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▼ Professorin Dr. Sabine Föllinger [2004]

Professorin für Klassische Philologie/ Schwerpunkt Gräzistik

\\ PROFESSORINNEN AN DER UNIVERSITÄT BAMBERG

\\ INTERVIEW VON 2004

 

"Ich wollte als Frau genau wie Männer beides haben: Karriere und Familie."


 

Können Sie uns bitte kurz Ihre akademische Laufbahn vorstellen?

Nach dem Abitur in Karlsruhe machte ich ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) in Berlin. Ich war mir zunächst unschlüssig, ob ich einen sozialen Beruf ergreifen oder mich mit alten Sprachen beschäftigen sollte. Nach dem FSJ war mir klar, dass Sprachen das Richtige für mich waren. So immatrikulierte ich mich in Freiburg für Latein und Theologie. Für Latein musste ich das Graecum nachholen, und so nahm ich später Altgriechisch als weiteres Studienfach auf. Ich studierte in Freiburg, München und Rom. Als ich von Rom nach Freiburg zurückkehrte, machte ich Altgriechisch zu meinem Hauptfach. Das Altgriechisch- Studium zog ich relativ schnell durch, machte das Staatsexamen und begann mit meiner Doktorarbeit. Dabei hatte ich das Glück, dass mein Gräzistiklehrer aufgeschlossen war für eine Fragestellung, die mich sehr interessierte: „Die Sicht des Geschlechterverhältnisses bei den antiken Philosophen bis ins erste Jahrhundert vor Christus.“ Zu dieser Frage schrieb ich zuerst meine Staatsexamensarbeit, dann meine Doktorarbeit. Auf die Idee brachte mich eine Aristoteles-Vorlesung meines Lehrers, in der er auch auf das Geschlechterverhältnis einging. Die Fragestellung war nicht typisch unter dem Aspekt der Gender-Studies, aber ich fand es faszinierend, dass Aristoteles so viel über das Geschlechterverhältnis geschrieben hat. Zur selben Zeit beschäftigte ich mich mit der Geschlechterverhältnis-Theorie der Italienischen Schule. Zwischen diesen Vorstellungen entdeckte ich einige Verbindungen. Mein Promotionsthema war also sehr spannend, denn: ohne Kenntnisse aus der und über die Antike würden wir uns heute nicht verstehen. Während meiner Promotionszeit hatte ich zunächst eine halbe Stelle am Seminar für Klassische Philologie in Freiburg. Das war allerdings nur eine Vertretungsstelle. Als der Vertrag auslief, bewarb ich mich für eine AssistentInnenstelle an der Uni Mainz, denn ich wollte weiter an der Hochschule arbeiten.

Wie sah Ihre Habilitationsphase aus? Wann kamen Sie an die Uni Bamberg?

In Mainz fertigte ich auch meine Habilitation an. Die Arbeit dort war zunächst anstrengend, denn ich musste mich neuen Anforderungen, einer neuen Methodik stellen. Dieser Wechsel tat aber auch gut. Mein Chef in Mainz ging wenig später nach Zürich und wollte mich mitnehmen. Ich beschloss aber, bis zum Abschluss meiner Habilitation in Mainz zu bleiben. Meine Habilitation behandelte das Thema „Tragödie – Mythos - Mythosverwendung im 5. Jahrhundert vor Christus“. Im Jahr 2000 war meine Habilitationsschrift fertig, und ich begann mich zu bewerben. Ich hatte zwischenzeitlich geheiratet und bekam in meiner Bewerbungsphase ein Kind. Im vergangenen Jahr wurde ich in Bamberg berufen, worüber ich mich sehr freue.

Ihre Dissertation handelte vom Geschlechterverhältnis in der Antike. Haben Sie einen Gender-Schwerpunkt in Ihrer Forschung?

