Porträtfoto der Professorin Artelt

▼ Professorin Dr. Cordula Artelt [2007]

Leitung des Lehrstuhls für Empirische Bildungsforschung

\\ PROFESSORINNEN AN DER UNIVERSITÄT BAMBERG

\\ INTERVIEW VON 2007

 

"Es wäre gut, Frauen in der Wissenschaft mehr zu ermutigen und die Möglichkeiten aufzuzeigen. Es gibt bei den Frauen eine Tendenz, da bescheidener zu sein."


Sie sind ja Psychologin, Frau Prof. Artelt; wie wird man als Psychologin zur Lehrstuhlinhaberin für Empirische Bildungsforschung? Können Sie uns kurz Ihren Werdegang erzählen?

Während meines Psychologiestudiums an der Freien Universität Berlin lag mein Schwerpunkt in der Entwicklungspsychologie. Nach dem Diplom habe ich das Angebot einer Promotionsstelle an der Universität Potsdam erhalten. Diese Stelle und damit auch die inhaltliche Ausrichtung waren bereits im pädagogisch-psychologischen Bereich angesiedelt. Gegenstand der Pädagogischen Psychologie sind Fragen des Lehren und Lernens bzw. der Beschreibung, Erklärung und ggf. auch Veränderung dieser Prozesse. Dies sind ebenfalls Kernbereiche der Empirischen Bildungsforschung, wenngleich mit anderen Akzentsetzungen. Nach meiner Promotion in Potsdam wechselte ich für sechs Jahre ins Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. Sicher auch über die Mitwirkung an großen international vergleichenden Studien im Bildungsbereich bin ich zu einer Bildungsforscherin geworden. Lehrstühle für Empirische Bildungsforschung sind erst in den letzten Jahren entstanden. Entsprechend sind diese Stellen mit Personen besetzt, die ein entsprechendes Forschungsprofil aufweisen.

Was ist eigentlich Empirische Bildungsforschung – gibt es denn einen Unterschied zur Bildungsforschung an sich? Warum ‚Empirische’ Bildungsforschung?

In gewisser Weise kann man die Empirische Bildungsforschung als das erziehungswissenschaftliche Pendant zur Pädagogischen Psychologie sehen. Hier wie dort geht es um Prozesse des Lehrens und des Lernens in mehr oder weniger stark strukturierten Kontexten. Als Disziplin innerhalb der Erziehungswissenschaft trägt die Empirische Bildungsforschung sicher auch aus historischen Gründen das Adjektiv „empirisch“ im Titel. Streng genommen würde sicher auch der Begriff „Bildungsforschung“ genügen. Über das Adjektiv empirisch wird jedoch noch einmal unterstrichen, dass hierbei empirische Forschungsmethoden verwendet werden.

Und wie sind Sie dann nach Bamberg gekommen?

Ich habe mich auf den im Rahmen der Forschergruppe BiKS „Bildungsprozesse, Kompetenzentwicklung und Selektionsentscheidungen im Vor- und Grundschulalter“ ausgeschriebenen Lehrstuhl beworben. Sehr gute und aufeinander abgestimmte Projektanträge im Bereich der Empirischen Bildungsforschung wurden eine Zeit lang von der DFG (= Deutsche Forschungsgemeinschaft; Anm. d. Red.) zusätzlich mit der Einrichtung einer Forschungsprofessur gefördert; und meine Professur ist eine solche. Ich habe mich auf diese Professur beworben und das normale Prozedere durchlaufen.

Sie sind jetzt seit Dezember 2005 hier?

Ja.

Und wie gefällt es Ihnen hier?

Gut.

Wie kam es zu Ihrem Entschluss, eine wissenschaftliche Karriere anzustreben?

Das war ein klassischer Sozialisationsprozess, wie er bei vielen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vorkommt: Während des Studiums habe ich in einem Forschungsprojekt als studentische Hilfskraft gearbeitet. Wenn man einmal in einem gut funktionierenden Forschungsteam an interessanten Fragen arbeitet, ist das Interesse am wissenschaftlichen Arbeiten und damit auch an einer wissenschaftlichen Karriere schnell geweckt.

Sind Sie auf Ihrem Weg denn besonders gefördert worden oder gab es bestimmte Persönlichkeiten, die Sie auf Ihrem Weg begleitet haben, von denen Sie sagen, die waren prägend für Sie?

Sicherlich, ja. Das kann man an den Etappen meiner Laufbahn festmachen. Während des Studiums war dies die damalige Lehrstuhlinhaberin in Entwicklungspsychologie Prof. Dr. Hellgard Rauh, mittlerweile emeritiert, die mir die Türen zu meiner Promotion geöffnet hat. Inhaltlich richtungweisendund sehr fördernd war sicherlich auch Prof. Dr. Jürgen Baumert vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin, dem ich viel zu verdanken habe.

