanna.
  3. Komparativ: Johannes isst schneller als Johanna.

Das Standarddeutsche hat zwei Vergleichspartikeln: wie (Äquativ)und als (Komparativ). Dadurch wird das deutsche Vergleichssystem aus typologischer Sicht als Zweiersystem bezeichnet. Überdies finden sich Sprachen, in denen nur eine Vergleichspartikel vorkommt. Beispielsweise wird in deutschen Dialekten wie für alle Vergleichskonstruktionen verwendet.

Die Verdrängung von als durch wie in deutschen Dialektenist aus diachron-typologischer Perspektive eine natürliche Entwicklung zu betrachten, denn die Komparativpartikel entwickelt sich aus einer (Nicht-Grad) Äquativpartikel.

Daher stellt sich die Frage, ob das australiendeutsche Vergleichssystem simplifiziert wird, und zwar ob es sich zum Einersystem entwickelt. Dafür wurde eine Korpusuntersuchung durchgeführt. 356 Belege wurden analysiert, siehe Tabelle 1.

                    Herkunft: Australien               

Herkunft: Deutschsprachige Länder

Nicht-Grad Äquativ

Grad-Äquativ

Komparativ

Nicht-Grad Äquativ

Grad-Äquativ

Komparativ

wie

84% (71)

67% (30)

33% (35)

100% (62)

100% (16)

21% (8)

als

1% (1)

18% (8)

44% (47)

-

-

79% (31)

als wie

15% (13)

15% (7)

23% (25)

-

-

-

Tabelle 1: Tokenfrequenz der Vergleichspartikeln in Prozent (in Klammer = absolute Häufigkeit)[1]

Die Ergebnisse zeigen, dass die aus deutschsprachigen Ländern stammenden Sprecher/-innen ein Zweiersystem aufzeigen. Die in Australien geborenen Sprecher/-innen verwenden zwar wie als Äquativpartikel, aber bei den Komparativkonstruktionen fällt auf, dass als mit weiteren Komparativpartikeln konkurriert, sodass als nicht signifikant ist (X2=1.5794,  df=1, p>0,05).

Anhand der Ergebnisse ist nicht festzuhalten, dass das Einersystem im australiendeutschen Vergleichssystem etabliert ist. wie im Australiendeutschen ist zwar eine vorherrschende Äquativpartikel, aber wie im Komparativ ist weniger belegt als als.

Aufgrund der Konkurrenz von als mit wie kann jedoch vermutet werden, dass als durch wie verdrängt werden wird, denn eine leichte Tendenz, dass sich das Australiendeutsche zum Einersystem entwickelt, liegt vor.

Korpus:

Australiendeutsch (AD): https://dgd.ids-mannheim.de (Letzter Zugriff 21.06.2021)

Literatur:

Clyne, Michael (1981): Deutsch als Muttersprache in Australien. Zur Ökologie einer Einwanderersprache. Wiesbaden: Franz Steiner Verlag.

Jäger, Agnes (2013): „Mehr als (wie) die Summe seiner Teile“ - Vergleichspartikeln in den Dialekten Hessens unter besonderer Berücksichtigung von „als wie“. In: Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik 80(3), 261–296.

Jäger, Agnes (2018): Vergleichskonstruktionen im Deutschen: Diachroner Wandel und  synchrone Variation. Berlin: de Gruyter.

Riehl, Claudia Maria / Plewnia, Albrecht (2018): Deutsch in Australien. In: Handbuch der deutschen Sprachminderheiten in Übersee,  Tübingen: Narr, 9–32.

[1] 2 Belege stammen aus den Sprecher/-innen, die keinen Geburtsort angaben. Daher werden sie nicht hier dargestellt.

 

Language maintenance and shift: Volga Germans in central Entre Ríos (Argentina) and Kansas (USA)

Alicia Cipria

University of Alabama (USA)

Volga German (VG) immigrants arriving in central Entre Ríos (ER) and in Kansas share virtually the same colonies of origin in the Volga area in Russia and similar time of migration to the Americas. Historically, in central ER, VG groups had negligible to no contact with the other big group of German-speaking immigrants to the area; namely, Swiss Germans. On the other hand, Kansas received German-speaking immigrants from different locations: the Volga and the Black Sea, many different places in Germany, Austria and Switzerland, as well as migratory groups which moved to Kansas from other states (Pennsylvania, Illinois, Iowa, Indiana, Ohio, and Wisconsin, among others), (Carman, 1962; Keel, 2006; Khramova, 2011). The difference between a homogeneous group (VGs in central ER) versus a German belt set-up (cf. Boas, 2009 for Texas) in Kansas is examined in relation to maintenance and shift amongst Volga Germans in both areas. Other aspects included in this presentation, under the umbrella of language maintenance and shift (Fishman, 1967 and 1990; Dorian, 2004, among others) are the compared histories of Elementary schooling in terms of German instruction, and in terms of state and national language policies (for example, the effect of the WWI anti-German hysteria in the USA versus no such reaction in Argentina, where German was banned due to WWII); the nature of the different religious groups among VGs (one important contrasting example is the ratio Protestant/Catholic in each area and the absence of Mennonites in central Entre Ríos); preservation efforts in each area; evidence of current VG identity and cultural expression: associations, community events, museums and press, among others.

References:

Boas, Hans (2009): The life and death of Texas German. Publication of the American Dialect Society (93), 1-336.

Carman, J. Neale (1962): Foreign-Language Units in Kansas I. Historical Atlas and Statistics. Lawrence: University of Kansas Press.

Dorian, Nancy (2004): “Minority and endangered languages”. In: Bathia, Tej / Ritchie, William (eds.): The Handbook of Bilingualism, Malden, MA: Blackwell Publishing, 437-459.

Fishman, Joshua (1990): “What is reversing language shift (RLS) and how can it succeed?”. Journal of Multilingual & Multicultural Development, 1-2, 5-36.

Fishman, Joshua (1967): “Bilingualism with and without diglossia; diglossia with and without bilingualism”. Journal of social issues, (23)2, 29-38.

Keel, William (2006): “Deitsch, Däätsch, Düütsch, and Dietsch: the varieties of Kansas German dialects after 150 years of German group settlement in Kansas”. In: Brown, Joshua / Hopkins, Leroy T. Jr. (eds.): Preserving Heritage: A Festschrift for C. Richard Beam, 27-48.

Khramova, Maria (2011): The Volga German Dialect of Milberger, Kansas.(Doctoral dissertation) Lawrence, Kansas: University of Kansas.

 

Collective Linguistic Identity Construction of Volga Germans in Argentina

Anna Ladilova

Justus Liebig University, Gießen (Deutschland)

Volga Germans are an ethnic group that migrated to the Volga Region in Russia over 250 years ago. One hundred years later, a part of this group moved to Argentina, where they settled in colonies located mostly in the provinces of Entre Ríos, Buenos Aires and La Pampa. Only after the 1950th did they start to learn the majority language, due to socioeconomic changes in Argentina. Until then, they had lived in so-called language islands (cf. Mattheier 1994: 334), almost completely isolated from the majority society (in Russia as well as in Argentina). Due to their history, this group was able to conserve its original language variety, namely Volga German, which is still in use in the colonies, especially by the older generation. Volga German also plays an important role in the dynamic process of the collective identity construction (defined as identification with a group through common goals, activities and discourses, cf. Straub 2004: 298f.) of the group. In mixing the language varieties in contact (Argentinian Spanish and Volga German), the group members reflect the hybridity of their collective identity. The present paper aims at revealing the relationship between the language use and the collective identity construction of Volga Germans in Argentina. In order to do so, it will draw upon the results of an empirical study conducted in Argentina in the spring of 2012, which included questionnaires and interviews that have been evaluated quantitatively and qualitatively.

References:

Mattheier, Klaus J. (1994): „Theorie der Sprachinsel. Voraussetzungen und Strukturierungen“. In: Berend, Nina/Mattheier, Klaus J. (Hrsg.): Sprachinselforschung. Eine Gedenkschrift für Hugo Jedig. Frankfurt am Main: Lang, 333-348.

Straub, Jürgen (2004): „Identität“. In: Jaeger, Friedrich (Hrsg.): Handbuch der Kulturwissenschaften. Stuttgart: Metzler, 277-30.

 

Bare NPs in German in the US, Namibia, and Germany: Results from a comparative corpus study

Oliver Bunk / Heike Wiese / Britta Schulte

Humboldt-Universität zu Berlin (Deutschland)

We present findings from a comparative study of noncanonical bare NPs (nbNPs) across four speaker groups, based on corpus data from German as a heritage language in the US (1) and Namibia (2), and as a majority language in Germany spoken by bilingual speakers (3), and monolingual speakers (4).

