Interview mit Prof. Mishael Milakovic im WISU-Magazin!

Das folgende Interview führte Rainer Lange für das WISU-Magazin (3/17, S. 265-6):

Nachdem die Wahlprognosen beim Brexit und bei der Trump-Wahl so spektakulär daneben lagen, ist ein Wahlerfolg von Marine Le Pen in Frankreich nicht ausgeschlossen. Sie ist gegen den Euro und gegen die EU. Ist das Ende des Europas, wie wir es seit Jahrzehnten kennen, in Sicht?

Die Befürchtung, dass radikale nationalistische Parteien weiteren Wahlzuspruch erfahren werden, ist sicherlich berechtigt, auch aus historischer Perspektive. Ich bin in diesem Zusammenhang äußerst besorgt, was das Wahlergebnis der AfD am 24. September angeht.  Parallelen zur Zeit vor dem ersten Weltkrieg bzw. der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen sind nur schwer zu übersehen, wobei sich die geopolitischen Rahmenbedingungen im Vergleich zu damals enorm verändert haben---was leider nicht heißt, dass das Konflikt- oder gar Zerstörungspotenzial dadurch heute niedriger wäre.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker legte kürzlich ein Weißbuch zur weiteren Entwicklung der EU vor. Mit fünf Alternativen: Beschränkung der EU auf einen Binnenmarkt, eine schlagkräftige politische Union, weitermachen wie bisher, etwas weniger machen oder eine EU mit verschiedenen Geschwindigkeiten. Wo sehen Sie die Zukunft der EU?

Ehrlich gesagt in keiner einzigen der fünf Alternativen. Das fundamentale Problem der EU ist ihre demokratische Legitimation bzw. die verstörende Intransparenz der Entscheidungsprozesse auf Ebene von Rat und Kommission und in der sog. Euro-Gruppe. Die Herstellung von Transparenz ist m.E. unabdingbar, falls die EU in den jeweiligen Bevölkerungen mittelfristig akzeptiert werden soll. Deshalb finde ich in diesem Zusammenhang bspw. die einfachen Vorschläge auf DiEM25.org wesentlich zielführender, als irgend eine der Alternativen aus dem Weißbuch. Andererseits halte ich es für sehr unwahrscheinlich, dass die entscheidenden Organe der EU sich dem Diktat der Transparenz beugen werden, was langfristig zu einer Abwicklung der EU führen muss, die wohl kaum konfliktfrei ablaufen wird.

Trump tönt unablässig: „Make America great again“. Wie wäre es mit dem Slogan für uns Europäer: „Make the EU really great“?

Als kosmopolitischer Humanist tue ich mir mit der psychologischen Krücke geographischer Identifikation und der gleichzeitig implizierten Überhöhung anderen gegenüber immer etwas schwer. Der Slogan für die Europäer sollte, nebenbei bemerkt, dann inklusiver zumindest „Make Europe great again“ lauten und sich durch eine humanistische Tradition definieren, nicht durch Hegemonialbestrebungen.

So mancher hat die Hoffnung, dass Trumps isolationistische Wirtschaftspolitik dazu führt, dass sich Europa enger zusammenschließt. Mit anderen Worten: Könnte er sogar heilsam für die weitere Entwicklung der EU sein?

Prinzipiell schon, allerdings sehe ich aufgrund der national-politischen Gemengelage innerhalb der EU, insbesondere im Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich, zu viele divergierende Interessen, als dass es wahrscheinlich wäre, eine solidarischere EU aus dieser historischen Episode zu generieren.

Die USA sind bereits aus TPP ausgestiegen. Das vor allem in Deutschland extrem umstrittene TTIP dürfte damit auch erledigt sein. Gut oder schlecht?

Diese Abkommen sind das Ergebnis einer geduldigen und sehr erfolgreichen Lobbyarbeit internationaler Großkonzerne und deshalb im Wesentlichen keine Freihandels- sondern reine Konzernbesserstellungsabkommen, auf die ich persönlich nur allzu gerne verzichte.  Die bisherigen „Erfolge“ bei der Verabschiedung von CETA sind allerdings ein starker Indikator dafür, dass sich solche Übervorteilungsabkommen auf Kosten der Allgemeinheit kaum aufhalten lassen.

