Porträtfoto der Professorin Wagner-Braun

▼ Professorin Dr. Anna Susanne Steinweg und Professorin Dr. Margarete Wagner-Braun [2006]

ehemalige Frauenbeauftragte der Otto-Friedrich-Universität Bamberg

\\ PROFESSORINNEN AN DER UNIVERSITÄT BAMBERG

\\ INTERVIEW VON 2003

 

"Celebrate the differences."


Wie hat es Sie nach Bamberg verschlagen?

Prof. Steinweg: Ich bin zufällig nach Bamberg gekommen: Ich hatte mich bundesweit beworben. Meine Entscheidung ist letztlich für Bamberg gefallen, obwohl ich auch noch woanders hätte hingehen können.

Wo kommen Sie her? Und wie ist Ihre wissenschaftliche Karriere bislang verlaufen?

Prof. Steinweg: Meine Kindheit habe ich in Niedersachsen verbracht, Abitur habe ich in Nordrheinwestfalen gemacht und bin da auch zur Uni gegangen. Wissenschaftlich bin ich daher stark mit der Universität Dortmund verbunden. Dann war ich am Niederrhein an der Schule und im vergangenen Jahr war ich als Vertretungsprofessorin in Heidelberg. Jetzt bin ich in Bamberg gelandet. Ich habe mich also langsam nach Süden vorgearbeitet.

Und Sie, Frau Wagner-Braun, sind Sie auch zufällig an die Bamberger Universität gekommen?

Prof. Wagner-Braun: Ich bin auch auf Grund einer Stellenausschreibung nach Bamberg gekommen. Ich war vorher Privatdozentin an der Universität in Regensburg. Ich bin eingefleischte Regensburgerin: Ich bin dort zur Schule gegangen, habe dort studiert und meine Assistentinnen- und Oberassistentinnenzeit in der Oberpfalz verbracht. In meinem Fach wird zunehmend gestrichen, das heißt die Möglichkeiten, sich zu bewerben, nehmen ab. Deshalb habe ich mich sehr gefreut, dass in Bamberg eine Stelle für Wirtschaftsgeschichte ausgeschrieben war.

Und wie kamen Sie darauf, eine akademische Laufbahn einzuschlagen?

Prof. Wagner-Braun: Da hat der Zufall schwer mitgeholfen. Ich habe mich immer mit Dingen befasst, die mich interessieren. Vor meinem Studium habe ich eine Banklehre gemacht und einige Zeit als Bankkauffrau gearbeitet. Mein Studium habe ich auch auf bankspezifische Dinge ausgerichtet. Eigentlich wollte ich zurück in die Bank, hatte aber einen sehr wohlwollenden Lehrer, der mir eine Promotionsmöglichkeit angeboten hat. So bin ich in den wissenschaftlichen Bereich hineingewachsen. Für meine Promotion hatte ich ein Stipendium, bis mir am Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte in Regensburg eine Assistentinnenstelle angeboten wurde. Dann kam eine akademische Prüfung nach der anderen und irgendwann war ich das, was ich bin.

Sie wollten also nicht von Anfang an Professorin werden?

Prof. Wagner-Braun: Nein, ich habe nicht von Anfang an gesagt, ich möchte Hochschullehrerin werden – so verstiegen wäre ich nie gewesen. Aber die Angebote waren so, dass ich doch geblieben bin. Und dann war ich auf einmal habilitiert und habe mich beworben.

Frau Steinweg: Die Karriere in Richtung Professur ausgerichtet oder eher hineingeschlittert?

Prof. Steinweg: Wenn man wie ich Grundschullehramt studiert, hat man eigentlich nicht vor, einmal Professorin zu werden. Dennoch hatte ich großes Glück, bei Erich Wittmann in Dortmund zu studieren. Er hat mich von Anfang an stark beeinflusst und fasziniert. Ich habe früh als wissenschaftliche Hilfskraft für ihn gearbeitet und ihn bei Forschungsprojekten unterstützt. Durch Referendariat und Schule war ich dann aus dem Forschungsbetrieb raus, wurde aber nach meinem Referendariat Assistentin bei Wittmann. An der Hochschule wurde ich sehr gefördert und ganz zu Anfang sogar etwas „geschubst“, mich öffentlich zu präsentieren. Ich ging auf jede Tagung und war ein Semester lang Gastdoktorandin in England bei einem im mathematikdidaktischen Bereich sehr renommierten Professor.