The empirical basis for our study are two corpora: the RUEG corpus of cross-linguistic data from mono- and bilingual speakers, including heritage German in the US and majority German in Germany (Wiese et al. 2019f), and the DNam corpus of heritage German in Namibia (Wiese et al. 2017, Zimmer et al. to appear). The corpus parts selected for our investigation are all based on the LangSit elicitation method (Wiese 2020), which yields naturalistic data from formal and informal registers that is comparable across speakers and settings.

Comparisons involved quantitative analyses, based on the frequencies of nbNPs as percentages of all NPs, and qualitative analyses targeting grammatical patterns.

Results set apart the first group and integrate the other three. We found qualitative and quantitative similarities across Germany (including monolingual speakers) and Namibia: nbNPs appear dominantly in informal registers, and can be subsumed under current trends of article decline in German triggered by hyperdetermination (cf. Leiss 2010). In comparison, German in the US shows a higher frequency of nbNPs, with evidence for register levelling, and a distinctive pattern of nbNPs in coordination.

We argue that our findings indicate an impact of the sociolinguistic setting, rather than a categorical difference between heritage and majority languages or between bilingual and monolingual speakers. Methodologically, they underline the importance of taking into account informal as well as formal registers, and eliciting similar data across different speaker groups including monolinguals, rather than judging minority language data against an assumed monolingual standard language.

References:

Leiss, Elisabeth (2010): Koverter Abbau des Artikels im Gegenwartsdeutschen. In: Kodierungstechniken imWandel. Das Zusammenspiel von Analytik und Synthese im Gegenwartsdeutschen, ed. D. Bittner & L. Gaeta, 137-158. de Gruyter.

Wiese, Heike (2020): Language situations: A method for capturing variation within speakers’ repertoires. In: Methods in Dialectology XVI, ed. Y. Asahi, 105-117. Peter Lang.

Wiese, Heike, Artemis Alexiadou, Shanley Allen, Oliver Bunk, Natalia Gagarina, Kateryna Iefremenko, Esther Jahns, Martin Klotz, Thomas Krause, Annika Labrenz, Anke Lüdeling, Maria Martynova, Katrin Neuhaus, Tania Pashkova, Vicky Rizou, Christoph Schroeder, Luka Szucsich, Rosemarie Tracy, Wintai Tsehaye, Sabine Zerbian, & Yula Zuban (2019f): RUEG Corpus [Data set]. Zenodo. https://doi.org/10.5281/zenodo.3236069

Wiese, Heike, Horst Simon, Christian Zimmer, & Kathleen Schumann (2017): German in Namibia: A vital speech community and its multilingual dynamics. In: Language Contact in the German Colonies: Papua New Guinea and Beyond, [Special Issue Language and Linguistics in Melanesia], ed. P. Maitz & C. A. Volker, 221-245.

Zimmer, Christian, Heike Wiese, Horst J. Simon, Marianne Zappen-Thomson, Yannic Bracke, Britta Stuhl, & Thomas Schmidt (to appear): Das Korpus Deutsch in Namibia (DNam): Eine Ressource für die Kontakt-, Variations- und Soziolinguistik. To appear in Deutsche Sprache.

 

Disappearing Schwas: Morphophonological Patterns of Liquids in Pennsylvania Dutch

Rose Fisher

The Pennsylvania State University (USA)

Pennsylvania Dutch (PD), a Palatinate-based Germanic language spoken in the US, shows interesting developments in morphophonological patterns involving liquids (Keiser 2012). The two related patterns discussed here, (i) penultimate schwa deletion and (ii) post-/r/ final schwa deletion, will be compared across two PD varieties from Pennsylvania (Eastern PD) and Ohio (Midwestern PD) using data based on native speaker intuitions and naturalistically recorded speech. Liquids (/l/ and /r/) as well as phonetic variations of /r/ ([r] and [ɹ]), appear to catalyze or prevent these schwa deletions.

Penultimate schwas in trisyllabic words ending in schwa-liquid-schwa sequences are vulnerable to deletion in Rhenish Palatinate, a PD source dialect (Pfälzisches Wörterbuch). This pattern seems to resurface more consistently in PD in the nominal and verbal domains (e.g., graddle ‘to crawl’ instead of graddele). Where /r/ appears intervocalically in disyllabic words (e.g., Daer-e ‘door-s’), final schwa deletion can be found in Eastern but not Midwestern PD also in both the verbal and nominal domains. According to Keiser (2012), this is because Eastern PD, which has adopted the American retroflex [ɹ], has undergone a sound change in which vowels adjacent to [ɹ] are weakened or elided such that Daer-e [dɛɹ-ə] > [dɛɹ]. This non-vocalization of final /r/ allows for paradigmatic contrast, formerly accomplished with schwa, to be maintained (singular form: [dɛɐ] ‘door’). In Midwestern PD, however, the original tapped alveolar [r] is maintained in most cases and post-/r/ final schwa is not deleted ([dɛr-ə]).

These patterns may result from a tendency to avoid highly sonorous sequences. Inter- and intra-dialectal variation within this thriving German minority language can offer new insights on the cross-linguistic tendencies of liquids particularly in minority languages under similar influences.

References:

Keiser, Stephen Hartmen (2012): Pennsylvania German in the American Midwest. Durham: Duke University Press.

Pfälzisches Wörterbuch, digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz des Trier Center for Digital Humanities, Version 01/21, www.woerterbuchnetz.de/PfWB, abgerufen am 06.05.2021.

 

Die tun-Periphrase in extraterritorialen Varietäten des Deutschen – eine qualitative Analyse des Barossa- und Texasdeutschen

Anna Saller

Universität Regensburg (Deutschland)

Periphrastisches tun (z. B. jetzt tu dich mal beeilen!) ist im Standarddeutschen stigmatisiert. In Dialekten und Nonstandardvarietäten ist die tun-Periphrase (tP) jedoch allgegenwärtig und nimmt dort häufig Funktionen im Tempus-Modus-Aspektualitäts-Bereich (TAM) ein. Für viele westgermanische Varietäten gibt es bereits Untersuchungen zur tP.  Eine Analyse der tP in extraterritorialen Varietäten des Deutschen ist jedoch bislang ein Forschungsdesiderat. Dieser Beitrag beschreibt die Verwendung der tP in deutschen Varietäten außerhalb des binnendeutschen Raumes, mit Fokus auf Australien und Texas. Insgesamt wurden deutsche Varietäten in Australien, Texas, Namibia und Siebenbürgen untersucht. Die Korpusdaten basierten auf narrativen Interviews.[1]  Da die tP in Siebenbürgen und Namibia kaum verwendet wurde (v. a. bedingt durch Standardeinfluss und Sprachpolitik), liegt der Fokus auf der qualitativen Verwendung der tP in Australien und Texas, wo sie ausgesprochen häufig vorkam.

In Australien und Texas hat die tP funktionale Nischen innerhalb des TAM-Bereichs entwickelt. Eine diachrone Untersuchung des Barossadeutschen (Australien) zwischen 1966–1973 und 2009–2014 zeigt, dass die tP an Frequenz zugenommen und dass eine Verlagerung ins Präteritum stattgefunden hat. Eine Analyse der Kontexte, in denen die tP verwendet wurde, sowie ein Vergleich mit dem synthetischen Präteritum und dem Perfekt sollen klären, ob sich die tP zu einem Habitual Past oder zu einem Präteritumersatz entwickelt hat. Zudem ist – ebenso wie im Texasdeutschen – festzustellen, dass die tP vorwiegend in imperfektiven Kontexten verwendet wurde. Im Gegensatz zu den temporal-aspektuellen Entwicklungen im Barossadeutschen zeigt die tP in Texas aber auch modale Verwendungen. Die zusätzliche temporale Verwendung der umgelauteten Form (tät(en) + Infinitiv) im Texasdeutschen lässt vermuten, dass diese nicht mehr eindeutig als modale Form interpretiert wird, sondern die Grenzen zwischen temporaler und modaler Bedeutung verschwimmen.

[1] Datenbank für gesprochenes Deutsch (DGD) und privates Korpus für Australien und Namibia; Texas German Dialect Project (TGDP) für Texas; Audioatlas Siebenbürger-Sächsischer Dialekte (ASD) für Siebenbürgen.

