Geschichten sehen, Bilder hören. Mittelalterliche Bildprogramme

Bamberg, 12.-13. Juli 2013

Organisation: Prof. Dr. Andrea Schindler, Prof. Dr. Evelyn Meyer (Saint Louis University)

Im Rahmen des einjährigen Forschungsaufenthalts von Prof. Dr. Evelyn Meyer als Gast­professorin in Bamberg fand am 12. und 13. Juli 2013 eine internationale und interdisziplinäre Tagung zum Thema „Geschichten sehen, Bilder hören. Bildprogramme im Mittelalter“ statt. Renommierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler beleuchteten in 16 Vorträgen Text-Bild-Verhältnisse und deren Rezeption in verschiedenen Medien, Geschichten in Text und Bild in Handschriften und Drucken, in Wandmalereien, Stickereien und in der Musik. Zu Beginn stellte Dr. Bernd Mohnhaupt (Saarbrücken) die programmatische Frage „Was Bilder können“ und erläuterte an Beispielen die jeweilige Bild-Narrativik, die gegenüber dem Text z. B. Tiefenstrukturen oder Zusammenhänge deutlicher darstellen kann und auch den Rezipienten und das Umfeld zum Teil direkt in das eigene Programm mit einbezieht. Das Medium der mittelalterlichen Handschrift mit seinen unterschiedlichen Aspekten der Beziehung von Text und Bild stand im Zentrum zahlreicher Vorträge. So diskutierte Mag. Gabriele Klug (Salzburg) in ihrem Beitrag zum Thema „Die illustrierte Handschrift als Ort der Interaktion von Zeichensystemen. Methodische Überlegungen zur Analyse der Text-Bild-Beziehungen in den handschriftlich überlieferten deutschsprachigen ‚Melusine‘-Romanen“) die Historisierung von semiotischen Ansätzen und arbeitete die starke Orientierung der Melusine-Texte am Visuellen und Akustischen heraus. Dr. Jörn Weinert (Halle-Wittenberg, „Falsch verstanden oder bewusst verändert? Zur Text- Bild-Varianz in den Codices picturati des Sachsenspiegels“) machte den Symbolcharakter der Bildsprache in den illustrierten Sachsenspiegel-Handschriften deutlich und analysierte auf dieser Basis die Handschriftenverhältnisse. Mit illustrierten Handschriften der Überlieferung Wolframs von Eschenbach befassten sich Mag. Renate Oberbeck (Salzburg), Wiebke Ohlendorf (Braunschweig, „Figurengruppen in Schrift und Bild am Beispiel der Berner Parzival-Handschrift Cod. AA 91“) und Prof. Dr. Evelyn Meyer, (Saint Louis/Bamberg, „‚Der Maler konnte oder wollte nicht lesen‘ – oder vielleicht doch? Text und Bild in den illustrierten Parzival-Handschriften“); dabei konnte u. a. gezeigt werden, dass die Illustrationen der jeweiligen Handschriften wie die Texte in Abhängigkeits­verhältnissen stehen und sich oberflächlich als ‚Fehler‘ des Illustrators eingeschätzte Abweichungen des Bildes vom Text in zahlreichen Fällen entweder direkt auf den jeweiligen Text der Handschrift zurückführen oder produktiv in die Interpretation einbeziehen lassen. Benjamin Pohl, M.A. (Bamberg, „Ich sehe was, was Du nicht siehst: Zum Zusammenspiel von Text und Bild in der Handschrift Rouen 1173/Y 11“) erläuterte seine kriminalistische Arbeit mit der Handschrift Rouen 1173/Y 11, in der er mit den modernsten technischen Mitteln Spuren von Vorzeichnungen in zur Illustration freigelassenen Räumen nachweisen konnte. Die Funktion der Bilder und die häufig typisierte Darstellung von Personen oder Regionen untersuchten Isabell Brähler-Körner (Bamberg, „Von der Handschrift zum Sammelbild, vom Bilder­bogen zum Comic – Die Rolandsfigur in mittelalterlichen und neuzeitlichen Text-Bild-Kombinationen“) und Prof. Dr. Anja Grebe (Würzburg, „Wissen und Wunder – Illustrationszyklen zu Marco Polo“) anhand der Rolandsfigur und des Reiseberichts Marco Polos; dabei wurde auch deutlich, dass die Illustrationen nicht zuletzt der Orientierung des Rezipienten im Text dienen. Ähnliches arbeitete Prof. Dr. Matthias Meyer (Wien) für „Bildprogramme und mittelalterliche Kurzerzählungen“ heraus; daneben unterstützen die Illustrationen in den analysierten Handschriften auch die Legitimierung und Autorität des Autors und unterstreichen den einheitlichen Charakter der Handschrift. PD Dr. Norbert Ott (Bayreuth) untersuchte in seinem Vortrag „Die Wahrheit der Schrift im Bild. Ikonographie als Vermitt­lungsinstanz des Sprachmediums“ das Zusammenspiel von Text und Bild anhand zahlreicher Beispiele. Der fremde Blick auf das christliche Europa stand im Zentrum des Vortrags von Ilse Sturkenboom, M.A. (Bamberg, „Scheich San'ān und die Liebe zur Christin. Vom islamischen Selbst und dem ‚Fremden‘ im Bild“); sie ordnete dabei die Darstellungen von Christen in islamischen Manuskripten in den regionalen Kontext ein, indem sie z. B. armenische Vorbilder ausmachte, und stellte sie in Traditionen und deren Veränderungen vom 14. bis ins 19. Jahrhundert.