Hatten Sie weibliche Vorbilder?

Prof. Steinweg: In England habe ich eine Professorin kennen gelernt, die mich fasziniert hat: Leonie Burton, eine Feministin der ersten Stunde, zierlich und resolut. Aus ihrer Biographie ist verständlich, dass sie sich als Frau durchsetzen musste. So resolut musste und wollte ich nie sein, dennoch bewundere ich Frauen, die sich in frauen-untypischen Bereichen durchgesetzt haben. Meine Studierenden sind ja größtenteils Frauen, die Lehrenden meistens Männer. Meinem Doktorvater muss ich zu Gute halten, dass seine letzten Assistentinnen alle weiblich waren. Er hat versucht, die Frauen zu fördern, und einige davon wurden Professorinnen. Ich wusste also, dass es auch Frauen schaffen können. Sie waren keine unrealistischen Vorbilder, sondern greifbare Menschen.

Hatten Sie, auch wenn Sie immer ein wenig „geschubst“ worden sind, das Gefühl, mehr leisten zu müssen als Ihre männlichen Kollegen?

Prof. Steinweg: Es gibt definitiv Unterschiede und ich habe meine Einstellung im Laufe der Zeit auch geändert. Ich habe jahrelang nur mit Männern zusammen gearbeitet, war immer die einzige Frau und habe verschiedene Taktiken getestet. Wir können Männer kopieren und versuchen, so zu agieren wie sie. Wir können genau das Gegenteil tun und versuchen, ganz anders zu sein. Im Endeffekt ist es aber das Wichtigste, man bzw. frau selbst zu sein. In der keltischen Mythologie gibt es da einen wunderschönen Satz: „Celebrate the differences“. Das finde ich vernünftig und richtig: Wenn Männer auf mich anders reagieren, nur weil ich eine Frau bin, dann ist das nicht mein Problem, sondern deren Problem. In meiner aktuellen Position habe ich bisher keinerlei negative Erfahrungen machen müssen.

Frau Wagner-Braun, wie war das bei Ihnen? Mussten und müssen Sie mehr leisten als Ihre männlichen Kollegen?

Prof. Wagner-Braun: Mein Fach ist sehr männerdominiert. Ich hatte deswegen aber nie Nachteile. Männer ordnen sich als Privatdozent gern einer Schule zu, die sich um einen oder wenige Professoren gruppiert. Daraus entstehen Seilschaften, aus denen ich mich aber herausgehalten habe. Bis zu meiner Habilitation bin ich gefördert worden, danach war ich auf mich gestellt. Dabei habe ich mein eigenes Profil entwickelt. Das war wichtig. Sie haben gerade von Inhalten Ihres Faches gesprochen.

Haben Sie selbst denn einen geschlechterspezifischen Schwerpunkt?

Prof. Wagner-Braun: Nein, einen Genderschwerpunkt hatte ich nur, als ich stellvertretende Hochschulfrauenbeauftragte an der Universität in Regensburg war.

Gibt es bei Ihnen in der Mathematikdidaktik gender- oder frauenspezifische Themen, Frau Steinweg?

Prof. Steinweg: Als Forschungsschwerpunkt habe ich es nicht, habe die Thematik aber immer mit Interesse verfolgt. Die erste Studie, die mir bekannt wurde, ist eine Untersuchung zu Mädchen und Jungen im Mathematikunterricht in Finnland. Hier wurde untersucht, wer öfter aufgerufen wurde und welche Antworten eher als richtig bezeichnet wurden. Mädchen mussten häufiger ihre Ergebnisse erklären, bei Jungen wurden auch Halbantworten akzeptiert. Diese Ergebnisse finde ich sehr interessant. Lehrerinnen und Lehrer sollten schon in der Ausbildung auf geschlechterspezifische Differenzierungen hingewiesen werden. Ich habe meine Daten aber nie hinsichtlich des Geschlechts ausgewertet. Ich finde es schwierig, mit harten Zahlen zu argumentieren, da ich lediglich bestimmte Gruppen untersuche. Außerdem sind diese Daten nicht aussagekräftig für meine Forschungsschwerpunkte.

Lassen Sie uns zu einem ganz anderen Thema kommen, dem von Familie, Kindern und Karriere. Haben Sie Kinder, Frau Wagner-Braun?

