“Mit Historizität soll hier ein Erkenntnisinteresse näher betrachtet werden, das im Begegnungsbereich zahlloser disziplinärer Zugänge zu Landschaft in ganz unterschiedlichen Erklärungszusammenhängen auftaucht, selten aber explizit in den Vordergrund der Betrachtung gerückt wird. Gemeint ist die Beobachtung der Veränderlichkeit von Landschaften und hier speziell der Rolle, die anthropogenen Einflüssen zukommen. Auffällig ist, dass Untersuchungen häufig diese Veränderlichkeit nur in der Weise thematisieren, dass angenommene Landschaftszustände in der Vergangenheit mit einer davon differenten Aktualität abgeglichen werden. Diese Differenz bildet dann oft die Basis für prognostische Fortschreibungen zu angenommenen oder geplanten zukünftigen Zuständen. Die dabei oft gemachten zeitlichen Vorannahmen, zeitlichen Setzungen und Rahmungen und divergierenden Zeithorizonte werden selten eigens thematisiert. Intereressanterweise gibt es in der älteren Landschaftsforschung eine sehr viel breitere Diskussion zu diesen Fragen, die aber in der gegenwärtigen Diskussion nur geringe Beachtung findet. Deshalb ist zu fragen, warum unter den verschiedenen seit der Jahrtausendwende propagierten „turns“ nicht auch ein spezifischer „chronological turn“ zu finden ist, also eine stärkere Problematisierung und Konzeptionalisierung zeitlicher Vorannahmen gerade in den immer stärker aktualistisch fokussierten raumbezogenen Wissenschaften. Oder übersetzt und zugespitzt: wieso werden die untersuchten Zeitspannen, die zeitliche Rahmung angenommener Ausgangszustände und Elemente von Landschaften und schließlich auch die Zeitgebundenheit von Landschaftsanalyse nicht eingehender problematisiert?”
Dix, Andreas: Historizität von Landschaft - Landschaftsgeschichte - Kulturlandschaftsgeschichte, in: Kühne, Olaf; Weber, Florian; Berr, Karsten u. a. (Hg.): Handbuch Landschaft, Wiesbaden 2024, S. 65–75, hier S. 66