 

Korpuslinguistik am Beispiel der walserdeutschen Sprachinseln in Italien: Sprachkontakt, Spracherhaltung, Sprachwandel

Livio Gaeta / Raffaele Cioffi / Marco Bellante / Caterina Saracco

Universität Turin (Italien)

Marco Angster

Universität Zadar (Kroatien)

Da die Korpuslinguistik mit der Entwicklung von aufgrund der standardisierten Sprachen hergestellten großen Textkorpora entstanden ist, werden Minderheitssprachen selten zum Untersuchungsobjekt gemacht nicht zuletzt deswegen, dass sie nur eine kleine und zusätzlich wenig bzw. kaum standardisierte Datenbasis zur Korpusbildung anbieten (vgl. Angster et al. 2020). Außer allen Schwierigkeiten, die mit der Datensammlung verbunden sind, muss sich die Korpusbildung mit der in den Quellen vorkommenden gewaltigen Variation auseinandersetzen. Dies ist eben der Fall der walserdeutschen Varietäten, die als Sprachinseln im nordwestlichen italienischen Gebiet überleben und neulich zum Untersuchungsobjekt eines in Turin entwickelten Forschungsprojektes gemacht wurden (vgl. Gaeta et al. 2019). Neben dem weitgehenden Sprachkontakt mit dem Italienischen sowie mit dem Italo-Romanischen sind die walserdeutschen Varietäten einem dramatischen Prozess von Sprachverfall ausgesetzt. In dem Vortrag werden wir auf die Probleme fokussieren, die in Zusammenhang mit dem Spezialfall der bedrohten Sprachen entstehen und dementsprechend ganz spezifische Antworten im Vergleich mit der normalen Praxis in der Korpuslinguistik verlangen. Insbesondere wurde in dem Projekt eine aufgrund eines registrierten Patents (vgl. Bellante et al. 2019) entwickelte Plattform (vgl. www.climalp.org) zur Datenerhebung und -verarbeitung hergestellt. Dank dieser Plattform sind Korpus-basierte Untersuchungen durchgeführt worden, die speziell für die Gressoneyer Varietät hoch interessante Merkmale bzw. Sprachwandelphänomene herausgefunden haben, die dank der Korpusdatenbank auch quantitativ ausgewertet werden konnten:

a) die Entwicklung einer speziellen Verteilung der starken bzw. schwachen Flexionsformen bei den Partizipien der I Verbalklasse (vgl. Gaeta 2020a, b);

b) die Grammatikalisierung von goa ‚gehen‘ als Hilfsverb der Passivperiphrase neben dem „alpinen“ Passivhilfsverb chéeme ‚kommen‘ (vgl. Gaeta 2018, 2021);

c) die besondere Wortstellung der Satzglieder innerhalb der verschiedenen Satztypen mit besonderem Bezug auf generelle Entwicklungen wie die substitutive Verwendung der tun-Periphrase (vgl. Angster / Gaeta 2018, Gaeta 2021). In dem Vortrag werden sowohl die Plattform als auch die genannten Sprachphänomene kurz vorgestellt.

Literatur:

Angster, Marco, Cioffi, Raffaele, Bellante, Marco, Gaeta, Livio (2020): “Corpora e varietà minoritarie: le isole walser in Italia” (with). Rivista Italiana di Dialettologia (RID) 44: 107- 125.

Angster, Marco / Gaeta, Livio (2018): “Relative clauses in a German minority language: woa ‘where’ and dass ‘that’ in Greschòneytitsch (Northwestern Italy)”. 6th Croatian Syntactic Days – The Syntax of Subordination. Osijek 17.-19.5.2018.

Bellante, Marco, Cioffi Raffaele, Gaeta Livio, Angster, Marco (2019): “Computer-implemented procedure for the elaboration of textual data, system and corresponding informationtechnological product”. Registered application for patent n. 102019000021837, 21.11.2019.

Gaeta, Livio (2018): “Im Passiv sprechen in den Alpen”. Sprachwissenschaft 43.2: 221-250. Gaeta, Livio (2020a): “Remotivating inflectional classes: an unexpected effect of grammaticalization”. In Bridget Drinka (Hg.), Historical Linguistics 2017. Amsterdam / Philadelphia: John Benjamins, 205-227.

Gaeta, Livio (2020b): “Deconstructing complexity: Morphological change and language contact in Walser German”. 19th International Morphology Meeting. Wien 6.-8.2.2020.

Gaeta, Livio (2021): „Oralità a rischio: un archivio digitale per la salvaguardia della lingua walser“. Online Vortrag. Dipartimento di Dipartimento di Scienze Giuridiche, del Linguaggio, dell'Interpretazione e della Traduzione, Universität Triest, 1.3.2021.

Gaeta, Livio, Cioffi, Raffaele, Bellante, Marco, Angster, Marco (2019): “Conservazione e innovazione nelle varietà walser: i progetti DiWaC e ArchiWals”. In Roberto Rosselli Del Turco (Hg.), Dall’indoeuropeo al germanico: problemi di linguistica storica. Alessandria: Edizioni dell’Orso, 141-193.

 

Sprachkontakt und Reduzierungsprozesse: Der Abbau der Kasusmarkierung in Kontaktvarietäten des Deutschen aus einer gebrauchsbasierten Perspektive

Claudia Maria Riehl

Ludwig-Maximilians-Universität München (Deutschland)

In Sprachkontaktkonstellationen sind neben eigentlichen Sprachkontaktprozessen, die zu Konvergenz und Divergenz führen, sog. Restrukturierungsprozesse zu beobachten, die von der typologischen Nähe und Distanz der Kontaktsprache unabhängig sind. Darunter ist etwa das Phänomen des Abbaus der Kasusmarkierung zu zählen, das bei vielen deutschen Sprachinselminderheiten festgestellt wurde (Salmons 1994, Louden 1994, Born 2003, Rosenberg 2003ff., Boas 2009, Nützel & Salmons, 2011, Riehl 2015 u.v.m.). Allerdings haben bisher nur wenige Studien die Entwicklung des Kasusabbaus in verschiedenen Kontaktkonstellationen miteinander verglichen (vgl. Rosenberg 2003, 2016, Yager et. al. 2015, Riehl 2018), um festzustellen, ob es sich bei der angenommenen sprachinternen Entwicklung um den gleichen Entwicklungsverlauf handelt oder ob unterschiedliche Entwicklungsverläufe lediglich zu dem gleichen Ergebnis führen.

In dem Beitrag soll nun diesem Phänomen nachgegangen und zugleich sollen neue Wege im Bereich der Datenerhebung und Theoriebildung aufgezeigt werden: So wird  der Abbau der Kasusmarkierung nicht nur kontrastiv im Vergleich unterschiedlicher Kontaktvarietäten des Deutschen sondern auch generationenübergreifend analysiert. Mit dem generationenübergreifenden Vergleich sollen Sprachabbauprozesse in apparent time dargestellt werden. Im Mittelpunkt der Analyse stehen generationenübergreifende Daten (semistrukturierte Interviews und Übersetzungsaufgaben) aus dem Barossadeutschen (Südaustralien), dem Wolgadeutschen (Russland) und dem Deutschen in Blumenau (Brasilien) von je 30 Sprechern. Die Daten werden nach Gebrauchskontext, Typus der Konstruktion und Wortart annotiert, kategorisiert und nach ihrer Frequenz analysiert.

Auf der Basis eines gebrauchsbasierten Ansatzes (Lieven & Tomasello 2008, Goldberg 2009) wird gezeigt, dass die Prozesse des Kasusabbaus in der Nominalphrase in allen drei Konstellationen den gleichen Pfaden folgen, während die Entwicklungen im Pronominalsystem in den drei Konstellationen unterschiedlich verlaufen. Allerdings befinden sich die Kontaktvarietäten in einem unterschiedlichen Stadium des Abbauprozesses.  Um den Zusammenhang von individuellem und gesellschaftlichem Sprachabbau zu illustrieren, wird das Entrenchment-and-Conventionalization Model (Schmid 2020) herangezogen, das ebenfalls auf der gebrauchsbasierten Theorie beruht.

Literatur:

Boas, H. (2009): The Life and Death of Texas German. Durham: Duke University Press.

Born, R. (2003): „Regression, convergence, internal development: The loss of the dative case in German-American dialects”. In: Keel, W. D. / Mattheier, K. J. (Hrsg.): German Language Varieties Worldwide: Internal and external perspectives. Deutsche Sprachinseln weltweit: interne und externe Perspektiven. Frankfurt a.M. et al.: Lang, 151-164.

Goldberg, A.E. (2009): “The nature of generalization in language”. Cognitive Linguistics, 20(1), 93-127.

Lieven, E./Tomasello, M. (2008): “Children's first language acquistion from a usage-based perspective”.In: Robinson, P./ Ellis, N.C. (Eds.), Handbook of cognitive linguistics and second language acquisition. New York/London: Routledge, 168–196.

Louden, M. L. (1994): „Syntactic change in multilingual speech islands“. In: Berend, N. / Mattheier, K. J. (Hrsg.): Sprachinselforschung. Eine Gedenkschrift für Hugo Jedig. Frankfurt a.M. et al.: Lang, 73–91.

