Das Buch

Der jährlich von der Bundesregierung herausgegebene Bericht zum Stand der Deutschen Einheit befragt Bürger:innen der Bundesrepublik zu ihrer Einstellung zu Demokratie und Politik in Deutschland. Darin wird auch die Zufriedenheit mit bzw. Zustimmung zur Demokratie befragt. Die Ergebnisse aus dem Jahr 2022 sprechen Bände. Nur 59 % (zum Vergleich: 2020 waren es noch 65 %) der Westdeutschen zeigen sich mit der Demokratie zufrieden, in Ostdeutschland sind es gar nur 39 % (2020: 48%) der Bevölkerung. Die Demokratie, über die Winston Churchill einmal gesagt haben soll, sie sei eine furchtbar schlechte Regierungsform, aber er kenne keine bessere, sie gerät unter Rechtfertigungsdruck.

Ein Druck, der auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen auszumachen ist. So haben in 2021 mehr als 640.000 Menschen die evangelische und katholische Kirche verlassen. 2022 waren die Kirchenaustrittszahlen auf einem neuen Rekordhoch, nie zuvor sind so viele Menschen aus den sogenannten Volkskirchen  ausgetreten, wie in diesem Jahr. Aber nicht nur die Zugehörigkeit zur Kirche, auch der ›Glaube an Gott‹ und die ›religiöse Selbsteinschätzung‹ haben laut dem Religionsmonitor der Bertelsmann-Stiftung abgenommen.

Die schwindende Zustimmung zu Demokratie wie Kirchen sind vielschichtig und bedürfen einer genauen Analyse. Auch verbieten sich einfache Analogien: Handelt es sich doch bei dem einen um die Grundlage des Rechtsstaats und der freiheitlichen Gesellschaft und bei der anderen um Glaubensinstitutionen. Allerdings lässt sich durchaus festhalten: Zwei bislang weitgehend tragende Grundpfeiler der Gesellschaft, die Demokratie und die kirchlichen Institutionen aller christlichen Konfessionen, befinden sich in einer Krise – in einer Vertrauenskrise.

Der renommierte Soziologe und Politikwissenschaftler Hartmut Rosa greift in seinem 2022 erschienenen Buch Demokratie braucht Religion diese Krisensituation auf. Zwei Fragen beschäftigen ihn dabei: Warum erscheinen westliche Demokratien derzeit so erschöpft zu sein und wenig Strahlkraft zu besitzen? Und: Welches Potential hat Religiöses in dieser Krisensituation? Rosa übersieht dabei keineswegs die möglichen Gefahren eines religiösen Weltzugangs und vor allem religiöser Institutionen oder Staatsformen. Zugleich versucht er aber, die Potenziale der Religion für die Zukunft der Demokratie auszuloten.

Laut Deutschland-Monitor ist ein entscheidender Grund für das sinkende Vertrauen in demokratische Strukturen eine fehlende ›Selbstwirksamkeit‹: „Darunter versteht man in der Psychologie die Überzeugung eines Menschen, auch schwierige Situationen aus eigener Kraft erfolgreich meistern zu können. Dazu braucht es entsprechend positive Erfahrungen.“ Wer aber vermittelt diese in krisenhaften Zeiten – hier sei nur beispielhaft auf Klimawandel, den Krieg in der Ukraine, hohe Inflation, explodierende Preise für fossile Ressourcen hingewiesen? Rosas These zielt genau auf den Kern dieser Probleme. Religionen, so der Soziologe, stellen Räume bereit, die eine Selbstwirksamkeit bei Personen fördern und eröffnen können:

„Demokratie bedarf eines hörenden Herzens, sonst funktioniert sie nicht. […] Meine […] These lautet, dass es insbesondere die Kirchen sind, die über Narrationen, über ein kognitives Reservoir verfügen, über Riten und Praktiken, über Räume, in denen ein hörendes Herz eingeübt und vielleicht auch erfahren werden kann." (vgl. Rosa 2022, 55f.)

Es geht dem Soziologen Hartmut Rosa also vor allem um eine Haltung zur Welt, wie sie in den verschiedenen Religionen praktiziert wird. Dieses Beziehungsverhältnis, Rosa nennt das ›Resonanz‹, hält der Soziologe für unverzichtbar für eine lebendige und funktionierende Demokratie. Angesichts der eingangs geschilderten Problematik zielt Rosas Büchlein damit genau in die Mitte gesellschaftlicher Debatten um Staat und Kirchen, Demokratie und Glaube.