○ Forschende Frauen 2015

Am 9. Juni 2015 fanden sich unsere FORSCHEnden Frauen zusammen.


Das kollektive Gedächtnis prägt ein Kolloquium

Vortragen. Veröffentlichen. Vernetzen. Das sind die drei Schlagworte die sich hinter dem Kolloquium „Forschende Frauen in Bamberg“ verbergen. Auf Einladung der Frauenbeauftragten gaben vergangenen Dienstag vier Nachwuchswissenschaftlerinnen unserer Universität Einblick in ihre Forschungsthemen.

Bereits bei der Begrüßung stellte die Universitätsfrauenbeauftragte Professorin Iris Hermann fest: Die forschenden Frauen des Jahres 2015 stehen nicht nur exemplarisch für die vielen Nachwuchswissenschaftlerinnen an unserer Universität, sondern sie sind besonders gut in dem, was sie tun. Und auch wenn die Themen aus sehr unterschiedlichen Disziplinen kommen, scheint sie etwas zu verbinden.

Wieso gibt es in Chile Apfelstrudel?

Katharina Scheffner entführte ihre Zuhörerinnen und Zuhörer in das Dorf Frutillar. Es liegt in der Seenregion Chiles. Die Bilder, die sie zeigte, hätten auch aus einem Katalog für Modelleisenbahnzubehör stammen können. Merkwürdig romantisch und ein bisschen kitschig muten die Häuser Frutillars an. Die Menschen dort sprechen deutsch, seit Handwerker und Landwirte mit ihren Familien in der Zeit nach 1848 dort siedelten. Die Mehrheit der Siedlerfamilien war protestantisch. Während sich katholische Migrantinnen und Migranten schnell in die ebenfalls katholische Gesellschaft Chiles integrierten und bereits in der zweiten Generation Ehen zwischen beiden Gruppen geschlossen wurden, blieb die Gruppe der Protestanten unter sich. Die Ethnologin Katharina Scheffner interviewte bei Forschungsaufenthalten in Frutillar die Bevölkerung und versuchte, dieses Phänomen zu ergründen. Sie fand heraus, dass die Deutsch-Chilenen besonders die Sprache als Identifikationsmerkmal für ihre Deutschen Wurzeln ansehen. Die Religion spielt weniger eine Rolle. Alle Interviewten wissen zwar auf Anhieb, vor wieviel Generationen ihre Vorfahren nach Chile kamen und erzählen stolz ihre Familiengeschichte, in der immer die Worte Fleiß, harte Arbeit, Ordentlichkeit und Pünktlichkeit vorkommen. Zeitgleich halten sie sich aber für integrierte Chileninnen und Chilenen. Der Chilenische Staat indes vermarktet die Deutsche Region geschickt touristisch und die Deutsch-Chilenen unterstützen dies mit Trachtengruppen, Männerchören und Oktoberfesten. „Deutsch ist ein diffuses Etwas geworden“ resümiert Scheffner.

Welche Botschaften transportieren Filme über die RAF?

So wie die harte Arbeit der ersten deutschen Sieder in Chile sich ins kollektive Gedächtnis der Deutsch-Chilenen eingebrannt hat, so hat wohl die Mehrheit der bundesdeutschen Bevölkerung Erinnerungen an den deutschen Herbst. Wer nicht Zeitzeuge ist, speist diese Bilder aus filmischem Material. Doch welche Informationen transportieren Filme über die RAF? Das untersuchte die Germanistin Corina Erk in ihrer Doktorarbeit. Sie kategorisierte die Filme der letzten 15 Jahre, also der Zeit nach der Auflösung der RAF 1998. Sie unterscheidet nach ausführlichen Recherchen drei Kategorien von Filmen über die Rote Armee Fraktion. In die erste Kategorie „Zeitgeschichte und Biographie“ fallen Filme wie „Der Baader Meinhoff Komplex“. In einer zweiten Gruppe fasst Corina Erk Filme zusammen, die selbstreflexiv sind und die sie der Popkultur zuordnet. Der Film „Baader“ stellt an mehreren Stellen Bezug zur Filmgeschichte her und bedient sich bekannter Motive, etwa aus Westernfilmen. Die dritte Kategorie an RAF Filmen bezeichnet Erk als „Kammerspiele“. Sie haben meist den Generationenkonflikt zwischen den Terroristinnen und Terroristen mit ihren eigenen Kindern zum Inhalt. Die Mitglieder der RAF werden als gebrochene Gestalten dargestellt. Insgesamt gibt es über hundert Filme zur RAF. Trotzdem kommt Corina Erk zu dem Schluss, dass es kein eigenes Filmgenre ist. Denn den Filmen fehlen verbindende Elemente, die sie eindeutig charakterisieren würden. Aber die Filme über die RAF stellen Erinnerung dar, prägen sie und reflektieren sie. Welche dieser Erinnerungen letztlich vom kommunikativen ins kulturelle Gedächtnis übergehen, lässt sich heute noch nicht sagen.

