Christiane Florin: Weiberaufstand

Die »Frauenfrage« als Machtfrage in der katholischen Kirche

Zur Referentin: Als Referentin war für den letzten Abend Dr. Christiane Florin zu Gast. Sie ist in der Redaktion von »Religion und Gesellschaft« beim Deutschlandfunk tätig. Darüber hinaus arbeitet die Politikwissenschaftlerin als Bloggerin sowie freie Autorin und verfasste Bücher wie beispielsweise »Trotzdem! Wie ich versuche, katholisch zu bleiben«. Besonders ihr Buch »Der Weiberaufstand. Warum Frauen in der katholischen Kirche mehr Macht brauchen« polarisierte und faszinierte viele Gläubige gleichermaßen und eröffnet Denkräume für die »Frauenfrage« in der katholischen Kirche.

Die Frage der Gerechtigkeit stellt einen entscheidenden Streit- und Diskussionspunkt in der katholischen Kirche dar. Unterstützen die Strukturen in der römisch-katholischen Kirche die Ungerechtigkeit? Diese Frage sollte auch am letzten Vortragsabend des Theologischen Forums im Wintersemester 2021/22 verhandelt werden: Elf Tage nach der Initiative #OutInChurch, in der sich ehrenamtlich oder beruflich tätige Menschen der römisch-katholischen Kirche zu ihrer Queerness bekannten, wurde daher die Frage nach der Stellung der Frauen sowie Geschlechterunterschiede diskutiert.

1. Einleitung

Die historische sowie theologische Spurensuche nach der Frage, welche Stellung die Frau in der katholischen Kirche einnimmt, die sog. »Frauenfrage,« liegt in den Versuchen des Lehramts begründet, die Strukturen der Über- und Unterordnung aufrechtzuerhalten sowie lehramtlich abzuleiten. Dabei stellen nicht nur der Klerus sowie die Lai*innen ein dezidiert ungleiches Machtverhältnis dar, sondern auch Frauen und Männer sind »dem Wesen und nicht bloß dem Grad nach« verschieden. So gibt es klare Vorstellungen darüber, was Frauen dürfen und was Frauen in der Kirchen wollen sollen.

Der Ausgangspunkt für Florins Vortrag stellt dabei die Überschrift des Artikels von domradio.de vom 01.02.2019 mit dem Titel »Eine kleine Revolution. Das gab es noch nie […]« dar. Der Artikel schreibt dazu: »Nun können sich auch Frauen für den Dienst als Kölner Domschweizerin bewerben.« Für Frau Florin ist diese »Revolutionssensation« eine Verschleierung des eigentlichen Problems: Dass das Lehramt davon ausgeht, dass Frauen und Männer sich in ihren Tätigkeiten ergänzen. In dieser Komplementarität sieht Florin ein großes Problem, denn jenes Wort impliziere bereits ein hierarchisches Verhältnis: Das, was den Männern fehlt, kann von der Frau ergänzt werden, und was das sei, bestimme der geweihte Mann. Frauen seien demnach anders als Männer, das Bezugswesen ist immer der (geweihte) Mann. Der Mann sei die Norm, die Frau sei die Abweichung, so Florin. Die geweihten Männer in der römisch-katholischen Kirche definieren, was eine Frau ist und wie sie zu sein habe, während Frauen mit entsprechenden Inszenierungen – wie der eingangs erwähnte Artikel zeigt – etwas gewährt bekommen, das sie nie gefordert haben (Domschweizerin werden). Jenes sei die Folge dieser Komplementarität: Das Gewähren einer Sache stelle einen Machtgestus dar, den die Frauen mit Dankbarkeit annehmen müssten, da sie sonst als »ungehörig« deklariert würden. Sie seien auf die gönnerhaften Gesten der Kleriker angewiesen – sie als Empfangende haben keine Ansprüche zu stellen.

