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Geschlechterpolitik von rechtsaußen

Nachdem rechte Kräfte in der politischen Landschaft lange eine Außenseiterrolle eingenommen haben, ist in den letzten Jahren eine deutliche Trendwende zu erkennen.


In Europa, aber auch darüber hinaus, verzeichnen rechte Akteure einen starken Bedeutungszuwachs und nehmen in zunehmendem Maße politischen Einfluss. Neben einem starken Fokus auf Einwanderungspolitik zeigen sie neuerlich auch ein besonderes Interesse an geschlechterbezogenen Themen. So stellen sie sich beispielsweise vehement gegen „Gender“ als Begriff, der ein soziales Geschlecht von einem biologischen differenziert, kritisieren gleichstellungspolitische Maßnahmen wie das Gender Mainstreaming und lehnen pluralisierte sexuelle Lebens- und Familienformen ab.

 

Strategie der rechtsextremen Gender Kritik

Forscher*innen sehen in dieser nach rechts ausgerichteten Geschlechterpolitik, die zu großen Teilen offensichtliche Falschbehauptungen, veraltete Gesellschaftsansichten und Verschwörungstheorien nutzt, eine Strategie, mit der rechtsextremistische und rechtspopulistische Akteure zwei Ziele verfolgen: Zum einen wollen sie eine naturalisierte Geschlechterordnung innerhalb ihrer Milieus verteidigen, um eine selbstgerechte Ordnung zu wahren und um das Bild einer natürlichen Ungleichheit der Menschen aufrecht zu erhalten. Zum anderen erhalten sie durch das Aufgreifen geschlechter- und familienpolitischer Themen Zugang zu einer gesamtgesellschaftliche Debatte.

 

a) Geschlecht als „sozialer Platzanweiser“

In rechten Milieus dient Geschlecht als „sozialer Platzanweiser“, durch den die komplementär entworfenen Bilder von Weiblichkeit und Männlichkeit, die aus naturalistischer Sicht „funktional für den inneren Zusammenhalt der Gemeinschaft“ sind, zusammengebracht werden (Lang 2015. S. 167). Unter der Annahme einer natürlichen Zweigeschlechtlichkeit wird das Geschlecht zu einer zentralen, identitätsstiftenden Kategorie, anhand der Frauen und Männern charakterliche, gesellschaftliche und soziale „Wesensarten“ sowie Aufgaben zugeschrieben werden (Bitzan 2016, S. 341; Lang 2015, S. 169). Mit der Annahme eines sozial definierten Geschlechts (Gender) und Forderung nach Gleichstellung geraten die Rollenaufteilungen, das Bestehen der Gemeinschaft und die damit einhergehende Ordnung maßgeblich in Gefahr. Deshalb werden jegliche Flexibilisierungsversuche patriarchaler Geschlechterverhältnisse abgelehnt und mit kämpferischen Kampagnen gegen Argumente des Gender Mainstreaming vorgegangen. Interessanterweise funktioniert Gender Mainstreaming dabei eher weniger als Begriff für politische Gleichstellungsstrategien, sondern fungiert „als diskursive Klammer für alles Bedrohliche und zu Bekämpfende“ (Laumann 2014, S. 27). Gender Mainstreaming wird als Umerziehungsprogramm bezeichnet und die Gender Studies gelten als Instrument einer ‚feindlichen‘ Ideologie die entgegen der eigenen totalitären Geschlechterordnung Gender neu in die Gesellschaft implementiert (Bitzan 2016, S. 175). In einer populistischen Argumentation wird das Hochschulfach als „Teil der Staatsräson“ betitelt und in übertriebenem Anti-Elitismus und Anti-Intellektualismus die Professor*innen als schmarotzerische „Lehrstuhlbesetzer*innen“ und „Maden im Speck“, die vom ‚sauber‘ verdienten Geld des ‚kleinen Mannes‘ profitieren, diffamiert (Hark und Villa 2015, S. 24).

 

b) Anknüpfung der Rechten an das konservative Lager

Diese Argumentation ist auch die Basis für die Realisierung des zweiten und vielleicht wesentlich bedeutsameren Ziels: Mit dem Aufgreifen geschlechter- und familienpolitischer Themen eröffnet sich für die extreme Rechte und die neuen rechten Bewegungen die Möglichkeit, Einfluss auf eine gesamtgesellschaftliche Debatte zu nehmen, zu der ihr der Zutritt bis dahin weitestgehend verwehrt war (Lange 2015, S. 167). Denn die Ergebnisse der Gender Studies werden nicht gesamtgesellschaftlich getragen und auch außerhalb des rechtsextremen Lagers werden zahlreiche Entwicklungen rund um Gender kritisch betrachtet. So lässt sich durch die Diskussion sowohl eine neue Wählerschaft erschließen als „auch neuartige (diskursive) Koalitionen mit dem rechts-konservativen oder katholischen Milieu“ rücken in den Bereich des Möglichen (Sauer 2017, S. 12).

