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▼ Professorin Dr. Christine Gerhardt [2011]

Inhaberin der Professur für Amerikanistik

\\ PROFESSORINNEN AN DER UNIVERSITÄT BAMBERG

\\ INTERVIEW VON 2000

 

"Die Amerikanistik als Literatur- und Kulturwissenschaft hat ja eine sehr kritische, linke Tradition, und ich bin mir der Freiheit sehr bewusst, mich auf Themen konzentrieren zu können, die mich auch politisch bewegen."


Könnten Sie uns bitte kurz Ihre berufliche Laufbahn vorstellen?

Als ich mich 1988 in Berlin für ein Studium Anglistik, Amerikanistik und Germanistik einschrieb, kam zu meiner Begeisterung für die englische Sprache bald die Faszination für fremde Literaturen, vor allem in den amerikanistischen Veranstaltungen von Prof. Dr. Christopher Müller. Nach meiner letzten Prüfung bekam ich dann überraschend das Angebot, als wissenschaftliche Hilfskraft an die
TU Dresden zu gehen.
Von dort ging es bald
an die Universität
Dortmund und für ein
Lehr- und Forschungsjahr an die Ohio University – eines der intensivsten und forderndsten Jahre meines Lebens. In Dortmund wurde ich dann mit einer Arbeit zu historischen Romanen über die Reconstruction-Periode, die Zeit nach der Abschaffung der Sklaverei, promoviert. Ich blieb am Institut um mich im Bereich der ökologischen Literatur- und Kulturkritik zu habilitieren, und ging für ein weiteres Jahr in die USA, diesmal nach Atlanta. Es folgte eine Professurvertretung in Freiburg und danach das Angebot, mich dort auf die Stelle der Leiterin des Deutsch-Amerikanischen Instituts zu bewerben, einer binationalen Kultureinrichtung, die in enger Kooperation mit der Universität Amerika-bezogene Vortragsreihen, Diskussionsforen, Ausstellungen, Film- und Theateraufführungen, organisiert, pro Jahr über 200 Veranstaltungen. Manche haben das als eine Weichenstellung gesehen, weg von der Wissenschaft. Für mich war es in erster Linie die Chance, mein Fach, die Amerikanistik, in neuen Zusammenhängen zu sehen. Genau zwei Jahre später, im Oktober 2010, habe ich hier in Bamberg meine Stelle als Professorin angetreten und kann das große Glück und das Privileg, hier arbeiten und leben zu können, manchmal noch nicht ganz begreifen.

Erhielten Sie während der Studienzeit bzw. in Ihrer beruflichen Laufbahn Unterstützung?

Vor allem mein akademischer Lehrer, Prof. Dr. Walter Grünzweig, hat mich von Anfang an vorbehaltlos unterstützt. Ich habe den Eindruck, dass er mich in vieler Hinsicht optimal gefördert hat, intellektuell und persönlich, durch seinen Arbeitsethos und seine Loyalität. Darüber hinaus war die ständig wachsende Dortmunder Amerikanistik mit vielen Mitstreiter/innen, die auch gute Freund/innen wurden, mein zweites Zuhause; wir haben uns täglich auf vielen Ebenen ausgetauscht und konnten uns aufeinander verlassen. In der Endphase der Habilitation bot ein DFG-Nachwuchsnetzwerk andere Möglichkeiten der professionellen Kooperation, während mich ein Lise-Meitner-Stipendium des Landes NRW finanziell großzügig unterstützt hat.

Wie kamen Sie auf die „Idee“, eine akademische Laufbahn einzuschlagen?

Es ging eigentlich immer Schritt für Schritt. Am Ende der Schulzeit hatte ich den vagen Wunsch, später „an der Uni zu bleiben,“ aber das ist während des Studiums immer mehr in den Hintergrund gerückt. Ich wusste, dass ich nicht gleich an die Schule, sondern erst nach Amerika wollte - und mit dem Angebot, in der Amerikanistik zu promovieren, wurde dieser Wunsch dann auf unvorhergesehene Weise erfüllt. In der letzten Phase der Promotion habe ich überlegt, welche anderen Optionen ich danach habe, und wurde, wieder von meinem akademischen Lehrer Walter Grünzweig darin bestärkt, mich zu habilitieren. Erst mit diesem Entschluss habe ich mich wirklich für eine akademische Laufbahn entschieden. Das heißt nicht, dass ich vorher nicht voll und ganz bei der Sache war, im Gegenteil. Aber während des Studiums und zu Beginn der Dissertation habe ich mich vor allem auf das Jetzt konzentriert, ohne all- zu viele Sorgen um die Zukunft und ohne eine akademische Karriere zu planen. Aber dann hat sich der Blick verändert – der Blick auf mich selbst, auf meine Position auf diesem Spielfeld und auf meine Möglichkeiten.