Dabei – so Florin – werde das Selbstverständliche leicht übersehen: Die fehlende Gleichberechtigung und Gleichartigkeit zwischen Männern und Frauen in der katholischen Kirche. Unter Rückgriff auf Simone de Beauvoir zeigt sie auf, dass durch gönnerhafte Gesten der Kleriker und vermeidliche Frauenförderungspläne – die sie als neue »Verführungsstrategie« deklariert – verschleiert wird, dass Frauen und Männern in Bezug auf ihre Würde sowie ihre Rechte keine Gleichheit zugesprochen wird. Dieser sogenannte »Vera«-Trick (abgeleitet vom lateinischen Wort verum = das Wahre) begründe die fehlende Gleichberechtigung in der römisch-katholischen Kirche mit dem Wesen der Frau. So diene die Frau als Verzerrung oder sogar Drohkulisse, wenn jene in lehramtlichen Texten vermännlicht wird.
Was laut Florin oft verwechselt wird, ist, dass eine Frau nicht wollen muss, was ein Mann will, sondern dass in gleichberechtigten Verhältnissen eine Frau werden können muss, was Männer werden können, und ihnen diese Positionen nicht aufgrund ihres Geschlechtes vorenthalten werden dürfen. Daher fordert sie, dass Frauen alle Ämter und Positionen innehaben dürfen sollen und ihnen diese, aufgrund ihres Geschlechtes, nicht verboten werden dürfen.

2. Macht

Vor allem ein Wort polarisiere im Rahmen dieser Debatte: »Macht«. Phrasen wie »Es gibt doch schon so viel, was Frauen dürfen…« verschleiern oft das Wesentliche: Laut Florin wird eine diskriminierende Macht ausgeübt, die Frauen als Menschen ihre Gleichstellung zum Mann abspricht.

Klar ist für Florin, dass das »Platzanweiserverhalten«, wie sie es selbst beschreibt, nicht individuell, sondern strukturell verankert ist: Die Debatte über die Frau in der Kirche wird ausschließlich von Männern geführt bzw. entschieden: Sie dürfen bestimmen, ob sie Frauen Positionen, Ämter etc. gewähren oder nicht. Jene Platzanweiser sagen, so Florin, jedoch nicht über sich selbst, dass sie Platzanweiser seien: Die gesamte Debatte werde von sog. »Machtverschleierungswörtern und -strategien« beherrscht. Eine von diesen stelle das »führen und agieren als Werkzeug des Herrn« dar. Die kirchlichen Würdenträger hätten damit keine Macht, jene gottgegebenen Strukturen zu verändern. Laut Florin sei ein Machtwort ohnmächtiger nicht möglich.

Da viele Frauen sich dieses »Platzanweiserverhalten« nicht bewusst machen, erfolgt mit der Zeit ein Wandel vom Subjekt zum Objekt: Frauen werden in der katholischen Kirche so konditioniert, dass sie in Unmöglichkeiten, jedoch nicht mehr in Möglichkeiten denken. Mit der Behauptung, Frauen hätten eine Bestimmung, finde eine offenkundige Diskriminierung statt, die die Ungleichbehandlung rechtfertigt. Da Diskriminierung per definitionem die Benachteiligung aufgrund eines Merkmals darstellt, spricht Florin offen von der Diskriminierung der Frau, die rechtfertigend hinnimmt, dass Frauen missbraucht und Täter zu Opfern werden.

Nicht das Wort »Weib« habe die Menschen an ihrem Buch »Weiberaufstand« gestört, sondern das Wort »Macht«: Dies stelle ein Reizwort für die Kirchenpolitik dar. Viele Katholikinnen wollen mit der klerikalen Macht nichts zu tun haben, sondern sie betonen stattdessen die weibliche Spiritualität und das weibliche Charisma. Auch das sei keine Lösung. Dagegen stellt die Debatte um »die Frau« für Joseph Ratzinger keine Frage, sondern ein Problem dar: Nicht die fehlende Gleichberechtigung sei das Problem, sondern die Proteste der Frauen, die nach Macht streben und somit eine Rivalität der Geschlechter zur Folge haben, in welcher der Mann als Gegner gesehen wird. Die Folge wäre eine »Verwirrung der Anthropologie« sowie Auswirkungen in der Struktur der Familie.

Macht ist für Florin jedoch weder gut noch schlecht, aber sie müsse kontrolliert und legitimiert werden, auch systemisch. Macht dürfe niemals geleugnet werden, da sonst keine Abgrenzung vom Machtmissbrauch möglich wäre.