Ich bin zwar weiterhin an der Genderproblematik interessiert, dennoch hat sich mein Forschungsschwerpunkt etwas geändert. Er liegt im Bereich der Tragödie, insbesondere unter den Gesichtspunkten: Was ist Mythos? Was ist Rationalität? Außerdem untersuche ich verschiedene Formen von Wissenschaftsliteratur. In der Antike ist Wissenschaftsliteratur – anders als heute – stark dialogisch aufgebaut. Bei Aristoteles beispielsweise wird das Geschlechterverhältnis stets auf verschiedenen Ebenen betrachtet: Biologisch, aber auch ethisch-philosophisch.

Die Sex-Gender-Debatte gab es also bereits in der Antike?

In gewisser Weise schon. Platon wurde berühmt für seinen Vorschlag, dass Frauen und Männer im Idealstaat gleich erzogen werden sollen. Alles, was als typisch weiblich erachtet wird, sei auf Erziehung zurück zu führen. Platon bringt die Analogie des Wachhundes: Hier würden Männchen und Weibchen gleich erzogen. Allerdings kann man diese Aussage auch kritisch sehen, da sich Platon so über viele Probleme hinwegmogelt: Letztendlich ist doch nicht alles gleich. Aristoteles wiederum legt seinen Schwerpunkt auf biologische Eigenheiten. Im Grunde sind es aber damals wie heute die gleichen Problematiken – und das war für mich eine faszinierende Entdeckung.

Hatten Sie während Ihrer Studienzeit Vorbilder, die Sie zur wissenschaftlichen Karriere ermuntert haben?

Ich hatte leider keine weiblichen Vorbilder. Damals gab es in unserem Fach, vor allem in der Latinistik, kaum Professorinnen. Das ändert sich langsam. Bei der älteren Generation der Professorinnen waren die meisten unverheiratet und hatten keine Kinder – völlig verständlich, wenn man sich die Umstände angesehen hat. Ich glaube aber, dass der Mensch auf beides angelegt ist: Auf das Soziale, aber auch auf Geistiges und Künstlerisches. Ich wollte als Frau genau wie Männer beides haben: Karriere und Familie. Ideelle Unterstützung bekam ich vor allem von meinem Doktorvater. Er gab mir die halbe Stelle an seinem Lehrstuhl. Das ist sehr wichtig, um einen Fuß in den Wissenschaftsbetrieb an der Uni zu bekommen.

Nur knapp über 30 % der wissenschaftlichen MitarbeiterInnenstellen sind mit Frauen besetzt, rund 2/3 mit Männern. Woran liegt das und sehen Sie das als Problem?

Das hat sicherlich komplexe Gründe. Männer nehmen ihre Karriere viel gezielter in Angriff, und als DozentIn reagiert man zunächst positiv auf Menschen, die klare Vorstellungen haben. Später verlagert sich die Problematik dann zur Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und zur Frage des wissenschaftlichen Qualifikationsweges. Gerade in unserem Raum ist es ein Problem, dass Frauen mit Kindern häufig beruflich zurückstecken.

Haben oder hatten Sie Probleme, Familie und Karriere unter einen Hut zu bringen?

Ich habe mein Kind nach der Habilitation bekommen. Ich glaube, dass es die Karriere stärker behindert, wenn Frauen während der Habilitation schwanger werden. Eine wissenschaftliche Arbeit absorbiert sehr, und jede längere Pause ist hinderlich. Es gibt aber Frauen, die es auch dann schaffen, und das ist bewundernswert. Außerdem braucht man natürlich einen Partner, der mitzieht. Wir haben uns von Anfang an die Arbeit, die mit einem Kind verbunden ist, geteilt. Es ist also eine Frage der Interaktion und des „Managements“. Als unser Baby da war, habe ich sechs Monate ausgesetzt und habe dann gleich wieder angefangen zu arbeiten. Das ist wichtig: Nicht lange Erziehungsurlaub nehmen!

Wie haben Sie die Kinderbetreuung geregelt?