 

Überhöhtes Mutterbild als rechte Strategie

Insbesondere junge, weiße Frauen sind zum strategischen Hotspot für diesen politischen Diskurs geworden. Oft wird argumentiert, dass eine politische und gesellschaftliche Elite Bürgerinnen ihr Verhalten diktieren würde, indem das „bloße Mutter-sein“ zusehends abgewertet und die jungen Frauen stattdessen zur Erwerbsarbeit gezwungen werden würden. Mit der Fokussierung auf die heterosexuelle Kleinfamilie und einer geschlechterspezifischen Arbeitsteilung mit dem Mann als Familienernährer und der Frau als Mutter, versprechen rechte Akteure Stressreduktion und Befreiung von modernen, gesellschaftlichen Zwängen (Sauer 2017, S. 10). Sie gehen sogar so weit, dass sie in der Inszenierung einer „neuen Mutterschaft“ die Präsenz und Teilnahme von Frauen in der Politik akzeptieren und befürworten, weil ihre mütterlichen Eigenschaften sie dazu befähigen (Dietze 2020, S. 158). Es wird eine neue „(Retro-)Modernität“ geschaffen, in der starke Weiblichkeit durch Fürsorge propagiert und öffentlich inszeniert wird (ebd.). Damit überblenden oder verteidigen sie auch das Paradox ihrer eigenen Politik, wenn Frauen in rechtsextremen und rechtspopulistischen Parteien allen ideologischen Vorstellungen zum Trotz hohe Führungspositionen bekleiden. Sie geben ihrer politischen Agenda damit einen „modernen Anstrich“, relativieren den Anschein es würde sich um reine ‚Männerparteien‘ handeln und es stellt ihnen „ein Argument für die Delegitimierung jeglicher Gleichstellungspolitik zur Verfügung“ (Sauer 2017, S.11).

 

Migrantinnen als Vektor der Integration

Ein besonderes Paradox ergibt sich beim Blick auf die Argumente rechter Akteure, wenn es um Einwanderungspolitik geht: Trotz eigener traditioneller Familien- und Geschlechtervorstellungen sowie regelmäßiger, starker Kritik an Gleichstellungspolitik bringen sie „eine vermeintlich in europäischen Gesellschaften bereits erreichte Geschlechtergleichheit gegen Migrant*innen in Stellung“ (Sauer 2017, S. 11). Vor allem muslimischen Gemeinschaften werden eine besondere Rückständigkeit, übertrieben patriarchalische Strukturen sowie Frauenfeindlichkeit und Gewalttätigkeit attestiert, wodurch sie sich erneut offensichtlich in ein Spannungsfeld aus Widersprüchen mit der eigenen Gesinnung begeben. Dieser Strategie liegen gleich zwei Phänomene zugrunde: Gabriele Dietze (2019) führt im Zusammenhang mit rechtspopulistischen und -extremen Akteuren das Überlegenheitsnarrativ „Sexueller Exzeptionalismus“ an und meint damit die Ansicht, „dass es eine der hervorragendsten Qualitäten ›angestammter‹ Bevölkerungsteile des globalen Nordens sei, über die am meisten ›fortgeschrittene‹, ›privilegierte‹ und ›beste‹ aller denkbaren Sexualordnungen zu verfügen“ (Dietze 2019, S. 27). Es werden Unterschiede und hierarchische Strukturen geschaffen und man versichert sich selbst seiner „privilegierten Besonderheit“, indem das Gegenüber als zurückgeblieben und unaufgeklärt dargestellt wird, weshalb von ihm eine Bedrohung für die „freie“ Sexualordnung und die Sicherheit der eigenen Frauen ausgeht (ebd.).

Das zweite Phänomen ist der sogenannte „femonationalism“, der von Sara Farris (2012) entwickelt wurde. Farris bezeichnet damit die Mobilisierung feministischer Ideen durch nationalistische Parteien und neo-liberale Regierungen, um einen „Krieg“ gegen das vermeintliche Patriarchat des Islams und Migrant*innen aus dem globalen Süden allgemein zu führen (Farris 2012, S. 184 f.). In besonderer Weise werden dabei aber junge Migrantinnen adressiert, indem auch sie als Opfer der unterdrückenden Strukturen ihrer Kultur dargestellt werden. Sie sollten sich emanzipieren und dem Lebensstil westlicher Frauen anpassen, um ihre eigene Integration und die Integration ihrer Gemeinschaft zu erleichtern (ebd., S. 188). Farris bezeichnet sie als „vectors of integration“.