3. Emotionaler Reduktionismus

Daneben sieht sie ein weiteres Phänomen als prekär: Die Diskriminierung der Frau werde zunehmend zu einem subjektivem Empfinden deklariert: »Frauen fühlen sich ausgeschlossen, Frauen fühlen sich unbeteiligt, erleben die Unterschiede als…« – Aber die Unterschiede sind kein Gefühl und kein Empfinden. Frauen sind ausgeschlossen, zumindest in der Frage von Ämtern. Ziel aktueller klerikaler Reformen sei somit eine »Benachteiligungsgefühlslinderung«, mit dem System sei ja alles in Ordnung.

4. Wissensmacht

Unter dem Slogan »Maria braucht kein Update« protestieren Anhänger der Maria 1.0 Bewegung gegen die aufkommende Maria 2.0-Initiativen, die die Rolle der Frau in der römisch-katholischen Kirche revolutionieren möchten.

Florin sieht daher vor allem zwei Lager: Während sich das eine Lager auf die Historizität der Kirche beruft und mit theologischen und kirchengeschichtlichen Argumenten von der Veränderbarkeit der Kirche zu überzeugen versucht, sehen die Bewahrer die Kirche mit ihrem Hierarchien als gottgewollt: Argumenten wie »Jesus war ein Mann, die Apostel waren Männer, die Jünger waren Männer« setzt Florin entgegen, dass dies erst Thesen des 20. Jahrhunderts seien, die seit der Frauenbewegungen zu kursieren begannen. Die Begründung für die untergeordnete Stellung der Frau war Jahrhunderte-lang lediglich, dass Frauen minderwertig seien.

Dabei, so Florin, könne man nicht mit dem Evangelium begründen, »warum die Sakramentalität an das männliche Geschlechtsteil gebunden« sei. Für die Nachfolge im Amt sei für die Kirche jedoch das Geschlechtsteil wichtiger als der Lebensstil: Besitzlosigkeit habe sich nicht durchgesetzt, Männlichkeit schon.

5. Vision

Den Vortrag beschloss Florin mit einer Vision, die als Zielhorizont diente. Während die Debatte jedoch vielerorts damit abgetan werde, dass es sich um Forderungen »westlicher Luxusweibchen, denen es besser geht als Frauen in vielen Ländern der Welt« handle, stellt dies die Relevanz der Thematik nochmal deutlich ins Zentrum: Wenn die römisch-katholische Kirche ihre Macht weltweit gegenüber Frauen missbraucht, müssen Frauen hier auf jene Missstände aufmerksam machen, da Frauen anderenorts diese aufgrund prekärerer Nöte nicht erkennen und bekämpfen können.

Die Kirche positioniere sich aktuell als Global Player auf der Seite der Patriarchen, was sie als glaubwürdige Instanz im Kampf gegen die Ungerechtigkeit negiert: Kirche kann nicht für Gerechtigkeit stehen, wenn sie intern schon ungleich strukturiert ist. Sie kann nicht von anderen Gerechtigkeit fordern und jene nach innen nicht umsetzen. Sie selbst gehe davon aus, dass sich die römisch-katholische Kirche nicht reformieren werde, da der aktuelle Zustand für viele männliche Geistliche attraktiv ist und sie sich dafür einsetzen, dass diese Gegenwelt zur Moderne erhalten bleibt.

Neben den Argumenten, die sie selbst regelmäßig vorbringt, verschriftlich und für die sie einsteht, hat für Florin oberste Priorität, darauf zu achten, dass die Kirche keine weiteren Opfer hervorbringt. Gerade durch das Erzählen von Leidensgeschichten erfolgt Widerstand gegen die institutionelle Diskriminierung. Sie tritt dafür ein, von realen Erlebnissen von Frauen zu berichten, Zeugnis über die Missstände abzulegen und aufzuschreiben, was ist und was war.

Deshalb sei es wichtig – um den Bogen auch zurück zur Initiative #OutInChurch zu schlagen –, dass Gläubige und Menschen, die mit der Institution Kirche verbunden sind, ihr Erlebtes schildern, damit sich Solidarität bildet und die Diskriminierung von Frauen, inter-, transsexuellen sowie queeren Menschen und allen weiteren marginalisierten Gruppen in der und durch die Amtskirche aufhöre!


Den Text verfasste Alisha Bleicher. Er steht Journalist:innen zur freien Verfügung.