Darüber hinaus wurden andere Medien der bildlichen Überlieferung in den Blick genommen. Dr. Stefanie Seeberg, Köln/Madrid („Textilien erzählen – Gestickte Bildbehänge und textile Reli­quien der hl. Elisabeth von Thüringen in der Kirchenausstattung des Prämonstratenserinnen­klosters Altenberg/Lahn im 13. Jahrhundert“) befasste sich mit der Materialität und den Gebrauchszusammenhängen von bestickten Textilien aus dem Umfeld der Verehrung der Hl. Elisabeth im Prämonstratenserinnenkloster Altenberg, dem Elisabeths Tochter Getrud einige Jahre vorstand. Die Darstellung von Musik in der Notenschrift vor dem Hintergrund der Ein- und Mehrstimmigkeit bei Oswald von Wolkenstein analysierte Valerie Lukassen, M.A. (Köln, „Musik sehen, (Schrift-)Bilder hören. Klangvorstellung und Musiknotation im Spätmittelalter“); sie konnte damit zeigen, dass die Zuordnung einiger Lieder zur Mehrstimmigkeit neu bewertet werden muss. Janina Dillig, M.A., und Dipl.-Germ. Sabrina Hufnagel (Bamberg, „Text und Objekt – Männlichkeiten in Kunst und Literatur des Mittelalters“) stellten ein internationales Projekt von Studierenden der Universität Bamberg und der Duke University (Durham, North Carolina) in Zusammenarbeit mit dem Historischen Museum Bamberg und dem Nasher Museum of Art der Duke University vor, das sich mit der Darstellung von Männlichkeit in Kunstobjekten und Texten des Mittelalters befasste und in zwei Online-Ausstellungen mündete (vgl. http://vc.uni-bamberg.de/moodle/course/view.php?id=2168). Prof. Dr. Harald Wolter-von dem Knesebeck (Bonn) beleuchtete die Darstellung des „Parzival in den Wandmalereien des deutsch­sprachigen Bereichs der 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts“ am Beispiel eines Lübecker Frieses und des Hauses zur Kunkel in Konstanz und legte neue Lesarten der Wandmalereien im jeweiligen räumlichen Kontext vor. Ein Höhepunkt der Tagung war die Theateraufführung von Studierenden unter der Leitung von PD Dr. Andrea Grafetstätter, die die Stücke Der Luneten Mantel von Hans Rosenplüt und Der Eifersüchtige von Hans Sachs darboten.