 

Geschlecht als zentrale Erklärungsdimension rechter Politik

Wie sich zeigt ist Geschlecht weit mehr als eine bloße Erhebungsdimension. In der politischen Agenda rechter Akteure offenbart dessen Konstruktion und Auslegung neue Möglichkeiten der Erklärung – auch wegen oder gerade mit Blick auf die Einwanderungspolitik und die dortige Verschränkung von sexistischen und rassistischen Elementen. Des Weiteren wird durch Kampfbegriffe wie „Genderisierung“ oder „Gender-Terror“ der eigentlich nüchterne Begriff „Gender“ zum „Kernelement einer Ideologie erklärt“ und versucht, ihn „seines ursprünglichen Inhalts zu entleeren und zu einer Bedrohung für das friedliche Zusammenleben und die gesamte Gesellschaft umzudeuten“ (Lang 2017a). Es geht dabei darum die Deutungshoheit über den Begriff zu erlangen. Mit angeblich sachlichen und wissenschaftlich belegten Forderungen, wie der Abschaffung des Gender Mainstreamings oder der Gender Studies, wird versucht, die Bedrohung im öffentlichen Diskurs zu verankern und zudem Nähe zu ähnlich gesinnten Akteuren gesucht. Anti-Feministische Gesinnungen und Anti-Gender Haltungen sind keinesfalls auf Akteure am rechten Rand beschränkt, sondern reichen bis in den bürgerlichen Mainstream sowie in rechtskonservative und kirchliche Milieus. Dabei zeigt sich, wie geschlechterrelevante Themen und Kategorien je nach Bedarf und an manchen Stellen völlig widersprüchlich verwendet werden. Oft fehlt es an konkreter, schlüssiger Argumentation, stattdessen werden die Inhalte situationsbedingt gerade passend ausgelegt. Die Parteien sorgen so dafür, dass sie mit ihren Argumenten in alle politischen Richtungen anschlussfähig bleiben und attraktiv auf unterschiedlichste Gruppen von Wähler*innen wirken.

Es wird sich zeigen, wie erfolgreich Parteien aus diesem politischen Spektrum damit auch in Zukunft fahren. In jedem Fall ist eine starke Geschlechter-, Rassismus und Extremismus-Forschung essentiell, um diesen Entwicklungen auf wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene angemessen zu begegnen.

 

 

Dieser Beitrag wurde verfasst von Melina Honegg.

 

 


Quellen

Bitzan, Renate (2016). „Geschlechterkonstruktionen und Geschlechterverhältnisse in der extremen Rechten“, in: Fabian Virchow, Martin Langebach und Alexander Häusler (Hg.): Handbuch Rechtsextremismus, Wiesbaden: Springer VS.

Dietze, Gabriele (2019). Sexueller Exzeptionalismus: Überlegenheitsnarrative in Migrationsabwehr und Rechtspopulismus. Bielefeld: transcript Verlag.

Dietze, Gabriele (2020). “Why are Women Attracted to Right-Wing Populism? Sexual Exceptionalism, Emancipation Fatigue, and New Maternalism”, in: Gabriele Dietze und Julia Roth (Hg): Right-Wing Populsim and Gender: European Perspectives and Beyond. Bielefeld: transcript Verlag.

Farris, Sara R. (2012). Femonationalism and the “Regular” Army of Labor Called Migrant Women. History of the Present, 2(2), 184-199.

Hark, Sabine und Paula-Irene Villa (2015). Anti-Genderismus: Sexualität und Geschlecht als Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzungen. Bielefeld: transcript Verlag.

Laumann, Vivien (2014). „(R)echte Geschlechter? Die Bedeutung von Geschlecht für rechte Ideologien und Lebenswelten“, in: Katharina Debus und Vivienn Laumann (Hg.): Rechtsextremismus, Prävention und Geschlecht – Vielfalt_Macht_Pädagogik, Düsseldorf: Hans-Böckler-Stiftung.

Lang, Juliane (2015). „Familie und Vaterland in der Krise: Der extrem rechte Diskurs um Gender“, in: Sabine Hark und Paula-Irene Villa (Hg.): Anti-Genderismus: Sexualität und Geschlecht als Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzungen. Bielefeld: transcript Verlag.

Lang, Juliane (2017a). „Gender“ und „Genderwahn“ – neue Feindbilder der extremen Rechten. www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/259953/gender-und-genderwahn (zuletzt abgerufen am 20.04.21).

Sauer, Birgit (2017). Gesellschaftstheoretische Überlegungen zum europäischen Rechtspopulismus: Zum Erklärungspotenzial der Kategorie Geschlecht. PVS Politische Vierteljahresschrift. 58(1), 1-20.