TPP, die Transpazifische Partnerschaft, hatte auch den Zweck, in Asien ein geopolitisches Gegengewicht zu China zu schaffen. Stattdessen könnte jetzt China die Rolle der USA bei TPP übernehmen. Ein weiterer Beweis dafür, wie wenig Ahnung Trump von Politik hat?

Angesichts seines Wahlerfolgs kann man ihm politisches Geschick kaum absprechen, wobei seine geopolitische Agenda noch schwer einzuschätzen bleibt. Dabei ist China zweifelsohne ein ernstzunehmendes Problem im hegemonialen Selbstverständnis der USA und die Berufung von Peter Navarro als Wirtschaftsberater Trumps zeigt, dass China auch als ökonomischer Gegner verstanden und angegangen werden soll.

Welche Politik sollte die EU beim Brexit befolgen? Klare Kante, also klare Trennung von Großbritannien? Oder alle möglichen Kompromisse, um das Land noch mit einem halben Bein in der EU zu halten?

Es ist für beide Seiten rational, eigene Interessen in den Vordergrund zu stellen. Wie ein Kompromiss dann ausgestaltet wird, hängt von den Verhandlungsmöglichkeiten der jeweiligen Machteliten ab und ist für Außenstehende bisher schwer abschätzbar.

Die meisten Schotten wollen in der EU bleiben. Möglicherweise gibt es ein neues Referendum zur Abtrennung von Großbritannien. Wenn Sie Schotte wären: Wofür würden Sie stimmen?

Für das System, das mir als Bürger größtmögliche demokratische Partizipation und Transparenz bietet. Aus dieser Perspektive erscheinen beide nicht sonderlich attraktiv, womit ein Referendum zu einem Selbstbestimmungsersatz verkommt. Ich habe den Eindruck, dass Selbstbestimmung in repräsentativen Demokratien zunehmend als Illusion empfunden wird. Bei solchen Gefühlslagen entstehen dann Wahlentscheidungen wie bspw. der Brexit und die Seite, der es gelingt ihre Position als Protest gegen das bestehende System zu inszenieren, wird dann das Referendum für sich entscheiden. Dies gestaltet sich zunehmend schwieriger, wie das knappe erste Referendum in Schottland bereits gezeigt hat.

Manche Staaten wären lieber heute als morgen Mitglied der EU? Was wäre beispielsweise für Serbien das Beste?

Soweit ich es einschätzen kann ist die serbische Gesellschaft in dieser Frage tief gespalten, auch aufgrund der ambivalenten Erfahrungen ihrer kroatischen Nachbarn nach deren EU Beitritt. Insbesondere die radikalen nationalistischen Kräfte um Vojislav Šešelj verstehen es, politisches Kapital aus solchen Erfahrungen zu schlagen und eine generelle Missgunst gegen die geopolitische Agenda der NATO, die sich scheinbar zunehmend in Serbien durchsetzt, für ihren politischen Machterhalt zu instrumentalisieren.

Die Kritik an der Globalisierung hat zuletzt stark zugenommen. Was daran ist berechtigt, was ist überzogen?

Wertunterschiede liegen immer im Auge des jeweiligen Betrachters. Aus ökonomischer Sicht sind protektionistische Tendenzen in den allermeisten Fällen eine falsche und kontraproduktive Reaktion. Vielmehr erwächst die Unzufriedenheit in weiten Teilen der westlichen Gesellschaften gar nicht aus dem Neid auf eine neue Mittelschicht in Entwicklungsländern, sondern vielmehr aus dem Gefühl, dass die Globalisierungsgewinne im Westen nur einer sehr kleinen und dabei noch anonymen Elite zugute kommen. Dieses Gefühl der Ohnmacht verstehen insbesondere radikal-nationalistische Kräfte für sich zu nutzen.