Nützel, D./Salmons, J. (2011): “Language Contact and New Dialect Formation: Evidence from German in North America”. Language and Linguistic Compass, 5(10), 705-717. 

Riehl, C. M. (2015): „Language contact, language attrition and the concept of relic variety: the case of Barossa German”. International Journal of the Sociology of Language 236, 261–293.

Riehl, C. M. (2018): „Simplifizierungsprozesse revisited: Der Abbau der Kasusmarkierung in Sprachkontaktkonstellationen“. In: Lenz, A./Plewnia, A. (Hrsg.), Variation – Norm(en) – Identität(en), Berlin/New York:  de Gruyter, 283-304.

Rosenberg, P. (2003): „Comparative speech island research: Some results from studies in Russia and Brazil“. In: Keel, W. D. /Mattheier, K. J. (Hrsg.): German Language Varieties Worldwide.  Frankfurt a.M. et al.: Lang, 199-238.

Rosenberg, P. (2016): „Regularität und Irregularität in der Kasusmorphologie deutscher Sprachinselvarietäten (Russland, Brasilien)“. In: Bittner, A. / Köpcke, K-M. (Hrsg.): Prozesse der Regularität und Irregularität in Phonologie und Morphologie. Berlin/New York: de Gruyter, 177-218.

Salmons, J. (1994): „Naturalness and morphological change in Texas German”. In: Berend, N./ Mattheier, K. J. (Hrsg.): Sprachinselforschung. Frankfurt a.M. et al.: Lang, 59-72.

Schmid, H. J. (2020): The Dynamics of the Linguistic System: Usage, Conventialization, and Entrenchment. Oxford: Oxford University Press.

Yager, L., et al. (2015): “New Structural Patterns in Moribund Grammar: Case Marking in Heritage German.” Frontiers in Psychology, 6, 1-9.

 

Untersuchung des Prozesses der Pattern Replication im Hunsrückischen als Übersetzungsphänomen, das durch den Sprachkontakt mit der portugiesischen Sprache in Brasilien entstanden ist

Claudia Fernanda Pavan

Universidade Federal do Rio Grande do Sul (Brasilien)

Ziel dieses Vortrags ist es, den Einfluss der brasilianisch-portugiesischen ESTAR+Gerundium-Periphrase auf die Progressivität in der in Brasilien meistgesprochenen deutschen Sprachvarietät, dem Hunsrückisch, zu analysieren.

Es soll für die Hypothese argumentiert werden, dass die Umsetzung der Progressivität durch die Periphrasen mit dem Verb tun und mit der Konstruktion am+Infinitiv im Hunsrückischen, das heute in Brasilien gesprochen wird, häufiger ist als in der Herkunftsregion zur Zeit der Auswanderung im 19. Jahrhundert - was u.a. auf den Sprachkontakt mit der lokalen portugiesischen Sprache in Brasilien zurückzuführen wäre. Aus der Perspektive des Sprachkontakts kann angenommen werden, dass der Sprachkontakt und die Mehrsprachigkeit dazu führen, dass sich die Sprecher des Hunsrückischen der Funktion der Progressivität in der ESTAR+Gerundium-Periphrase bewusst werden, was sie dazu veranlasst, dieses syntaktische Merkmal ins Hunsrückische zu übersetzen. 

Diese syntaktische Übernahme lässt sich durch den von Matras (2020) vorgeschlagenen Prozess der Pattern Replication erklären. Dieser besteht darin, das zentrale Merkmal einer syntaktischen Struktur der als Modell genommenen Sprache (in diesem Fall Portugiesisch) zu identifizieren und einer Struktur in der Replikasprache (Hunsrückisch) eine ähnliche Funktion zuzuweisen.. Es findet daher kein Transfer von sprachlichem Material von einer Sprache in die andere statt, sondern eine Übersetzung struktureller Funktionen der Modellsprache unter Verwendung von Sprachmaterial der Replikasprache (Matras 2020).

Um diese Hypothese zu überprüfen, stütze ich mich auf die Analyse der aktuellen Verwendung von Periphrasen mit dem Verb tun und mit der Konstruktion am+Infinitiv durch hunsrückische Sprecher, sowie auf die Analyse der Verwendung dieser Periphrasen in persönlichen Briefen, die von deutschen Einwanderern und ihren Nachkommen im 19. und 20. Jahrhundert geschrieben wurden. Dies wird anhand der mündlichen und schriftlichen Korpora durchgeführt, die Teil des ALMA-H-Projekts (Sprachkontaktatlas der deutschen Minderheiten im La Plata-Becken: Hunsrückisch) sind.

Literatur:

Matras, Yaron (2020): Language contact. Cambridge University Press.

 

Deutsch in Chile - Ein Vergleich der Satzverknüpfung in extraterritorialen Varietäten des Deutschen

Caroline Reher

Technische Universität Dortmund (Deutschland)

Der Vortrag stellt eine Pilotstudie zur syntaktischen Variation in der Domäne der Satzverknüpfung vor. Ausgangspunkt meiner Analyse bildet die bislang strukturell wenig untersuchte deutsche Varietät in Chile. Das Datenmaterial habe ich im Winter 2021 im Süden Chiles erhoben. Um gezielt Daten zur Relativsatzbildung zu gewinnen, wurden jeweils zwei Sprecher:innen gebeten, sich gegenseitig ein Wimmelbild zu beschreiben (Bsp. 1); die beiden Bilder waren dabei nicht komplett identisch. Diese Produktionsdaten wurden durch eine Akzeptabilitätsstudie in Form eines Online-Fragebogens ergänzt.

1. Und wie heißt der Mann, was ein Autobus fährt? (Wimmelbild-Elizitierung, Frutillar, Chile 2021, Aufnahme F44F)

Die Pilotstudie ist Teil meines Dissertationsprojekts zu Sprachwandelphänomenen in extraterritorialen Varietäten des Deutschen. Das Projekt verfolgt einen vergleichenden Ansatz, bei dem syntaktische Phänomene, wie z.B. die Relativsatzverknüpfung, in verschiedenen deutschen Varietäten in Kontaktsituationen parallel untersucht werden (Bsp. 2 und 3).

2. Meine Tochter, was heit moin hier war … (Misionesdeutsch, Argentinien, Putnam&Schwarz 2014: 619)

3. Wir hamm Games gehabt, wo wir ham gespielt, weißt de. (Texasdeutsch, Boas et al. 2014: 590)

Bei der Bestimmung von Sprachwandelphänomenen ist die Wahl der Vergleichsvarietät von entscheidender Bedeutung. So finden in meinem Dissertationsprojekt neben der deutschen Standardsprache ebenso (überregionale) Nicht-Standard-Varietäten (Bsp. 4 und 5) Berücksichtigung, da sich so ein vollständigeres Bild der binnendeutschen Sprachverwendung ergibt (vgl. Murelli 2021: 53 sowie auch Pheiff & Kasper 2020, Fleischer 2005).

4. Das sind die Dinger, was Carmen hat in der Nase drinne. (Hörbeleg, Flohmarktgespräch an einem Schmuck-/Piercingstand, Dortmund, Oktober 2021)

5. Das ist ein Tattoo, wo mir besonders viel bedeutet. (Hörbeleg, Instagram-Story, Juni 2021)

Übergeordnetes Ziel ist es, über die Einzelbeschreibung einer extraterritorialen Varietät hinauszugehen und durch den systematischen Vergleich mit anderen extraterritorialen wie binnendeutschen Varietäten zu einer plausiblen Motivation von Sprachwandel zu kommen.

Literatur:

Boas, Hans C.; Pierce, Marc; Brown, Collin L. (2014): On the variability of Texas German wo as a complementizer. In: STUF - Language Typology and Universals 67 (4), S. 589-611. Fleischer, Jürg (2005): Relativsätze in den Dialekten des Deutschen: Vergleich und Typologie. In: H. Christen (Hg.): Dialektologie an der Jahrtausendwende (Linguistik online 24), 171-186.

Murelli, Adriano (2021): Relativsätze im Deutschen und im Italienischen. Ein Vergleich unter Berücksichtigung von NichtStandard-Varietäten. In: Linguistik online, 109(4), 45-77.

Pheiff, Jeffrey; Kasper, Simon (2020): Syntaktische Variation „oberhalb“ des Dialekts? Die Erhebung der regionalsprachlichen Syntax des Deutschen: horizontal, indirekt, vertikal und online. In: Niederdeutsches Wort 60, 35-87.