Prof. Wagner-Braun: Ja, ich habe eine Tochter, ich war auch verheiratet. Die Familie hatte für mich immer einen hohen Stellenwert. Es ist natürlich ein Spagat zwischen Ausbildung und Familie, wobei das Handicap dabei nicht der Partner sein darf. Wenn er es ist, dann muss das geändert werden. Was eine Frau bremsen kann, ist ein Kind, weil Kinder Vorrechte und Bedürfnisse haben. Diesen wollte ich gerecht werden.

Wie haben Sie Kind und Karriere unter einen Hut bekommen?

Prof. Wagner-Braun: Als meine Tochter klein war, hat mir meine Mutter viel abgenommen. Dann habe ich mit anderen Frauen einen Zirkel berufstätiger Frauen mit kleinen Kindern gebildet. Jede Mutter hat einen Tag in der Woche alle Kinder betreut, die anderen Frauen konnten arbeiten gehen. Jetzt ist meine Tochter dreizehn Jahre alt und sehr selbstständig. Familie und Karriere: Das ist eine Frage der Organisation. Mit mehreren Kindern könnte ich mir vorstellen, dass es schwer wird, wenn der Mann nicht Hausmann ist. Die Universität bietet aber Freiheiten, die ich in der freien Wirtschaft nicht gehabt hätte: Ich habe vormittags Lehrveranstaltungen gehalten und Verwaltungstätigkeiten erledigt, meine Wissenschaftlichen Arbeiten habe ich nachts geschrieben. Nachmittags war ich oft zu Hause. Und von Jahr zu Jahr braucht meine Tochter meine Anwesenheit weniger.

Frau Steinweg, haben Sie sich aus ähnlichen Gründen für eine Universitätslaufbahn entschieden?

Prof. Steinweg: Zu diesem Thema kann ich wenig sagen, ich habe selbst noch keine Kinder, habe den Kinderwunsch aber auch noch nicht aufgegeben. Meine Stelle erfordert viel Zeit, das wollte ich einem Kind nicht antun. Denn für ein Kind muss ich präsent sein und dafür müssen sich erst Modelle ergeben, die das möglich machen. Ich möchte deshalb nicht beschwören, dass ich einmal Kinder bekomme.

Was raten Sie Frauen, die eine wissenschaftliche Karriere anstreben?

Prof. Steinweg: Wichtig ist, sich zu trauen, aufzufallen. Zuerst war mir das auf Tagungen fast unangenehm, dass ich als Frau auffiel. Ich wollte, dass ich aufgrund meines Könnens wahrgenommen werde. Beispielsweise durch das Bewerbungsseminar vom Frauenbüro können wir Bewerberinnen ermutigen, selbstbewusst aufzutreten. In Selbstberichten von Studierenden fällt mir auf: Männer kommen bei sich selbst immer recht gut weg. Frauen bewerten sich schlechter. Frauen trauen sich weniger, ihre guten Seiten zu präsentieren. Das müssen wir aber lernen. Auch wenn wir als Kind Dinge wie „Bescheidenheit ist eine Zier“ gelernt haben. Es heißt, dass Frauen untereinander gut wahrnehmen, was die andere kann, ohne dass geprahlt werden muss. Männern gegenüber funktioniert das subtile Darstellen nicht. Dieses Verhalten kann für Frauen zunächst ungewohnt sein.

Prof. Wagner-Braun: Der Bonus des Auffallens als Frau in einem männerdominierten Kreis ist schnell vorbei. Aussagen müssen Hand und Fuß haben und überzeugen. Bei meinen ersten Vorträgen war das Erstaunen noch groß, dass da eine Frau kommt. Ganz am Anfang wurde ich auf Tagungen, auf denen ich nicht referierte, nicht als Wissenschaftlerin eingestuft. Viele hielten mich für die Frau oder Sekretärin eines Referenten. Das änderte sich, als ich mich profiliert hatte.

Vor dem Hintergrund dessen, was Sie berichtet haben und dem laufenden Audit-Verfahren, an dem Sie über das Frauenbüro beteiligt sind: Was sind Ihre Ziele als Frauenbeauftragte?

