Porträt von Yoko Tawada mit der Aufschrift Jenseits von Geschlecht

Poetikprofessur 2022: Yoko Tawada – „Jenseits von Geschlecht“

Das Frauenbüro stattete der Poetikdozentur von Yoko Tawada einen Besuch ab. Die Autorin referierte über Pronomen, die vermeintliche Binarität der Geschlechter und vieles mehr.


Die Poetikprofessur der Autorin Yoko Tawada neigt sich dem Ende zu. Wortgewandt und gewohnt poetisch verhandelt die gebürtige Japanerin Themen wie den menschlichen Körper, Metamorphosen, Klischees und ganz zentral: Gender.

Im Japanischen gibt es zahlreiche Varianten des Personalpronomens „Ich“, sie variieren je nach Beruf, gesellschaftlicher Stellung oder eben Geschlecht. Tawada selbst erzählt, dass sie sich noch nie im binären Geschlechtersystem zurechtgefunden hat und weitet dieses Gefühl zu einer globalen Erfahrung aus: Noch nie habe sich jemensch in einem zugeschriebenen Geschlecht wohlgefühlt. Die Zuschreibung zu einer der beiden vermeintlich konträren Seiten sei eine Fehlannahme an sich, denn Geschlecht ist kein fester Zustand, sondern ein fließendes Spektrum. Keine:r ist nur weiblich oder nur männlich.

Im Deutschen wird jedoch auch den Gegenständen willkürlich Männlichkeit („der Tisch“) oder Weiblichkeit („die Tür“) zugeschrieben. Genauso willkürlich könnten unsere Zuschreibungen von „Sie“ und „Er“ vielleicht einmal sein. Tawada beobachtet mit Spannung die neuen geschlechtsneutralen Pronomen (wie z.B. xier im Deutschen), die entstehen und in abgeschlossenen Communities gut funktionieren, ihrer Meinung nach aber zu statisch sind. Denn wenn eine Sprache das Ziel verfolge perfekt zu sein, so verliere sie ihre Dynamik. Wir müssen, so Tawada, mit unserer „heruntergekommenen Sprache“ arbeiten und leben. Ihr Ansatz ist der, sich komplett von geschlechtlichen Zuschreibungen freizumachen – sodass wir die Komponente „Gender“ irgendwann komplett aus „Sie“ und „Er“ streichen können. Noch sei die Erinnerung an die Emotionen, die mit diesen kleinen Wörtern mitschwingen, allerdings zu präsent.

Die Autorin referiert auch über die Sprechpause, die beim Gendern von Personen gemacht und durch Stern, Unterstrich oder auch Doppelpunkt markiert wird (z.B. bei Professor:innen). Sie kann den Aufruhr um diese Pause nicht ganz verstehen, arbeitet die deutsche Sprache doch schon immer mit solchen Zwischenräumen. Mensch stelle sich vor, wir würden diese gesprochene Pause vor der letzten Silbe vom „Spiegelei“ vergessen oder etwa bei einer „Prügelei“ an selber Stelle auf einmal einfügen.

 

Solche und viele weitere Wortspiele, Geschichten, Überlegungen und Denkanstöße erwarten eine:n bei einem Vortrag von Yoko Tawada. Am 14.7.2022 findet ihre letzte Vorlesung im Rahmen der Poetikprofessur statt. Außerdem diskutiert vom 15. bis zum 16.7. 2022 ein international besetztes Kolloquium das Werk Yoko Tawadas in der Villa Concordia. Nähere Informationen zur Veranstaltungsreihe gibt es auf https://www.uni-bamberg.de/germ-lit1/poetikprofessur/2022-yoko-tawada/.