 

Sprachvariation und Sprachkontakt in Existenzverbkonstruktionen des Pomerano

Martin Hansen

Universität Göteborg (Schweden)

Die von den pommerschen Erstsiedlern ab 1858 nach Brasilien mitgebrachte niederdeutsche Sprache ist als Pomerano bis heute präsente Alltagssprache in den Einwanderungsgebieten Espírito Santo, Rio Grande so Sul und Santa Catarina. Als deutsche Minderheitensprache wird Pomerano hier neben der portugiesischen Landessprache gesprochen. Die Mehrsprachigkeits-Situation ist aber je nach Untersuchungsregion komplexer, vor allem durch den Einfluss eines „lokalen hochdeutschen Substandards“ (Altenhofen 2016: 108), der deutschen Schriftsprache und der Einwanderervarietät des brasilianischen Hunsrückisch.

Das Untersuchungskorpus besteht aus spontansprachlichen Redebeiträgen die 2010 und 2014/15 von 18 SprecherInnen in den drei oben genannten Einwandererregionen erhoben wurden. Hier zeigt sich in Existenzverbkonstruktionen (EVK) mit gäwen - dat gifft „es gibt“, hewwen - dat hett „es hat“ und sin- dat is/dat sünd „es ist/es sind“ ein interessantes Variationsspektrum: so treten die drei EVK-Typen in den Bedeutungen ›existieren‹, ›vorhanden sein‹ und den Ingressiva ›stattfinden‹, ›ergeben‹ in Formen auf, die mitunter von niederdeutschen Sprachstrukturen abweichen:

O don wi na de schaul gåhn dee (.) dat wehr tweites weltkrieg ja (.) hat dor denn ein schaullehres

                                                                                                          HDT-3SG-PRÄS

‚Und als wir dann zur Schule gegangen sind, das war während des 2. Weltkrieges, gab es dort   

 einen Schullehrer’

Im Vortrag werden Studienresultate und methodische Probleme aufgezeigt. Ausgehend von dem an Matras angelehnten Konzept Restrukturierung (Matras 2009) wird an ausgewählten Korpusbelegen überprüft, inwieweit durch die portugiesischen EVK-Kognate Dar, haver/ter und ser Möglichkeiten für sprachkontaktinduzierte Variation in EVK des Pomerano gegeben sind. Auffällig ist u.a. der Befund, dass in Pomerano-Redesequenzen mit hewwen-EVK häufig von jüngeren Informanten die Entlehnung der NP aus dem brasilianischen Portugiesisch zu beobachten ist.

An entsprechenden Einzelbelegen werden kontaktinduzierte Restrukturierungsmechanismen wie pattern replication und pivot matching veranschaulicht und diskutiert.

Literatur:

Altenhofen, Cleo (2016): Standard und Substandard bei den Hunsrückern in Brasilien: Variation und Dachsprachenerwerb des Deutschen im Kontakt mit dem Portugiesischen. In: German Abroad Perspektiven der Variationslinguistik, Sprachkontakt- und Mehrsprachigkeitsforschung. Universitäts Druck Wien, 103-130.

Matras, Yaron (2009): Language Contact. Cambridge University Press.

 

Panels Sektion B

 

Eine kontrastive Gegenüberstellung der linguistischen Selbstreflexion. Wie sehen die Amischen und wie die Donauschwaben sich selbst als Sprachentität

Adam Tomas

Ludwig-Maximilians-Universität München (Deutschland)

Mit Sprache konstruieren wir unsere Identität in der sozialen Interaktion und transportieren unsere Sicht der Dinge sowie unsere Wahrnehmung an die Außenwelt. Durch den Gebrauch der Sprache bedienen wir uns einer Selektion von Wörtern und diese spezifische Wortwahl bzw. Selbstreflexion prägt auch unsere Identität. Biographische Daten und die Sprache eines Menschen sind untrennbar miteinander verwoben, zumal das soziale Umfeld primär sprachlich vermittelt wird. Somit ist die eigene Sprache in hohem Maße mit individuellen Erlebnissen verbunden und bei der Erforschung der Sprachidentität kann und muss also immer auf die sprachliche Oberfläche zugegriffen werden.

Im Fokus meiner Untersuchung steht der Zusammenhang zwischen Sprache und ethnischer Identität von zwei deutschstämmigen Sprachinseln, nämlich dem Pennsylvaniadeutschen (PeD) und dem Donauschwäbischen (DoS) auf dem Balkan.

In diesem Vortag soll es primär um die Bedeutung von biographischen Selbstreflexionen gehen, insbesondere aus der Perspektive der Sprachkontakt- und Sprachinselforschung. Es soll kurz den Fragen nachgegangen werden, welche Erfahrungen bilinguale Sprecher mit ihrer(n) Sprache(n) machen und wie sich ihre Haltung zu ihrer Sprache bzw. zu den Varietäten in ihrem Umfeld verändern. Sprachinselphänomene gelten oft als orales Kommunikationsmedium. Umso bemerkenswerter erscheint es zu erfragen, welche Rückschlüsse sprachliche Zeugnisse (narrative Interviews, Briefe, literarische Selbstportraits) dieser deutschstämmigen Sprecher über ihr eigenes kulturelles Umfeld erlauben.

Im Wechselspiel von Linguistik, kognitiver Psychologie und Soziolinguistik eröffnet sich hiermit eine Möglichkeit, diese Sprachdaten nicht als bloße literarische Formen, sondern als Perspektivierung der sprachlichen Selbstreflexion zu werten.

Literatur:

Böhm, Johann (2009): Die deutsche Volksgruppe in Jugoslawien 1918 – 1941. Frankfurt.

Louden, Mark L. Pennsylvania Dutch (2016): The story of an American language. (Young center books in Anabaptist and Pietist studies).

Schröder, Ingrid/Jürgens, Carolin (Hg.) (2017): Sprachliche Variation in autobiographischen Interviews. Theoretische und methodische Zugänge. Frankfurt am Main: Peter Lang Edition.

Weifert, Mathias (2013): Volksgruppenidentität, sozialer und kultureller Identitätswandel bei den sogenannten Donauschwaben (1683 - 2008). (Donauschwäbisches Archiv, München).

 

“Auf einmal ich hör nur noch so” Prosodic realization of V3 declaratives across German varieties

Oliver Bunk

Humboldt Universität zu Berlin (Deutschland)

Maike Rocker

The Pennsylvania State University (USA)

Standard German is considered a V2 language with a rigid V2 constraint, i.e., exactly one constituent must occupy the preverbal area in canonical declarative clauses. Over the past decades, however, this notion has been called into question, since V3 patterns with adverbial > subject > verb(fin) linearizations (see (1)) occur in several German varieties.

(1) Auf einmal ich hör nur noch so.                                                      (RUEG corpus, DEbi62MT_isD)

The pattern has been found in majority German in multilingual (e.g., Wiese 2009) and monolingual contexts (Schalowski 2017, Wiese & Müller 2018) as well as in heritage German in the U.S. (Tracy & Lattey 2010) and Namibia (Wiese & Müller 2018). In addition, the structure occurs in another underexplored Germanic language island, namely heritage Low German in the U.S.

(2) un dann, wi mussen antrecken.                                                      (Rocker 2021)

While V3 is well studied in terms of its structure and function (e.g., Wiese 2009, Wiese & Rehbein 2015), acceptability (Burmester et al. 2016), and processing (Bunk 2020), one aspect that has been left largely untouched to date is its prosodic realization (but see Breitbarth to appear). In this paper, we investigate the prosodic realization of V3 in different German(ic) varieties, namely Kiezdeutsch, informal standard German, heritage Low German (U.S.), and heritage German (U.S.), focussing on prosodic boundaries within V3. We argue against the claim that V3 results from a speech error that involves the repair of a V2 clause, entailing a pause as part of a prosodic boundary after the adverbial. On the contrary, we find instances of V3 without pauses and prosodic boundaries. Furthermore, we investigate whether prosodic boundaries contribute to the disambiguation of the initial adverbial as a frame-setter or discourse marker.

References:

Breitbarth, A. (to appear): Prosodie, Syntax und Diskursfunktion von V>2 in gesprochenem Deutsch. To appear in Deutsche Sprache.

Bunk, O. (2020): “Aber immer alle sagen das:“ The status of V3 in German: Use, processing and syntactic representation. Doctoral dissertation, Humboldt University of Berlin.

Burmester, J., Wiese, H., Wartenburger, I. & Wittenberg (2016): Variation in the German sentence ‘forefield’: The impact of visual context for the evaluation of verb-second (V2) violations. Poster presented at the CUNY Conference on Human Sentence Processing, Gainesville, Florida.

Rocker, M. (2021): Morgen, wi kommen weer: Verb placement variation in heritage speakers of Low German. Poster presented at Research Unit “Emerging Grammars in Language Contact Situations” conference, 21-23 February 2021, Humboldt Universitat zu Berlin.