Von der Kinderbetreuung hängt viel ab. Wir haben in Mainz eine Tagesmutter eingestellt. Kinderbetreuung ist oft eine große finanzielle Belastung für Familien. Hinzu kommt aber gerade in Deutschland ein Bewusstseinsproblem: Hier ist die Meinung noch weit verbreitet, dass eine Frau eine Rabenmutter sei, wenn sie sich nicht den ganzen Tag um ihr Kind kümmert. In anderen Ländern, wie zum Beispiel Frankreich und Italien, ist es selbstverständlicher, dass Frauen Kinder und Beruf vereinbaren. Seltsam: Durch die Geschichte hindurch haben Frauen mit Kindern arbeiten müssen, und die Wohlhabenden leisteten sich Ammen und Kindermädchen. Der Mütterlichkeitskult in diesem Sinne ist ein relativ modernes Phänomen.

Wenn Sie Ihre Studienzeit mit der jetzigen Situation vergleichen: Was stellen Sie fest? Worin sehen Sie die Unterschiede?

Positiv ist, dass die Studierenden heute selbstbewusster sind. Damit kann man sich einiges erleichtern – die Studierenden trauen sich beispielsweise, öfter Fragen zu stellen. Das hat aber auch negative Auswirkungen: Das Gefühl, Nachholbedarf zu haben, spornt eigentlich an, sich immer weiter zu bilden und die eigenen Defizite auszugleichen – das fehlt ein wenig. Außerdem sind Studierende zum Teil – nicht alle – weniger selbstständig als früher. Vielleicht hat das Selbstbewusstsein damit zu tun: Wenn man häufiger fragt, versucht man seltener, eigenständig ein Problem zu lösen. Außerdem haben viele ein geringeres Durchhaltevermögen. Dabei gibt es in jedem Studium schwierige fachliche Fragen und Phasen.

Was würde Sie Studentinnen raten, die eine wissenschaftliche Laufbahn einschlagen möchten?

Für eine wissenschaftliche Laufbahn ist es wichtig, frühzeitig präsent zu sein. Man muss sich Dinge zutrauen und darf nicht ängstlich sein. Außerdem ist es wichtig, gute Fragestellungen zu haben. Man sollte versuchen, an der Universität zu arbeiten: Hilfskraftstellen sind der erste Schritt. Wichtig: Netzwerke bilden und sich präsentieren. Und man darf nicht denken, dass mit dem ersten Kind alles aufhöre. Die latente Neigung, nur bis zur Schwangerschaft wissenschaftlich zu arbeiten, existiert. Dabei sind die Rahmenbedingungen heute besser als früher: Wissenschaftlerinnen mit Kind werden eher akzeptiert.

Worin sehen Sie die Ursachen dafür, dass der Professorinnenanteil an Unis so niedrig ist?

Die Ursachen dafür liegen vor allem in Netzwerken und Sprachspielen, die gerade in Männerdomänen von Männern geprägt sind. Um sie zu ändern, müssen mehr Frauen an die Universitäten kommen, die die Strukturen aufbrechen und eigene Netzwerke schaffen. Netzwerke spielen an der Uni – wie in anderen Metiers auch – eine entscheidende Rolle.

Hatten Sie das Gefühl, dass Sie – im Vergleich zu Ihren männlichen Kollegen – mehr leisten mussten?

Die Leistungen werden gleich angesehen, allerdings glaube ich, dass es mehr irrationale Vorbehalte gegen Frauen gibt. Das ist aber mein subjektiver Eindruck, denn in die Berufungsverfahren hat man ja in der Regel keinen direkten Einblick. Auf der Berufungsliste stehen meist ähnlich qualifizierte BewerberInnen, die FürsprecherInnen brauchen, und da kommt dann das irrationale Moment zum Tragen.

Würden Sie mit dem Wissen, das Sie heute haben, etwas an Ihrem beruflichen Werdegang ändern?

Ich würde manche Dinge noch gezielter und strukturierter angehen.

 

Vielen Dank für das interessante Gespräch.