Ob die Renten wohl sicher sind?

Norbert Blüm versprach es und lange Jahre davor zweifelte niemand daran: „Die Renten sind sicher“. Heute wissen wir, dass das gesetzliche Rentensystem viele Menschen in Deutschland nicht in der Weise stützen kann, wie es lange Zeit kommuniziert wurde. Isabelle Thomas untersucht in ihrer Dissertation das Rentensystem und dessen Reformen von 1949 bis 2001. Dabei blickt sie zum einen auf die Pfadabhängigkeit des Systems, der das Rentensystem zweifelsohne unterliegt. Sie untersucht aber auch diskurstheoretisch, warum es zu welchen Änderungen kam. Isabelle Thomas ist sich sicher, dass die kleinen Gesetze das System stärker geprägt haben als die großen Reformen. Diese Gesetzesänderungen wiederum spiegeln die Machtkonstellationen und die wirtschaftlichen Lage der Zeit, in der sie entstanden, gut wieder. So wurde 1969, in einer Zeit, die immer noch getragen war vom wirtschaftlichen Aufschwung nach dem zweiten Weltkrieg, entschieden, dass die Rente nicht mehr nur vor Armut schützen, sondern den Lebensstandard erhalten soll. Davon hat sich das Rentensystem längst wieder verabschiedet. Eine weitere Forschungsthese von Isabelle Thomas ist, dass der demographische Wandel als exogener Faktor auf das Rentensystem wirkt und damit weniger Einfluss hat, als im Moment angenommen wird. Ob sie Recht behält, werden die weiteren Untersuchungen zeigen. Sicher ist aber, dass die Ergebnisse richtungsweisend sein könnten, sowohl was die Verbindbarkeit von Pfadabhängigkeit und Diskurstheorie angeht, als auch was die Schlussfolgerungen zur Leistungsfähigkeit unseres Rentensystems betrifft.

Wie kann Joan Jonas entschlüsselt werden?

Hätte sie sich nach vierzig Jahren Arbeit zur Ruhe gesetzt, wäre Joan Jonas schon lange nicht mehr als Performance Künstlerin aktiv. Tatsächlich vertritt sie aber gerade die USA beim Filmfest in Venedig. Joan Jonas ist Performance Künstlerin in New York. Notburga Karl hat für sie gearbeitet und erforscht ihr Werk. Zu den Forschenden Frauen brachte Notburga Karl Ausschnitte aus der Performance „The Shape, The Cent, The Feel of Things“ mit. Zunächst fällt auf, dass in der Performance gleichzeitig auf drei Ebenen agiert wird. Auf der Bühne sitzen zwei Gestalten relativ phlegmatisch herum, auf eine Videoleinwand wird eine Frau mit Hund projiziert, die ebenfalls antriebslos auf einen Stab gestützt in der Wüste sitzt. Zwischen der Videoprojektion und den Personen im Vordergrund pinnt Joan Jonas Skizzen und eine Landkarte an eine Pinnwand.

Notburga Karl hilft ihrem Publikum auf die Sprünge: Die Performance ist angelegt an die „Melancholia“ von Dürer. Joan Jonas nutzt bewusst das kollektive Gedächtnis um zu verwirren Der Kupferstich dient ihr als Setting. Hierin liegt auch Notburga Karls Schlüssel zu Joan Jonas: sie nähert sich ihr mit den Mitteln der Bildanalyse und erweitert den Bildbegriff um den Aspekt der Dynamik. Joan Jonas spielt mit der Wirkung verschiedener Ebenen so sehr, dass sie die Zusehenden überfordert. Sie zieht eine weitere Leinwand in das Setting ein, hinter der die spielenden Personen verschwinden.

Das kollektive Gedächtnis entpuppte sich als verbindendes Element zwischen den vier wirklich hervorragenden Vorträgen. Wer mehr erfahren möchte über die Projekte wird um ein wenig Geduld gebeten. Ende des Jahres erscheint der achte Band der Buchreihe „Forschende Frauen“.