Schalowski, S. (2017): From Adverbial to Discourse Connective. Multiple prefields in spoken German and the use of dann “then” and danach “afterwards”. In: Wiese, H.; Marten, H. F.; Bracker, P. & Bunk, O. (eds.): Arbeitspapiere "Sprache, Variation und Migration": Studentische Arbeiten. Online publication, Universität Potsdam.

Tracy, R., & Lattey, E. (2010): It wasn't easy but irgendwie äh da hat sich's rentiert, net?: A linguistic profile. In M. Albl-Mikasa, S. Braun, & S. Kalina (eds.), Dimensionen der Zweitsprachenforschung, 53-73.

Wiese, H. (2009): Grammatical innovation in multiethnic urban Europe: New linguistic practices among adolescents. Lingua 119(5), 782–806.

Wiese, H., Freywald, U., & Mayr, K. (2009): Kiezdeutsch as a Test Case for the Interaction between Grammar and Information Structure. Interdisciplinary Studies on Information Structure 12, 1–67.

Wiese, H., & Müller, H.-G. (2018): The hidden life of V3: An overlooked word order variant on verb second. Linguistische Berichte, Sonderheft 25, 201-224

 

Methodological Challenges in Corpus Research: Untangling Morphosyntactic Variation in Contact Settings of Closely-related Varieties

Nantke Pecht

Rijksuniversiteit Groningen (Niederlande)

Maike Rocker

The Pennsylvania State University (USA)

While closely-related varieties may share similar grammatical constructions, these do not always express the same meaning. A construction that can be translated in the same way, for instance, does not automatically carry the same functions. The challenge is even more daunting when examining speech corpora of contact varieties, due to the dynamic and mixed nature of the speech.

The aim of our talk is to discuss the methodological challenges and opportunities of investigating speech data of linguistically-mixed interactions. We will therefore focus on aspectual constructions and use these as a case study of how to analyze variation in language contact settings of closely-related varieties. This talk sheds light in particular on two Germanic varieties, namely Pennsylvania Dutch (USA) and Cité Duits (Belgium). The former is based on a Palatine-German dialect and has been in contact with English for 300 years, whereas the latter emerged in close contact with Belgian Dutch, a Limburgish dialect and German in the 1930s (Pecht 2021).

Our empirical evidence will be drawn from (a) elicited narrations based on a picture book narration (Mayer 1969) of eleven speakers in Ohio from 2017 (Pennsylvania Dutch), and (b) from informal group interactions of 14 male speakers (Cité Duits), collected  by adopting a specific method of sociolinguistic fieldwork (Labov 1972). An example is given in (1):

              

  1.        der         hund      war        am         nei         gucke                   gwest.                 (PD)

               the         dog        was        PROG        into        watchINF              bePP

‘The dog had been looking into (a jar).’

The examination of progressive constructions as in (1) war am gucke is particularly intriguing because the ‘baseline varieties’ of Pennsylvania Dutch and Cité Duits lack a grammaticalized progressive marker, which means that there are several ways to denote progressivity. With our talk, we aim to enrich the discussion of methodological questions in corpus research, while simultaneously discussing the opportunities of ‘mixed’ language data and the resulting variation.

References:

Labov, William (1972): Sociolinguistic Patterns. University of Pennsylvania Press: Philadelphia.

Mayer, Mercer (1969): Frog, where are you? New York: Dial Books for Young Readers.

Pecht, Nantke (2021): Language Contact in a Mining Community: A Study of Variation in Personal Pronouns and Progressive Aspect in Cité Duits. Amsterdam: LOT.

 

Edelgund und Celinha – oder – Wie eine komplexe Identität die pommersche Namensgebung in Brasilien beeinflußt

Göz Kaufmann

Universität Freiburg (Deutschland)

Obwohl nur etwa 5% der Hinterpommer/inne/n, die Europa im 19. Jahrhundert verließen, nach Brasilien auswanderten, werden hinterpommersche Varietäten heute fast nur noch in Südamerika gesprochen. Während das Hinterpommesche in Europa als Konsequenz des Zweiten Weltkriegs verloren ging, assimilierten sich die Hinterpommer/inne/n in den USA, wohin die meisten ausgewandert waren, sehr schnell. Die den/die Sprachforscher/in zuerst einmal freuende verzögerte (sprachliche) Assimilation in Brasilien wurde zu einem Problem, als Brasilien zur Zeit des Dritten Reiches in Deutschland immer mehr eine Gefahr sah und 1942 sogar gegen Deutschland in den Krieg zog. Mehr und mehr sah man in den Pomeranos/as feindliche Repräsentanten dieses Kriegsgegners, weshalb zuerst der Gebrauch des Hochdeutschen in den Schulen der deutschsprachigen Sprachgemeinschaften, später dann auch der öffentliche Gebrauch (nieder)deutscher Varietäten überhaupt untersagt wurde. Weder das Schulsystem noch das Hochdeutsche sollten sich von diesem Schlag erholen. Das Pomerano allerdings ging nicht verloren, besonders weil sich die brasilianische Sprachenpolitik seit den 1970er Jahren zunehmend entspannte. Heute wird Pomerano vielfach in Schulen unterrichtet und ist in einigen Munizipien sogar kooffizielle Amtssprache. In meinem Vortrag will ich zeigen, wie sich die komplexe multiple Identität der Pommeros/as in Brasilien auf die Namensgebung aus(ge)wirkt (hat). Der bisher kaum untersuchte Wandel in der Namensgebung betrifft dabei nicht nur die Namen per se, also zum Beispiel die Wahl zwischen Edelgund und Celinha, sondern auch Schreibweise und Aussprache der Namen. So finden sich auf Grabsteinen neben Erwin auch Ervin, Erwino und Ervino, und aus der ursprünglichen Aussprache [ˈhartʊɳ] des Nachnamens Hartung wird immer häufig [arˈtʊɳgə] oder sogar [arˈtʊnʒə]. Die feststellbare bzw. ausbleibende Brasilianisierung dieser Namen stellt dabei einen (sprach)politisch äußerst bedeutenden act of identity dar.

 

Das Varietätengefüge in Ostlothringen um 1880: Ein Beitrag zur historischen Sprachminderheitenforschung

Albrecht Plewnia / Rahel Beyer

Leibniz-Institut für Deutsche Sprache (Deutschland)                              

Die aktuelle Situation der Sprecherinnen und Sprecher der germanophonen Varietäten in Ost-Lothringen ist komplex (vgl. Beyer/Fehlen 2019). Sprachstrukturell gehören diese Varietäten zum westmitteldeutschen Dialektkontinuum, überdacht werden sie vom Standardfranzösischen. Diese Konstellation stellt für die Sprecherinnen und Sprecher in der Konzeptualisierung ihrer Mehrsprachigkeit eine besondere Herausforderung dar; insbesondere ist das Verhältnis der lokalen, historisch deutschen Dialekte zum jetzt als exogen interpretierbaren Standarddeutschen vielfach unklar (vgl. Beyer/Plewnia 2021a).

In unserem Beitrag befassen wir uns mit den historischen Grundierungen der gegenwärtigen Situation. Mit dem mehrfachen Wechsel der politischen Zugehörigkeit dieses Raums änderten sich jeweils auch Funktionen und Zuschreibungen der verschiedenen dort gesprochenen Sprachen und Varietäten. Eine besondere Quelle für die „Reichsland“-Zeit sind die Fragebögen der für den Sprachatlas des Deutschen Reichs durchgeführten Erhebungen. Diese zielten zwar in erster Linie auf die Erfassung sprachgeographischer Variation. Es gab jedoch auch einige sprachsoziologisch orientierte Fragen; so wurde in Elsass-Lothringen z.B. auch nach dem Vorhandensein anderer Sprachen als Deutsch sowie nach zugehörigen Sprecherzahlen gefragt. Bisher wurden diese Fragebögen vornehmlich aus sprachstruktureller Perspektive ausgewertet (vgl. z.B. Stein 2020); wir wollen aus soziolinguistischer Sicht untersuchen, welche verschiedenen Konzepte von Mehrsprachigkeit und welche sprachideologischen Positionen aus den Antworten für diese Zeit ersichtlich werden.

Literatur:

Beyer, Rahel/Fehlen, Fernand (2019): Der germanophone Teil Ost-Lothringens. In: Beyer, Rahel/Plewnia, Albrecht (Hrsg.): Handbuch des Deutschen in West- und Mitteleuropa: Sprachminderheiten und Mehrsprachigkeitskonstellationen. Tübingen: Narr, 105-154.