Sind Sie auf dem Weg zur Professur durch Stipendien gefördert worden oder haben Sie sich über Stellen finanziert?

Ich hatte immer Stellen, keine Stipendien.

Und was würden Sie heute einer Studentin raten, die eine wissenschaftliche Karriere anstreben möchte?

Ich würde sehr dazu raten, bereits im Studium als studentische Hilfskraft in der Forschung zu arbeiten. Hierüber wird – viel mehr als über die Lehrveranstaltungen im Studium – vermittelt, wie Forschung funktioniert. Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit, sich um Stipendien zu bemühen. Auch hier ist eine enge wissenschaftliche Anbindung und Mitarbeit wichtig. Ich würde auch zu einer Zeit im Ausland raten.

Würden Sie sagen, dass Sie es als Frau schwerer hatten, in diese Position zu kommen?

Das muss ich klar verneinen. Ich habe mich in keiner Weise benachteiligt gefühlt. Auch unabhängig von dem Bewerbungsverfahren hier in Bamberg habe ich nicht den Eindruck, es in meiner Karriere als Frau schwerer gehabt zu haben.

Gibt es generell Tendenzen – wenn Sie den Forschungsbetrieb beobachten – dass man als Frau mehr leisten muss?

Es gibt sicher Konstellationen, in denen man als Frau strukturell schlechter dastehen kann. Eine solche Konstellation wäre ein sehr männlich dominierter Arbeitskontext. Ich denke jedoch, dass Probleme hierbei viel mit mangelnder Vernetzung zu tun haben. Ich hatte diese Schwierigkeiten nicht, vielleicht auch deshalb, weil immer genügend Frauen um mich herum waren.

D.h. Netzwerke helfen sowohl den Männern als auch den Frauen?

Ja, das würde ich deutlich unterstreichen.

Kommen wir zur Forschungslandschaft bzw. zu Ihrem Forschungsgebiet und dazu, ob Sie ein bestimmtes Steckenpferd haben oder eine bestimmte Sache, die Sie besonders interessiert?

Ich habe Themen, mit denen ich mich schon seit mehreren Jahren beschäftige. Themen, die ich aus immer neuen Blickwinkeln betrachte, was eine gewisse Kontinuität ergibt; dazu gehören Fragen im Bereich der Lesekompetenz bzw. des Textverstehens und dessen Förderung. Hierzu zählen z.B. Fragen wie die nach den beim Textverstehen spontan und evoziert ablaufenden kognitiven Prozessen oder auch Fragen nachadäquaten Methoden und Bedingungen der Förderung. Ein damit verwandtes Thema und Forschungsgebiet ist das der Metakognition – einfach ausgedrückt also dem Denken über das Denken. Nebenher gibt es eine Reihe weiterer Projekte und Forschungsthemen, z.B. auch im Bereich der Lehrerexpertise.

Sie haben auch zur PISA-Studie 2003 gearbeitet. Es gab ja eine große Diskussion. Sind die deutschen Schüler nun eigentlich dümmer, oder liegt es am Schulsystem? Wie gehen wir denn jetzt um mit PISA?

Es ist sicher viel einfacher, diese Frage zu stellen als sie zu beantworten. Auf jeden Fall kann man das nicht mit zwei bis drei Sätzen tun. Die Aussage, dass unsere Schüler dümmer sind kann, man so nicht stehen lassen. Relevant für die Steuerung von Bildungssystemen einerseits und die praktische Arbeit in der Schule andererseits ist vor allem die Frage, wie man mit ggf. vorhandenen Fähigkeitsunterschieden umgehen kann. Auch ein Lehrer/eine Lehrerin steht vor der Aufgabe, Schüler und Schülerinnen unterschiedlicher Fähigkeitsniveaus zu unterrichten. Das kann mehr oder weniger gut gelingen. Im Moment spricht viel dafür, dass über eine Verbesserung des Unterrichts in Deutschland bessere PISA-Ergebnisse erzielt werden könnten. Ein wichtiges Handlungsfeld ist besonders die Förderung schwacher Schülerinnen und Schüler. Also jene, die vom Elternhaus nicht adäquat gefördert werden, bei denen es in dieser Hinsicht keine Unterstützung gibt. Hier gibt es in Deutschland sicher noch viel zu verbessern.

Kann man im Schulalter denn bereits Geschlechterunterschiede feststellen? Gibt es bereits Diskrepanzen zwischen Jungen und Mädchen, die sich fortführen?