Gab es für Sie Vorbilder oder Menschen, die Sie in Ihrem Vorhaben bestärkt haben?

Die Liste solcher Menschen ist bei mir lang, ich kann hier nur einige nennen.
 Walter Grünzweig, der mit viel Energie die Dortmunder Amerikanistik aufgebaut hat – er fördert Nachwuchswissenschaftler/innen aus der ganzen Welt, lädt unermüdlich Gastwissenschaftler/innen ein und entwickelt mit Studierenden interdisziplinäre Projekte. Ed Folsom, der herausragende Whitman-Spezialist, der seine Leistungen nie vor sich herträgt, unglaublich großzügig mit seinen Ideen ist, und so elegant schreibt – große, fundierte Argumente ohne Jargon. Margaret Cotroneo, Professorin für psychiatrische Krankenpflege und Fulbright-Gastprofessorin in Dortmund – ich erinnere mich an ihren kritischen Blick auf bestimmte akademische Strukturen und ihre menschliche Wärme. Alle drei haben mich auch in ihrer Lehre und in Vorträgen begeistert. Auch Menschen, die ich nie persönlich kennen gelernt habe, waren Vorbilder, z.B. Laura Dassow Walls, der ich immer schreiben wollte, wie sehr mich ihr klarer wissenschaftlicher Stil beeindruckt.

Könnten Sie bitte kurz Ihren Forschungsschwerpunkt vorstellen?

Insgesamt beschäftigt sich meine Forschung immer wieder mit der kulturellen Arbeit, die literarische und andere Texte in kritischen Momenten der amerikanischen Kulturgeschichte leisten. Dabei steht für mich nach wie vor die Frage im Zentrum, welche Rolle das ökologisch informierte Schreiben über das Verhältnis zwischen Mensch und Natur in der amerikanischen Literatur spielt. Nachdem ich mich in der Habilitation auf das für die amerikanische Kultur so zentrale 19. Jahrhundert konzentriert habe, geht eines meiner neuen Forschungsprojekte der Frage nach, wie sich das Nachdenken über die Natur mit Migrationsthemen überschneidet, vor allem in der Gegenwartsliteratur. Gleichzeitig faszinieren mich die Umweltdiskurse in der afro-amerikanischen Literatur und ich untersuche, wie hier ökologische Fragestellungen immer auch als ökonomische Themen verhandelt werden, etwa in den großartigen Romanen von Toni Morrison.

Was finden Sie reizvoll an Ihrem Beruf und an Ihrem Fach?

Ich empfinde es auch in Hochdruckphasen als ungeheures Privileg, mich mit Texten, die mich thematisch und sprachlich begeistern, so intensiv beschäftigen zu können. Dieser Eindruck war während meiner Habilitation zur Lyrik von Walt Whitman und Emily Dickinson besonders stark, aber es geht mir bei jedem neuen Forschungsprojekt und auch bei der Seminarplanung für ein neues Semester immer wieder so. Die Amerikanistik als Literatur- und Kulturwissenschaft hat ja eine sehr kritische, linke Tradition, und ich bin mir der Freiheit sehr bewusst, mich auf Themen konzentrieren zu können, die mich auch politisch bewegen (wie etwa die Umweltdiskurse im 19. Jahrhundert und heute oder die Rolle, die Literatur für die Gleichberechtigung der Afro-Amerikaner/innen gespielt hat). Und ich finde es sehr anregend, mit Kolleg/innen zusammen zu arbeiten, die ebenfalls an Themen arbeiten, für die sie sich begeistern, und Studierende zu fordern und zu fördern, die intellektuell aufgeweckt und kritisch sind. Wenn der Funke überspringt und ich das Gefühl habe, die Studierenden werden jetzt losgehen und diesen Roman lesen, ist das beglückend.

Ließ sich Ihr Beruf mit familiären Plänen in Einklang bringen?

Für mich hat bisher alles sehr gut zusammengepasst. Ich habe keine Kinder, aber große Hochachtung vor Frauen, die eine Familie haben und sich gleichzeitig den Anforderungen einer akademischen Karriere stellen. Ein Professorinnenalltag ist sicher flexibler als der in vielen anderen Bereichen, aber der Leistungsdruck ist auch enorm. Dass es so viele Frauen im Wissenschaftsbetrieb gibt, die ohne Kinder leben zeigt eben auch, dass es nicht einfach ist, beides zu verbinden.

Hatten Sie bzw. haben Sie das Gefühl, dass Sie im Gegensatz zu Ihren männlichen Kollegen mehr leisten mussten bzw. müssen, um die gleiche Anerkennung zu bekommen?

