Uljana Wolf – DOPPELGEHERREDE

Uljana Wolf ist Lyrikerin, Übersetzerin und arbeitet sowohl in Berlin als auch New York. Sie gibt Seminare zu Poesie und Übersetzung und unterrichtet Deutsch als Fremdsprache – ihre eigene Lyrik ist somit stark von der Arbeit mit verschiedenen Sprachen geprägt, und öffnen die Sinne für Interpretation in sämtliche Richtungen, zu denen auch Einwanderung und Identitäten gehören.

KOOKBOOKS VERLAG

Der Kookbooks Verlag setzt seinen Schwerpunkt in Lyrik und Prosa der Gegenwart. Er wurde 2003 gegründet und vertritt Autor*innen wie Sabine Scho oder Monika Rinck. Die Webseite des Berliner Kleinverlages befindet sich derzeit im Umbau.

Tingeltangel, lese ich. Da hüpft mein Hirn, Tingeltangel, und assoziativ sehe ich rotes Tentakelhaar auf einem gelben Körper, der Bart Simpson an die Gurgel will. Eine ganz falsche Fährte allerdings, auf die mich meine Sozialisation da gelockt hat. Aber das ist erst einmal ganz egal, denn beim ersten Lesen von Uljana Wolfs Gedicht „Doppelgeherrede“, das ziemlich zu Anfang ihres Buches „meine schönste lengevitch“, das 2013 veröffentlicht wurde, steht, hüpft man eben einfach, von einem Wort zum nächsten, die Worte fließen, und irgendwie ergibt alles Sinn in seiner (vorläufigen) Unsinnigkeit. Ganz egal wer "mrs. stein" und "mr. veilmaker" sind, man stolpert so schön über Worte,  die man lange nicht mehr gedacht hat ("ballsaal" und "kressekästchen") oder über solche, die man noch nie gedacht hat ("wortkaninchen" und "dunkeldeutsch") und zusammen ergibt das eine Ordnung im Chaos, die von vokalen Gleichklängen und Alliterationen noch unterstrichen wird.

Aber wenn das schon alles wäre, würde es einen dann doch recht unbefriedigt zurücklassen, und bekanntermaßen gibt es in der Lyrik wohl kaum ein derart schnelles "Interpretationsende" (Fluch und Segen!). Und, mal davon abgesehen, dass ein Text ja nur zu dem wird, was er sein kann, wenn er Leser hat, entwickeln Gedichte im Gegenteil oft erst ihre Bedeutung, wenn jemand zumindest ein bisschen an der Oberfläche kratzt, und wenn man sich entscheidet, sogar hinein zu tauchen, dann kann Lyrik endlose Tiefen bereithalten.

Und so auch bei Uljana Wolfs "Doppelgeherrede", einem Prosagedicht, das einem, bei genauerer Beschäftigung, nach und nach immer mehr zurück gibt (selbst ohne es in den Kontext des gesamten Bandes zu setzen).

Das Werk entstammt dem Gedichtband "meine schönste lengevitch" – da klingelt etwas in meinem in der Lyrik eher ungeübten Studentenhirn. Achja, Kurt M. Steins Gedicht „Die schönste lengevitch“, in dem sich beschwert wird über den Verlust der wunderbarsten Sprache dieser Welt, gern im Englischunterricht der 5. Klasse gelesen, weil im reinsten Denglisch verfasst.

Dem ist also der Titel des Bandes, „meine schönste lengevitch“, entlehnt, in dem die Autorin ebenfalls Deutsch und Englisch mischt und mit beiden Sprachen spielt.

So, und nun begibt sich das lyrische Ich in das Tingeltangel, das lautmalerisch an Larifari und Kokolores erinnert, allerdings einmal die negativ konnotierte Bezeichnung für eine Art billiges Tanzlokal war. Das lyrische Ich wird beim "lengevitch" angeln also zunächst in eine lockere Umgebung setzt. Doch um nun zu verstehen, um was es wirklich geht, brauchen wir zumindest die Kenntnis, dass Uljana Wolf nicht nur Lyrikerin ist, sondern auch als Übersetzerin aus dem amerikanischen Englisch arbeitet. Der Übersetzungsvorgang stellt einen vor Herausforderungen, die weit über das bloße Wort für Wort Übersetzen, dass es ja so eigentlich gar nicht gibt, gehen.