Beyer, Rahel/Plewnia, Albrecht (2021a): Über Grenzen. Deutschsprachige Minderheiten in Europa. In: Lobin, Henning/Witt, Andreas/Wöllstein, Angelika (Hrsg.): Deutsch in Europa. Sprachpolitisch, grammatisch, methodisch. Berlin/Boston: de Gruyter, 35-54.

Stein, Peter (2020): Französische Wenker-Materialien aus Elsass-Lothringen. In: Fleischer, Jürg/Lameli, Alfred/Schiller, Christiane/Szucsich, Luka (Hrsg.): Minderheitensprachen und Sprachminderheiten. Deutsch und seine Kontaktsprachen in der Dokumentation der Wenker-Materialien. Hildesheim, New York, Zürich: Olms, 245-269.

 

Deutsch in Chile: Ein multiperspektivisches Forschungsprojekt

Patrick Wolf-Farré

Universität Duisburg-Essen (Deutschland)

Caroline Reher

Technische Universität Dortmund (Deutschland)

In dem neu gegründeten gemeinsamen Projekt Deutsch in Chile soll die Forschung aus den Promotionsprojekten „Sprache und Selbstverständnis der Deutschchilenen“ (Wolf-Farré) und „Satzverknüpfung im Kontakt. Ein Vergleich des Chiledeutschen mit anderen extraterritorialen Varietäten des Deutschen“ (Reher) fortgeführt und mit weiteren Daten verknüpft werden. In der ehemaligen deutschen Sprachinsel in Chile hat die deutsche Sprache an Bedeutung verloren, da dort heute die alltägliche Kommunikation überwiegend auf Spanisch stattfindet. Gleichzeitig gibt es jedoch mehrere deutsche Schulen, ein deutsches Lehrerbildungsinstitut, kulturelle Einrichtungen sowie diverse Wirtschaftskooperationen mit dem deutschsprachigen Raum. Ein Interesse an der deutschen Sprache bleibt also bestehen, das allerdings vor dem Hintergrund der ehemaligen Sprachinsel eine besondere DaF-Situation darstellt. Somit ergeben sich diverse Fragen:

  • Wie ist die Rolle der deutschen Sprache in Chile heute zu beschreiben, in der eine ehemalige Sprachinsel und ein hohes gegenwärtiges Interesse an Deutsch als Fremdsprache zusammentreffen?
  • Gibt es eine eigene Varietät des Chiledeutschen?
  • Kann von einer deutschchilenischen Sprachgemeinschaft ausgegangen werden, oder sind mehrere kleinere Gruppen zu unterscheiden?

Mit dem Forschungsprojekt „Deutsch in Chile“ soll diesen Fragen mit methodischer und disziplinärer Offenheit nachgegangen werden. Dabei soll das bestehende Korpus an 51 sprachbiografischen Interviews von 2015 um weitere Aufnahmen erweitert werden, um Entwicklungen aufzuzeigen und verstärkt die strukturlinguistische Ebene in die Betrachtung miteinzubeziehen.

Literatur:

Rosenberg, Peter (2018): Lateinamerika. In: Plewnia, Albrecht / Riehl, Claudia Maria (Hrsg.): Handbuch der deutschen Sprachminderheiten in Übersee. Tübingen: Narr, 193–264.

Wolf-Farré, Patrick (2017): Sprache und Selbstverständnis der Deutschchilenen. Eine sprach-biografische Analyse. Heidelberg: Winter (Schriften des Europäischen Zentrums für Sprachwissenschaften, 6).

Wolf-Farré, Patrick (2021): „‚Bitte Brot Delivery‘ - Emblematisches Deutsch im Süden Chiles“. In: Ziegler, E. / Marten, H. (Hrsg.): Linguistic Landscapes im deutsch­sprachigen Kontext: Forschungsperspektiven, Methoden und Anwendungsmöglich­keiten. Berlin: Lang (Forum Angewandte Linguistik – F.A.L., 65), 329–349.

 

Interethnische Annäherung und ethnische Exklusivität – Sprachminderheiten im rumänischen Banat

Sebastian Franz / Manuel Schumann

Universität Augsburg (Deutschland)

Zuwanderungsbewegungen, insbesondere im 18. Jahrhundert, haben zu einer Niederlassung verschiedener ethnischer Gruppen im Banat geführt. Dass sich Personen aus unterschiedlichen Regionen des deutschsprachigen Binnenraums angesiedelt haben, ist u. a. Folge einer gezielten Anwerbestrategie. Als Herkunftsgegenden der Siedlerinnen und Siedler lassen sich überwiegend der rhein- und moselfränkische, daneben der mittel- und nordbairische sowie der ost- und südfränkische Sprachraum bestimmen (Gaisbauer 2016: 55). Das Banat als einen multiethnischen und multilingualen Raum konstituieren neben den deutschbasierten etwa auch serbische, slowakische, tschechische, bulgarische und weitere Minderheitensprachgruppen. Derzeit wird in einem aktuellen Forschungsprojekt an der Universität Augsburg die soziolinguistische Situation von deutschsprachigen Minderheiten im rumänischen Teil des Banats untersucht, ein besonderer Fokus der Studie liegt auf der sprachlichen Identität der Sprecherinnen und Sprecher[1]. Das Projekt wird von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) gefördert. Der Vortrag gibt einen Einblick in das laufende Projekt und präsentiert erste Ergebnisse der Erhebungen aus dem Banat kontrastivierend[2]: Es wird vor allem die Bedeutung der deutschbasierten Minderheitensprachen und der individuellen Mehrsprachigkeit für die Identitätskonstruktionen herausgearbeitet und mit Blick auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen ausgewählten Siedlungen hin betrachtet.

Literatur:

Franz, Sebastian (2021): Mehrsprachigkeit und Identität. Die alpindeutsche Siedlung Sappada / Pladen / Plodn. Stuttgart (Beiheft der Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik, 186).

Gaisbauer, Stephan (2016): Bairische Siedlungen und Sprache im Banater Bergland. In: Sprenzinger, Max (Hrsg.): Bairisch in der Welt. Beiträge zur gleichnamigen Tagung am 16. und 17. November 2011 an der Universität Regensburg. Regensburg, 45–67.

Wolf, Josef (2007): Zur Genese der historischen Kulturlandschaft Banat. Ansiedlung, Siedlungsgestaltung und Landschaftswandel im Banat vom frühen 18. bis Anfang des 20. Jahrhundert. In: Engel, Walter (Hrsg.): Kulturraum Banat. Deutsche Kultur in einer europäischen Vielvölkerregion. Essen, 13– 70.

[1] Identität wird nach Franz (2021: 70; Sperrung im Original) aus einer emischen Perspektive konzeptualisiert:

„Bezogen auf die hier vorliegende Studie entspricht I d e n t i t ä t dem Identitätsbewusstsein der

Gewährsperson(en) […]. Dieses Bild der Befragten von sich selbst sowie ihrer Umwelt wird zum Zeitpunkt der

Befragung dialogisch entworfen und situativ konstruiert.“

[2] Die Daten werden mit einem qualitativem Forschungsdesign erhoben, die Gewährspersonen persönlich befragt. Die Gewährspersonenaussagen werden mit Verfahren der qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet.

 

The Influence of Gender Roles on Language Maintenance & Language Loss: A new perspective from Texas German

Ellen Jones

University of Texas at Austin (Texas)

While biological gender does not determine a speaker’s ability to learn a language cognitively, there has been plenty of evidence for differences between men and women’s speech socially (Pavlenko, 2010; Winter & Pauwels, 2005). In the case of a dying dialect like Texas German (Gilbert 1972, Boas 2009), how might gender roles in TxG society be affecting how the dialect is maintained and by whom?

This paper provides new insights based on data from the The Texas German Dialect Project (TGDP) (Boas et al. 2010) (https://tgdp.org), which records and archives interviews with some of the remaining speakers of Texas German, a moribund dialect spoken since the 1840s. More specifically, I analyze the biographical questionnaires of the speakers interviewed by the TGDP in order to determine the speakers’ language attitudes and identity. 

For the purpose of this paper, gender is defined as biological gender, not gender identity, due to the fact that the question of a speaker’s gender (biological or otherwise) is not currently a part of the biographical questionnaire utilized by the TGDP. This paper analyzes parts of these biographical questionnaires from 60 speakers (30 female and 30 male) to do a quantitative and qualitative comparison of language attitudes and identity. Boas & Fingerhuth (2017) address similar questions about language maintenance and attitudes using both biographical questionnaires and open-ended interviews, however that study does not look at the role of gender within the community. This paper’s analysis seeks to determine if gender roles could be affecting the process of individual language loss among TxG speakers, as well as offer suggestions for further research.

References:

Boas, H.C. (2009): The Life and Death of Texas German. Durham: Duke University Press.