Die Griechenland-Krise begleitet uns seit Jahren. Bis heute ist das Problem nicht gelöst. Was wäre angesichts der riesigen Staatsschulden des Landes Ihrer Meinung nach die beste Lösung?

Eine Kombination von Schuldenschnitt und Entwicklungshilfe aus einem solidarischen EU-Investitionsfond wären zielführend---um eine Kuh zu melken, muss man sie schließlich zuerst am Leben erhalten. Dies schlägt z.B. auch der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis vor und bekommt, zumindest bezüglich eines Schuldenschnitts, sogar Rückendeckung vom IWF, worüber sich Wolfgang Schäuble wenig amüsiert zeigt. Anscheinend hält Herr Schäuble eine solche Lösung angesichts der deutsch-französischen Interessenkonflikte für vollkommen inakzeptabel und kommuniziert dies als promovierter Jurist über den Glaubenssatz, dass Verträge eingehalten werden müssen. Dabei adressiert er öffentlich die griechische und nicht etwa die französische Regierung, was uns durchaus zum Nachdenken anregen könnte.

Als nächster Wackelkandidat gilt bereits Italien. Könnte es ein zweites Griechenland werden?

Dafür ist Italien viel zu groß im Vergleich zu Griechenland. Dies bedeutet aber eben auch, dass die Währungsunion bei einer tiefen italienischen Schuldenkrise, für die es genügend Anzeichen gibt, wahrscheinlich auseinanderbrechen wird. Die neu entfachte Diskussion um die sog. TARGET Salden bzw. deren mögliche Abwicklung ist ein Anzeichen dafür, dass solche Ängste durchaus existieren, auch wenn Zentralbanker immer wieder versichern, dass sie keinerlei Notfallpläne vorhalten, weil ja die Währungsunion nicht zerfallen wird. Sollte dies tatsächlich der Fall sein und nicht bloß der öffentlichen Sedierung dienen, wäre dies eine ungeheuerliche Fahrlässigkeit auf Seiten der Zentralbanken. Mich würde es brennend interessieren, wie sich die Bundesbank bei einer Abwicklung der TARGET Salden zu verhalten gedenkt.

Jetzt gibt es offenbar ernsthafte Bestrebungen, nach dem Vorbild des IWF einen eigenen europäischen Währungsfonds zu schaffen. Eine gute oder eine schlechte Idee?

Falls ein solches Konstrukt der solidarischen Stabilisierung von Handelsbilanzpositionen innerhalb der EU dient und damit eine fehlende fiskalpolitische Union in der Eurozone ersetzen kann, wäre dies sicherlich sehr hilfreich für eine funktionierende EU und ein friedliches Europa. Eine solche Ausgestaltung würde erfahrungsgemäß aber sofort an nationalen Widerständen innerhalb der EU scheitern und entspräche, nebenbei bemerkt, sicherlich nicht dem „Vorbild“ eines IWF, der sich bei seiner Gründung leider explizit gegen eine Rolle als globaler Überschussverwerter entschieden hat. Außenhandelspositionen, sowohl Defizite als auch Überschüsse, sollten nie in moralischen Kategorien diskutieren werden, wie es hierzulande oft und jetzt auch in den USA zunehmend der Fall ist. Es ist eine buchhalterische Notwendigkeit, dass Deutschland, China oder Japan als Nettoexporteuren eben andere Länder als Nettoimporteure gegenüberstehen müssen. Es ist eine weitere buchhalterische Notwendigkeit, dass einer positiven Leistungsbilanz eine negative Kapitalbilanz zuzüglich der Währungsreserven gegenüberstehen muss. Profaner formuliert: Nettoexporteure leihen Nettoimporteuren das Geld, damit Letztere sich die Waren und Dienste der Erstgenannten leisten können. Im Falle Deutschlands kommt neben der Komponente technischer Innovationsfähigkeit die Wettbewerbsfähigkeit übrigens auch aus einer jahrzehntelangen restriktiven Lohn- und Sozialpolitik und der gemeinsamen Euro-Währung. Entscheidender finde ich die Frage was eigentlich passieren soll, wenn die globale Überschussverwertung, die zunehmend schlechter durch die USA als größte Nettoschuldnernation der Welt aufrechterhalten wird, nun ganz wegfällt, so wie sich Trump und Navarro das anscheinend vorstellen? Sollte die USA tatsächlich ihr Handelsbilanzdefizit vermindern wollen, wird dies zu einer immensen globalen Krise führen, vor der man sich fürchten muss.

