Dissertation von Pfarrvikar Dr. Thomas Kremer

Mundus primus: Die Geschichte der Welt und des Menschen von Adam bis Noach im Genesiskommentar Ephräms des Syrers, Lovanii: Peeters 2012, LVI, 534 S. ISBN 978-90-429-2566-3

Dissertation an der Theologischen Fakultät Trier in Kooperation mit der Otto-Friedrich-Universität Bamberg

Der heilige Ephräm der Syrer (306-373) gilt unbestritten als der bedeutendste Verfasser syrischsprachiger Hymnen. Etwas aus dem Blick geraten ist dagegen seine Rolle als Exeget und Schriftinterpret, obgleich er sich als Lehrer in den theologischen Schulen von Nisibis und Edessa intensiv mit der Schriftauslegung befasst hat. Im Unterschied zu einer Fülle Ephräm zugeschriebener exegetischer Schriften ungesicherter Herkunft können sein Genesiskommentar und eine fragmentarisch erhaltene Auslegung zum Buch Exodus für sich beanspruchen, von der Mehrzahl der Forscher als authentisch angesehen zu werden. Sie lassen sich am ehesten in die späte Zeit seines Wirkens in Edessa (363-373) datieren. Die vorliegende Dissertation befasst sich mit dem Teil des Genesiskommentars, der sich auf die biblische Urgeschichte bezieht. Diese versteht Ephräm als die Geschichte einer „ersten Welt“, die von Adam bis Noach reicht und Gen 1,1–9,17 umfasst. Grundlage der Untersuchung ist die 1955 von R. M. Tonneau besorgte kritische Edition des syrischen Textes mit lateinischer Übersetzung (CSCO 152-153). Die Arbeit verfolgt das Ziel, erstmalig eine deutsche Übersetzung der ersten sechs Sektionen des Genesiskommentars (61 S. syrischer Text in der Druckausgabe, ca. die Hälfte des gesamten Kommentars) vorzulegen und diesen Teil des Kommentars in theologiegeschichtlicher, exegetischer und hermeneutischer Hinsicht zu analysieren. So soll primär aus der Sicht der alttestamentlichen Bibelwissenschaft, aber auch aus patristischer Perspektive das exegetische Werk des großen syrischen Kirchenvaters gewürdigt werden.

Die Studie zeigt, dass Ephräm mit seinem Genesiskommentar für den Bereich der syrischen Kirche einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet hat, das Buch Genesis in scharfer Abgrenzung vom Markionismus und Manichäismus als maßgebliche Offenbarungsquelle für die christliche Anthropologie und Kosmologie verteidigt zu haben. Seine Hermeneutik und einzelne exegetische Positionen weisen eine deutliche Nähe zu rabbinisch-jüdischen Traditionen auf; so arbeitet Ephräm stark mit den Mitteln der Midrasch-Exegese. In seinen kosmologischen Erwägungen setzt er sich intensiv mit dem Erbe einer parthisch-zoroastrischen Kosmologie auseinander, wie sie ihm aus dem Gedankengut des Bardaisan von Edessa entgegentritt. In Ephräms Anthropologie sticht die Betonung der menschlichen Willensfreiheit hervor – ein Gedanke, der sich gegen jedes fatalistische Denken richtet. Die vorliegende Arbeit kann nachweisen, dass Ephräms Genesiskommentar eine weitgehend unabhängige Schrift mit einem philosophisch-apologetischen Charakter ist, in der zudem Ephräms Verbundenheit mit den Idealen der frühsyrischen Askese durchscheint. Besondere Originalität beweist Ephräm darin, dass sich bei ihm ein komplexes Verständnis nachweisen lässt, demzufolge er Gen 1,1–9,17 als zusammenhängende Einheit versteht, in der sich die Konturen einer „ersten Welt“ (mundus primus) verdichten. Diese präfigurieren auf typologische Weise die Konturen der „zweiten Welt“ (mundus secundus), in der wir leben. Kosmologie und Anthropologie und die Frage nach Weltzeit und Endzeit sind die beherrschenden Themen. Insofern sich Ephräms Exegese in der Nähe zur jüdischen Schriftauslegung verorten lässt und sich dadurch auch von der antiochenischen Schule abhebt, kann er als Protagonist einer eigenen, syrischen Exegetenschule verstanden werden, welche jedoch nur eine regional begrenzte Rezeption erfahren hat.

Der vorliegenden Dissertation geht es um den besonderen Stellenwert von Ephräms Genesiskommentar innerhalb der patristischen Exegese. Sein Kommentar ist der Entwurf einer christlichen, biblisch begründeten Kosmologie und Anthropologie. Zahlreiche Themen seiner Theologie verdichten sich dort und führen hin zu einer heilsgeschichtlichen Deutung des Weltgeschehens. Die Arbeit wird in Bälde als Subsidia-Band des „Corpus Scriptorum Christianorum Orientalium“ erscheinen. Eine Publikation der deutschen Übersetzung des gesamten Genesiskommentars in der Reihe „SOPHIA – Quellen östlicher Theologie“ ist in Vorbereitung.

Zum Autor:

* Jahrgang 1971

* 1991-1996: Studium der kath. Theologie in Trier, München und Jerusalem (Teilnahme am Theologischen Studienjahr der Dormition Abbey 1993/94)

* 1997 Diakonenweihe und 1998 Priesterweihe in Trier

* 1998-2004: Kaplan in Waldbreitbach und anschließend Vikar in Morbach

* 2005-2007: Studienaufenthalt am Lehrstuhl für Kirchengeschichte der Otto-Friedrich-Universität Bamberg im Rahmen des Dissertationsprojektes

* seit 2008: Wissenschaftlicher Mitarbeiter / Assistent an der Theologischen Fakultät Trier

* 2009: Promotion zum Doktor der Theologie in Trier

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