Boas, Hans C. and Matthias Fingerhuth (2017): ”I am proud of my language but I speak it less and less!” – Der Einfluss von Spracheinstellungen und  Sprachgebrauch auf den Spracherhalt von Heritage-Sprechern des Texasdeutschen. In Linguistische Berichte 249, 95-121.

Boas, Hans, C., Marc Pierce, Karen Roesch, Guido Halder, and Hunter Weilbacher (2010): The Texas German Dialect Archive: A Multimedia Resource for Research, Teaching, and Outreach. Journal of Germanic Linguistics 22.3, 277–296.

Gilbert, Glenn (1972): Linguistic Atlas of Texas German. Austin: University of Texas Press.

Pavlenko, A. (2001): Bilingualism, gender, and ideology. The International Journal of Bilingualism: Cross-Disciplinary, Cross-Linguistic Studies of Language Behavior, 5(2), 117–151.

Winter, J., & Pauwels, A. (2005): Gender in the Construction and Transmission of Ethnolinguistic Identities and Language Maintenance in Immigrant Australia. Australian Journal of Linguistics, 25(1), 153–168.

 

Variation in Unserdeutsch: Von den Herausforderungen linguistischer Analysen in einer wenig erforschten, bedrohten Sprache

Lena Stückler

Universität Bern (Schweiz)

Unserdeutsch ist die weltweit einzige bekannte Kreolsprache, die auf dem Deutschen basiert. Entstanden ist sie Anfang des 20. Jahrhunderts, während der deutschen Kolonialzeit, in einer Missionsschule in Papua-Neuguinea. Für einige Jahrzehnte lebte die Sprachgemeinschaft eng vernetzt in und um die Missionsstation. In den 1960ern und 70ern wanderten die meisten Sprecher*: innen nach Australien aus, wo sie ihre Sprache im Alltag kaum mehr verwendeten und auch nicht an die nächste Generation weitergaben. Durch diesen Sprachwechsel ist Unserdeutsch bereits wenig mehr als hundert Jahre nach der Entstehung eine bedrohte Sprache.

Durch ein Forschungsprojekt zu Unserdeutsch, das an der Universität Augsburg begonnen und an der Universität Bern abgeschlossen wurde, ist die Sprache kurz vor ihrem Verschwinden noch dokumentiert worden. Mithilfe des in diesem Projekt entstandenen Korpus können nun verschiedene linguistische Fragestellungen in dieser noch wenig erforschten Sprache untersucht werden. Auch mein Forschungsprojekt, das sich mit der sprachlichen Variation in Unserdeutsch beschäftigt, lässt sich hier einordnen. Im Rahmen dieses Projekts werden fünf sprachliche Variablen – Frikativrealisierung, Reduktion finaler Konsonantencluster, Markierung von Vergangenheit, Verbalklammern und Null-Kopula – analysiert, um herauszufinden, welche sozialen und linguistischen Faktoren das Vorkommen bestimmter Varianten fördern oder beschränken.

Eine solche variationslinguistische Analyse zu Unserdeutsch wird allerdings durch verschiedene Faktoren erschwert, die auch in anderen Forschungsprojekten zu bedrohten (Minderheiten-)Sprachen gegeben sein können. Beispielsweise weisen die Sprecher*: innen durch den stattfindenden Sprachwechsel in unterschiedlichem Maße Attritionserscheinungen auf, die die Qualität der sprachlichen Daten beeinträchtigen und damit die Anwendung verschiedener Methoden einschränken können. Eine weitere Schwierigkeit ist, dass durch die häufig nur mehr geringe Anzahl an noch kompetenten Sprecher*: innen eine Erhebung zusätzlicher Daten meist nur unter erschwerten Bedingungen und in kleinerem Ausmaß möglich ist. Mit diesen und weiteren Herausforderungen, die sich im Lauf meines Forschungsprojekts ergeben haben, beschäftige ich mich in diesem Vortrag.

Literatur:

Lindenfelser, Siegwalt (2021): Kreolsprache Unserdeutsch. Genese und Geschichte einer kolonialen Kontaktvarietät. Berlin/Boston: de Gruyter.

Maitz, Péter (2017): Dekreolisierung und Variation in Unserdeutsch. In: Christen, Helen/Gilles, Peter/Purschke, Christoph (Hg.): Räume – Grenzen – Übergänge. Akten des 5. Kongresses der Internationalen Gesellschaft für Dialektologie des Deutschen (IGDD). Stuttgart: Steiner (ZDL Beihefte), 225–252.

Mansfield, John/ Stanford, James (2017): Documenting Sociolinguistic Variation in Lesser-Studied Indigenous Communities. Challenges and Practical Solutions“. In: Hildebrandt, Kristine A./Jany, Carmen/Wilson, Silva (Hg.): Documenting Variation in Endangered Languages. (= Language Documentation & Conservation Special Publication 13) Honululu: University of Hawai’i Press, 116–136.

Meyerhoff, Miriam (2021): Variation in pidgin and creole languages. In: Ansaldo, Umberto/Meyerhoff, Miriam (Hg.): The Routledge Handbook of Pidgin and Creole Languages. London/New York: Routledge, 348-362.

 

Language drift in Mòcheno, Cimbrian and Hutterisch

Birgit Alber / Joachim Kokkelmans

Free University of Bozen-Bolzano (Italien)

Language islands are typically characterised by phonological phenomena attributable to language contact with the surrounding language(s), but also the precise opposite, namely internally motivated language drift. In such a case, a phenomenon ceased to be productive in mainland varieties but continues in the language island since it isn’t influenced by the mainland varieties. For example, the relatively isolated Swiss dialect of Jaun preserved productive s-retraction in /rs/ across morpheme and word boundaries until the 20st century (Stucki 1917; Hall 2008), while the same process ceased to be productive earlier in German (Kokkelmans 2020). Mòcheno and Cimbrian in Northeastern Italy likewise preserved the OHG voicing of fricatives in sonorant contexts, unlike mainland German (Alber 2015

We investigate the productivity, in Canadian varieties of Hutterite German, of the rule [xs] [ks] (e.g. in Fuchs) that occurred in MHG (Hall 2008: 222-226) and occurs in Hutterisch (Pichler 2009: 90f.). Boni (2015: 31) provides the examples in (1), where <chs> is neutralised to <ks> even across word boundaries:

(1)             a.      ich khåå(n)s ‘ich kann es’ vs. khan-iks ‘kann ich es’

b.                        giltich ‘schuldig’ vs. giltik saai(n) ‘schuldig sein’

We aim to test the regularity of this sound shift according to morphophonological context, distinguishing between [x] + [s] within words (e.g. sechs), across morpheme boundaries in lexicalised compounds (e.g. Kochsalz), in productive derivations (e.g. reich-st-e, sprich-st) and across word boundaries (e.g. reich sein).

This data is compared to the productivity of fricative voicing in Mòcheno, where historical allophonic voicing (e.g. vucks) has become phonemic (compare fest, fabricarn). We hypothesise that due to the influence of neighbouring varieties with phonemic fricative voicing (e.g. Romance va vs. fa), Mòcheno phonemicised the voiced fricatives, thereby terminating the productivity of the rule. In Canadian English, where /x/ does not exist and is nativised as /k/, nothing prevents [xs]   [ks], which might be a determining factor for the productivity of this shift.

References:

Alber, B. (2015): Die deutschen Sprachinseln der Zimbern und Fersentaler in Norditalien.Konservativität, Innovation und Kontakt im Lautsystem. In R. Schlösser (ed.), Sprachen im Abseits. Regional- und Minderheitensprachen in Europa Jenaer Beiträge zur Romanistik, 19–45. München: AVM.edition.

Boni, J. (2015): Phonological Features of Hutterisch: University of Verona MA thesis.

Hall, T. A. (2008): Middle High German [rs]>[rʃ] as height dissimilation. The Journal of Comparative Germanic Linguistics 11(3). 213–248.

Kokkelmans, J. (2020): Middle High German and modern Flemish s‑retraction in /rs/-clusters. In G. De Vogelaer, D. Koster & T. Leuschner (eds.), German and Dutch in Contrast: Synchronic, Diachronic and Psycholinguistic Perspectives, vol. 11 Konvergenz und Divergenz, 213–238. Berlin/New York: De Gruyter.

Pichler, J. (2009): Rechtschreibnormierungeiner Minderheitensprache: Kodifizierungsprobleme bei einem Verschriftungsprojekt des Huttererdialekts in Kanada: Universität Wien MA thesis.

Stucki, K. (1917): Die Mundart von Jaun im Kanton Freiburg: Lautlehre und Flexion, vol. 10 Beiträge zur schweizerdeutschen Grammatik. Frauenfeld: Huber & Co.