Wenn man es mal geschafft hat, eine Stelle an der Universität zu haben, sind die Unterschiede meiner Erfahrung nach subtiler und auch widersprüchlich. Manche stellen z.B. primär weibliche Mitarbeiterinnen ein, weil sie ihrer Ansicht nach besser und härter arbeiten. Andererseits kenne ich wenige Männer, die auf einer halben Stelle promovieren oder habilitieren (dafür aber solche, die schon als junge Promovenden nie selbst Bücher aus der Bibliothek holen würden); das liegt natürlich auch an der geringen Ausstattung in den Geisteswissenschaften, in denen sich nach wie vor die meisten Frauen qualifizieren.

Sehen Sie Probleme darin, dass der Anteil der Professorinnen an Universitäten so gering ist?

Ja natürlich, vor allem wegen der geringen Vorbildwirkung für Nachwuchswissenschaftlerinnen. Und gesamtgesellschaftlich ist es eine ungeheure Verschwendung, wenn immer noch so wenige Frauen die Chance nutzen können, Professorin zu werden. Die verhältnismäßig guten Zahlen hier an der geisteswissenschaftlich ausgerichteten Universität Bamberg zeigen, was möglich ist und senden hoffentlich die richtigen Signale. Aber 25 % sind eben nicht 50%.

Würden Sie mit dem Wissen, das Sie heute haben, etwas an Ihrem beruflichen Werdegang ändern?

Hier fällt mir mein Lise-Meitner-Stipendium ein. Ich habe mich in dieser Zeit vor allem auf das Schreiben konzentriert, habe nebenbei an der Dortmunder Amerikanistik weiter unterrichtet und auch Austauschprogramme mit den USA weiter mitbetreut, und bin für drei Monate an die University of Iowa zu Ed Folsom gegangen, der Whitman-Forscher schlechthin und einer der wunderbarsten Menschen, die ich kenne. Die vielen Gespräche mit ihm haben mir nicht nur geholfen, zentrale Fragen meiner Arbeit zu klären, sie waren auch ein intellektueller Luxus, deren spirit mich bis heute beflügelt. Wenn ich noch einmal für 18 Monate eine so großzügige Unterstützung bekommen würde, würde ich damit auf eine größere Reise gehen - an mehrere spannende amerikanische Universitäten, zu Spitzenforscher/innen aus verschiedenen Bereichen und an Orte, auf die ich schon immer neugierig war. Aber Iowa wäre unbedingt wieder dabei.

Was würden Sie Studentinnen raten, die sich für eine wissenschaftliche Tätigkeit interessieren?

Ich bin immer wieder davon beeindruckt, wie früh sich manche Studentinnen für wissenschaftliche Arbeit interessieren und es macht Spaß, sie zu beraten. Manche muss man darin bestärken, es sich zuzutrauen, anderen kann man schon raten, zu Studierendenkonferenzen zu fahren, sich zu vernetzen, und sich ein Thema zu überlegen, für das sie “brennen“, das relevant und aktuell ist. Insgesamt versuche ich, Studentinnen eine realistische Vorstellung davon zu vermitteln, dass eine wissenschaftliche Karriere viele Freiheiten und Privilegien mit sich bringt, spannend und ungeheuer beglückend sein kann, aber oft auch einem Langstreckenlauf gleicht, mit Durststrecken, Unsicherheiten und Rückschlägen. Sie brauchen einen langen Atem, guten Mut und Unterstützung, aber es lohnt sich unbedingt!


Akademischer Werdegang

  • seit 10/2010: Professorin für Amerikanistik an der Universität Bamberg

  • 10/08–09/2010: Direktorin des Deutsch-Amerikanischen Instituts /Carl-Schurz-Haus in Freiburg
  • 
04–09/2008: Vertretung der Professur für Nordamerikanische Literatur- / Kulturwissenschaft an der Universität Freiburg
  • 
2008: Habilitation, Fakultät Kulturwissenschaften der Technischen Universität Dortmund, Habilitationsschrift: “A Place for Humility: Whitman, Dickinson, and the Natural World,” Lehrbefugnis: “Amerikanistik”
  • 
2000: Promotion „summa cum laude“ an der Universität Dortmund, Dissertation: „Rituale des Scheiterns: Die Reconstruction-Periode im US-amerikanischen Roman“

  • 1998: M.A. English Language and Literature, Ohio University, USA

  • 1994–2008: Wissenschaftliche Angestellte am Institut für Anglistik und Amerikanistik der Universität Dortmund

  • 1993–1994: Wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Anglistik und Amerikanistik, Technische Universität Dresden

  • 1988–1993: Studium der Germanistik, Anglistik, und Amerikanistik, Humboldt-Universität zu Berlin