Prof. Wagner-Braun: Mein Ziel ist es, den Frauenanteil an der Hochschule auf zeitlich unbefristeten Stellen zu erhöhen. Der Frauenanteil hat sich zwar schon verbessert, diese Zahlen sind aber noch nicht zufrieden stellend, gerade in einigen Fachbereichen sieht es katastrophal aus. Deshalb haben wir auch unterschiedliche Initiativen. Mit dem Girls‘-Day können wir in den Schulen frühzeitig das Interesse von Mädchen für den technischen Bereich wecken. Dieses Interesse muss während des Studiums durch Beratung gefördert werden, später dann finanziell mit Promotions- und Habilitationsstipendien. Überzeugung schaffen ist wichtig. Ich bin der Meinung, dass nicht die Strukturen schuld sind, sondern dass die Frauen, die eine Hochschulkarriere einschlagen könnten, dies aus persönlichen Gründen nicht tun. Aufgaben im Netzwerk Familie spielen für viele Frauen eine allzu große Rolle. Sie sind bereit, berufliche Ziele hinter der Familie anzustellen, da können wir Fördergelder anbieten soviel wir wollen. Viele stehen sich selbst im Weg. Trotzdem müssen wir die Rahmenbedingungen für Frauen, die eine Hochschulkarriere anstreben, verbessern.

Prof. Steinweg: Nicht nur die Unterstützung für den Girls‘-Day, auch für das MUT Projekt, an dem sich die Fakultät WIAI beteiligt, sehe ich als wichtige Aufgabe im Bereich der Technik, der so genannten frauenfremden Fächer. Dabei spielt das biologische Geschlecht keine Rolle: Das kristallisiert sich im Lauf der Zeit aufgrund anderer Faktoren heraus. Erst bei Schulkindern entwickeln sich – gerade auch in den Peer-Groups – Vorstellungen, was Mann so tut und was Frau so tut. Ich bin nicht sehr optimistisch, dass so kleine Initiativen diese grundsätzliche Tendenz verändern. Jede und jeder versucht halt, ihr oder sein Leben unter den gegebenen Bedingungen zu meistern – wir können ja nicht die ganze Welt auf den Kopf stellen. Deswegen sollten immer wieder Menschen vorgestellt werden, die andere Wege gegangen sind. So wird das als eine Möglichkeit wahrgenommen. Denn die Kompetenzen sind auf allen Gebieten geschlechtsneutral verteilt.

Wie wollen Sie Geschlechterstereotypen aufbrechen?

Prof. Steinweg: Im Zuge der Genderbewegung sollen Mädchen und Jungen gefördert und sensibilisiert werden, so dass sie sich für andere Gebiete öffnen. So haben die wenigen Männer, die Grundschullehramt studieren, teilweise mit Vorurteilen zu kämpfen: In der Gesellschaft ist der Beruf des Grundschullehrers in etwa dem des Erziehers gleichgesetzt, was natürlich nicht der Fall ist: Die LehrerInnenausbildung ist eine wissenschaftliche Ausbildung. Gegen derartige berufsbezogene Vorurteile arbeite ich nicht primär als Frauenbeauftragte, sondern vor allem in meiner Lehre und im Umgang mit meinen Studierenden. Einerseits will ich die Fächer Mathematik und Informatik öffnen, andererseits will ich wechselseitige Vorurteile aufbrechen.

Sie sind beide neu in Bamberg, haben einen neuen Job als Professorin und jetzt sind Sie auch noch Frauenbeauftragte. Wieso haben Sie sich dafür entschieden?

Prof. Steinweg: Herausforderungen reizen mich. Neue Herausforderungen anzunehmen und Dinge ernst zu nehmen gehört zum Professorinnen-Beruf. Ämter sind ein Teil davon, und das Amt der Frauenbeauftragten wollte ich gern wahrnehmen: Da kann ich dahinter stehen. Das wirft mich natürlich in verschiedene Gremien hinein, die mir an dieser Uni noch nicht so bekannt sind. Aber das muss nicht zum Nachteil für mich oder die anderen sein. Ich gehe jedenfalls mit Mut an die Sache ran und will frischen Wind mitbringen.

Prof. Wagner-Braun: Dem kann ich mich nur anschließen: Auch ich sehe das Amt als Herausforderung. Wir haben so die Möglichkeit, unsere Erfahrungen einzubringen, können aber auch viel lernen. Unbelastet an das Amt heran zu gehen ist das Beste, so sind wir offen. Wir werden sehen, was wir tatsächlich bewegen können, aber für mich gibt es keinen Grund, zu zögern oder zu zaudern. Ich freue mich jedenfalls schon auf meine Amtszeit als Frauenbeauftragte.

 

Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg in Ihrer Amtszeit! Das Interview führten Johanna Bamberg und Katrin Sell