Das Gedicht stellt diese Schwierigkeiten auf eine neue Art und Weise dar:

Eigentlich ist es eine nette Vorstellung, man gibt nichts ab in der Garderobe, statt dessen bekommt man eine zusätzliche Sprache, die irgendwie anders ist aber dennoch ähnlich, die einen, oder viel mehr, einen Text, von nun an kleidet: „die spiegel zeigten nur eine von uns, kalte spucke, spuk“, das lyrische Ich ist nicht begeistert von dieser neuen "Identität".  Spricht und denkt man in zwei Sprachen und trotzdem wird, abhängig vom Gegenüber und auch dessen Identität, nur die eine verstanden, gar wahrgenommen, spiegelt das wohl kaum die gesamte Identität eines Individuums wider. Demnach darf man so beim Übersetzen einem Text auch nicht einfach eine neue Sprache überstreifen, und somit dessen Herkunft vergessen.

Bereits der Theoretiker Friedrich Schleiermacher, auf den mr. veilmaker, der plötzlich ganz adrett im Gedicht auftaucht, hinweist, sprach von der Aufgabe des Übersetzers, sich sowohl des Schriftstellers "eigenthümliche Denkweise und Sinnesart" bewusst zu sein, als auch der Identität der Sprache, in der dieser schreibt.

Und dann hat der Übersetzer die Wahl, entweder den Autor zum Leser hin zu bewegen, wodurch der Textinhalt sich aber zu stark verändern würde, oder aber den Leser dem Autoren näher bringen, damit die kulturelle Identität des Textes herausgebildet werden kann, die den Textinhalt schließlich mit beeinflusst (aber ebenso vom Text beeinflusst wird.) Schleiermacher spricht sich demzufolge eher für die weniger publikumsorientierte Verfremdung eines Textes aus, um die bestmögliche Übersetzung des Textes zu bewahren.

Fast scheint sich Wolf weder so richtig für eine Methode, noch für eine Sprache, zu entscheiden - was mr. veilmaker, für gänzlich unmöglich hält, und mit einem "dass ich gespenster seh!" quittiert.

Stattdessen hebt sie die Grenzen zwischen den Sprachen auf, lässt sie transzendieren und macht sie durchlässig für neues. Uljana Wolf macht, wie auch Kurt M. Stein, translinguale Poesie, löst sich somit davon, eine Art nationalen Standpunkt zu haben. Als Übersetzerin ist sie sich dieses Standpunktes nämlich bewusst, und müsste sich nach Schleiermacher ja auch für eine Variante entscheiden: die Verfremdung eines Textes, um seinem Original treu zu bleiben, oder die Angleichung, um dem Leser verständlich zu bleiben.

Uljana Wolf schafft etwas komplett neues, eine Sprache, die keiner und somit alle sprechen, die keine Wurzel hat, die "wächst auf einem weißen blatte! wurzellos!", ruft mr. veilmaker -  und hält die Kresse, die ja bekanntermaßen keine Erde braucht, um zu wachsen, nur ein paar Samen. Die zu Anfang an der Garderobe bekommene Sprache geht schließlich mit mr. veilmaker tanzen, während sein Zwilling zurückbleibt. Schlussendlich meint mrs. stein, welche die Autorin Gertrude Stein darstellt, "wer Schatten hat, muss für die Spots nicht sorgen" und "packt ihre Knöpfe ein" - eine Anspielung auf ihr Werk "Tender Buttons", in dem sie ebenfalls experimentelle Prosalyrik schuf und in dem sie ähnlich frei mit Worten umgeht. Uljana Wolf arbeitet mit Gleichklängen, aber auch "falschen Freunden", verwendet also englische Wörter, die ähnlich zu einem deutschen Wort klingen, aber eine andere Bedeutung haben, und stellt somit eine Verbindung her zwischen Sprache und Identität.

Wolfs Lyrik spricht in vielen Sprachen, die alle fluid erscheinen, die Freiheit haben, sich zu verändern und erneuern oder sogar falsch sein dürfen, dabei aber wurzellos sind und sich loslösen von einem festen Konstrukt von Sprache - und vielleicht auch von der festen Vorstellung, wie Sprache zur eigenen Identität beitragen kann. Denn, so wie Sprache, Textinhalt und Autor selbst zusammenhängen, und, sofern des Autors Ton unzulänglich übersetzt wird und das gewollte Textverständnis nicht gegeben ist, der Text also eine andere "Identität" bekommt, so hängt Sprache auch mit der Identität des Einzelnen zusammen. So lässt sich, neben der Beschreibung des Übersetzungsprozesses und der Transzendierung (nicht nur) der sprachlichen Grenzen, durchaus auch der Ansatz einer Darstellung einer zersplitterten Identität, die mehrere Sprachen trägt, aber keine Wurzeln zeigt, finden.

 

Leah Hentschel