China will nicht länger die Werkbank der Welt sein, sondern schnell zu den Industrieländern aufrücken. Deshalb kauft es weltweit High-Tech-Firmen, auch in Deutschland. Sollte man das nicht unterbinden, da dadurch Know-how und Marktführerschaft verloren gehen können?

Aus ökonomischer Sicht halte ich das wieder für sehr problematisch. Aus nationalstaatlicher Perspektive werden hier dann auch eher geheimdienstliche oder sicherheitspolitische Bedenken ins Feld geführt, um solche Übernahmen zu verhindern, siehe bspw.  MAMCO, Ralls Corp, oder jetzt eben Aixtron.

Trump will die Wirtschaft der USA durch Steuersenkungen, hohe staatliche Ausgaben für die Infrastruktur und Deregulierung ankurbeln. Schlau oder weniger schlau?

Steuersenkungen, insbesondere in hohen Einkommensklassen, haben keinen Nachfrageeffekt und auch keinen „trickle down“ Effekt, der an dieser Stelle oft propagiert wird. Was Deregulierung im Finanzsektor bewirkt haben wir zuletzt 2007 vorgeführt bekommen. Die Deregulierung im Hinblick auf Umweltstandards birgt ebenso offensichtliche globale Gefahren. Bliebe also noch das Infrastrukturprogramm, das mit Abstand die sinnvollste unter den drei Ideen darstellt, wobei natürlich abzuwarten bleibt, wie es konkret ausgestaltet wird.  Sollte es Trump gelingen dieses Programm im Stile eines „New Deal“ zu inszenieren, würde er sicherlich großes politisches Kapital daraus schlagen können, v.a. im Hinblick auf die Wahl 2020.

Aufgrund von Trumps angekündigten wirtschaftspolitischen Maßnahmen schossen die Börsen nach oben und stellten - wie etwa in den USA und Deutschland - neue Rekorde auf. Wenn Ihnen jemand 100.000 Dollar schenken würde – würden sie das Geld noch schnell in Aktien stecken?

Ich würde ein Viertel der Summe auf einen weit aus dem Geld liegenden Put auf den S&P500 mit der längsten Laufzeit verwetten und den Rest auf langfristige Konsumgüter verprassen. Vielleicht könnte ich mit Letzterem ein kleines Stück dazu beitragen, den momentanen und äußerst besorgniserregenden Investitionsstau innerhalb der internationalen Großkonzerne zu reduzieren. Solange sich dieser nicht auflöst, können Aktienkursgewinne in der Breite lediglich auf die globale Geldpolitik zurückgeführt werden.

Inzwischen ist die Inflationsrate bei etwa zwei Prozent und damit so hoch, wie es die EZB gern hätte. Doch die bleibt bei ihrer Geldpolitik und überschwemmt die Märkte weiterhin mit Geld, weshalb sie stark kritisiert wird. Schließen Sie sich der Kritik an?

Die Quantitative Lockerung birgt große Gefahren und legt m.E. den Grundstein für massive Verwerfungen in der Zukunft. Andererseits ist es bisher die einzige supra-nationale Antwort auf die Bankenkrise bzw. die daraus kausal entstandene Staatsverschuldungskrise. Ohne dieses Programm, trotz all seiner Unzulänglichkeiten, wären wir heute bereits in weitaus gefährlicheren Fahrwassern, wie sich bspw. an der Krise 1929 ableiten lässt, wo eine solche Reaktion ausblieb. Aus dieser Perspektive bietet uns das Ankaufprogramm der EZB wichtige Zeit, die wir aber nutzlos verstreichen lassen, denn ohne einen funktionierenden Solidaritätsmechanismus ist die europäische Währungsunion definitiv zum Scheitern verurteilt.