Die Reiterstatuen St. Georg und St. Martin

Mit der Eröffnung des Hauptportals haben auch die Reiterstatuen St. Georg und St. Martin an der inneren Westwand ihre Plätze bezogen. Beide Bildwerke sind jedoch bereits hundert Jahre zuvor, um 1325/30, entstanden und hatten seither an anderer Stelle ihren Dienst getan. Bei der Umversetzung der Bildwerke samt ihrer Konsolstützen an die Wandpfeiler zu Seiten des neuen Portals wurde der bereits fertig ausgeführte Pfeilermitteldienst nach Bedarf wieder abgeschlagen. Gleiches gilt für das jeweils wandseitige Bein der Reiter, obwohl diese bis ins Detail ausgearbeitet und wie auch die Rückseiten der Pferdeköpfe sogar farbig gefasst und vergoldet waren. Ohne Zweifel standen die Reiter auch ursprünglich architekturgebunden, aber von den Seiten her viel besser einsehbar, vermutlich vor flacher Wand. In Betracht kommt hierfür mit größter Wahrscheinlichkeit eine frühere Wand im Dom, die in jener Zeit überflüssig und abgerissen wurde, als die Reiterheiligen an die neue Westwand umzogen. Gemeint ist jene provisorische Westfassade mit dem vorläufigen Portal nach dem zweiten Langhausjoch. Vieles spricht dafür, dass die Ritterheiligen von Anfang an als heraldische Begleiter des Hauptportals gedacht waren, dessen Vollendung aber wegen der Bauverzögerungen im Mittelschiff auf lange Sicht nicht zu erwarten war, so dass man die Reiter zunächst am vorläufigen Westportal platzierte.

St. Georg und St. Martin sind unzweifelhaft als Paar konzipiert, aber von zwei unterschiedlichen Bildhauern geschaffen. Obgleich auch in künstlerischer Hinsicht eng verwandt, werden doch in ihren Temperamenten geradezu gegensätzliche Reiter vorgestellt. Inwieweit dies in der Person der Bildhauer begründet lag, lässt sich nicht entscheiden. Wahrscheinlicher ist, dass diese Polarität der Temperamente inhaltlich vorgegeben war und zwei ihrem Wesen nach komplementäre Rittertugenden darstellen sollten. St. Georg steht für heroischen Mannesmut und aktive Tatkraft, St. Martin für selbstlose Mildtätigkeit. Es ist interessant zu beobachten, wie eng Ross und Reiter der jeweiligen inhaltlichen Ausrichtung folgen. St. Georg erscheint hoch zu Ross in nahezu geschlossenem Kettenpanzer und voller Bewaffnung, nur Haupt und Hände sind ungeschützt. Die Rechte umgreift eine geschulterte Lanze, die heute stark fragmentiert ist. Am Waffengurt hängen ein Dolch und auf der abgewandten Seite ein großes Schwert. Auf den Schwertknauf gestützt greift der linke Arm nach vorne und strafft die Zügel, der Fuß ist energisch in den Steigbügel gestemmt. Mit aufgeweckt erhobenem Kopf verharrt das kraftvolle Pferd in festem Stand. Rückseitig dienen zwei knorrige Baumstämme als technische Stützen, stehen aber auch symbolisch für die naturhafte Kraft und Stärke des hl. Georg. Seine Körpergestalt entspricht jedoch gar nicht diesem heroischen Männlichkeitsideal. Die eiserne Starre des Kettenhemds wird von kunstvoll arrangierten Gewändern überspielt, die Körperproportionen sind zierlich und das lockenprangende Haupt wirkt in seiner ungeschützten Blöße eher sensibel und jugendlich verträumt.

St. Martin, gleichfalls im Sattel, wendet sich zurück, trennt mit dem Schwert ein Mantelstück ab und überlässt es einem Bettler. Das Schwert, wohl aus Holz oder Metall, ist verloren. Eine weich ausgeformte Standplatte verbindet die Gruppe und wächst sich rückwärtig zum Stützpfeiler aus. Das Pferd ist wahrlich kein Streitross, mit schleifenden Zügeln scheint es führerlos unsicher auf der Stelle zu treten. Aber auch der Reiter wirkt in seinem Tun eher recht verhalten. St. Martin trägt höfische Gewandung anstelle einer Rüstung. Der Fuß baumelt im Steigbügel, selbst der Schwertarm ist ohne Kraft, und das zierliche Haupt blickt sinnierend in die Weite. Der aktivste Part ist der vom Zupacken des Bettlers gespannte Mantel und das Aufklaffen des Schnitts. Dies ist auch das eigentlich dominierende Motiv des Bildwerks. Alles äußerlich Heroische ist bei St. Martin zurückgenommen, um selbstvergessenes Mitleid als ritterliche Kerntugend parabelhaft vorzuführen. Bei St. Georg indessen überwiegt die Zurschaustellung des Heroischen, aber eigentlich auch nur im Äußerlichen. Ross, Rüstung und Waffen sind nur Attribute, die Gestalt selbst erscheint davon unberührt einer anderen Seinssphäre zuzugehören. Gleiches gilt für St. Martin in seiner mentalen Versunkenheit. Vielleicht ist es das, was die beiden Reiter in den Augen der Bildhauer zu Heiligen machen sollte.

Als Ritterheilige gehören St. Georg und St. Martin auch zum Rahmenprogramm der Hauptportalanlage und ihrer erhöhten Ehrentribüne. Dem können sie bestens Rechnung tragen, denn die Bildhauerarbeit folgt bis in die Details von Zaumzeug, Rüstung, Waffen und Gewändern dem zeitgenössisch höfischen Standard. Zudem ließ sie der Prunk ihrer ursprünglichen Farbfassung ließ sie insbesondere bei festlichen Einzügen als kostbar ausstaffierte Paradereiter erscheinen.