Es gibt bereits sehr früh Unterschiede, sowohl in den Interessen als auch in den Schulleistungen. Jungen weisen im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich mehr Interessen auf und erzielen in diesem Bereich in der Regel auch bessere Leistungen. Die Domäne der Mädchen – das zeigt sich sowohl am Selbstkonzept, am Interesse, als auch an den Leistung – ist eher der sprachliche Bereich. Die sich früh abzeichnenden Präferenzen verfestigen sich dann im Laufe der Zeit über psychologisch gut beschreibbare Mechanismen. Beeindruckend ist, wie stark sich Geschlechtsunterschiede in den Leistungen und Interessen auch über Ländergrenzen hinweg nachweisen lassen. Hier gibt es allerdings ein paar interessante Ausnahmen: Korea beispielsweise, wo die Geschlechterunterschiede – zumindest in PISA 2000 – fast gar nicht zu finden waren. Wichtig sind auch Erkenntnisse wie die, dass besonders in den Naturwissenschaften Mädchen profitieren (d.h. sich auch in ihren Leistungen verbessern) können, wenn Einstellungen und selbstbezogenen Kognitionen in Bezug auf diesen Bereich verändert werden. Die Unterschiedlichkeit lässt sich also auch reduzieren.

Und weil wir gerade dabei sind, Sie arbeiten bei BiKS, können Sie uns dieses Projekt kurz vorstellen?

BiKS ist ein großes interdisziplinäres Forschungsprojekt, an dem mehrere Lehrstühle und Disziplinen beteiligt sind. Neben unserem Lehrstuhl wirken dabei noch der Lehrstuhl für Elementar- und Familienpädagogik (Prof. Hans Günther Rossbach, der Sprecher der Gruppe), die Psychologie I (Prof. Sabine Weinert), die Grundschulpädagogik(Prof. Gabriele Faust) und die Soziologie I (Prof. Blossfeld) mit. BiKS untersucht Prozesse des Kompetenzerwerbs und der Entscheidungsbildung im Vor- und Grundschulalter. Hierzu zählen Fragen wie: Wann lernen Kinder was? Welche Rolle spielen dabei Kindergarten, Schule und Elternhaus? Auf welcher Grundlage werden Entscheidungen über den Schuleintritt und die Wahl der weiterführenden Schule gefällt? BiKS hat dazu zwei große Längsschnitte, einen vom dritten bis zum achten Lebensjahr und einen, der vom achten bis zwölften Lebensjahr geht. Es werden also zwei große Panelstudien durchgeführt, die jeweils an zentralen Übergängen im Bildungswesen orientiert sind: Dem Übergang vom Kindergarten in die Grundschule und dem von der Grundschule in die weiterführende Schule.

Kommen wir zum Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf, das ja nach wie vor oft eher Frauen betrifft. Hat sich denn Ihre Karriere mit Familienplanung vereinbaren lassen?

Das Thema Familienplanung hat mich lange nicht interessiert. Ich denke, dass dies auch ein Phänomen meiner Alterskohorte ist. Ich glaube, die Jüngeren gehen mittlerweile anders damit um. In meiner und den Generationen davor wurde das Kinderkriegen als schwer mit der Karriere vereinbar erlebt.

Denken Sie, dass es an sich vereinbar ist, als Frau eine Professur inne zu haben und Kinder zu bekommen?

Man braucht ein Umfeld, das förderlich ist und einen unterstützt. Es gibt Fälle, bei denen die Rollen getauscht werden, also der Mann zu Hause bleibt. Ich halte das aber nicht für das Optimale. Es gibt natürlich viele institutionelle Möglichkeiten, die mehr ausgeschöpft (und auch ausgebaut) werden sollten. Und das soziale und private Engagement muss mehr professionell aufgefangen und unterstützt werden.

Gibt es zusätzlich noch Dinge, die geändert werden müssten, damit Frauen nicht nach der Promotion in ihrer Karriere hängen bleiben?

Es wäre gut, mehr zu ermutigen und die Möglichkeiten aufzuzeigen. Es gibt bei den Frauen eine Tendenz, da bescheidener zu sein. Daran könnte man arbeiten. Aber ich muss gestehen, dass ich darüber nicht wirklich nachgedacht habe. Ich habe den Eindruck, dass es bestimmte Punkte gibt, an denen viele den Mut nicht haben oder nicht aufbringen, dagegen sollte man etwas tun. Sicher sollten in diesem Bereich auch institutionelle Maßnahmen greifen.

Zum Beispiel?

Nun ja, dass man spezielle Fördermöglichkeiten z.B. bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft einrichtet, was es ja auch z.T. schon gibt. Etwa das Emmy-Noether-Programm. Sicher gibt es weitere, spezifisch für Frauen konzipierte Fördersysteme, die man ausbauen könnte.

Würden Sie mit dem Wissen, das Sie heute haben, etwas an Ihrem Lebensverlauf verändern?

Bestimmt, aber in den wichtigen Entscheidungen eigentlich nicht. Ich bin ganz zufrieden mit meinem Werdegang.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Das Gespräch führten Johanna Bamberg und Melanie Worack.