Öffentlicher Vortrag von Prof. Dr. Eckhard Klieme am 23. Juli 2013, 20 Uhr im Markushaus
Jenseits von PISA und IGLU: Wie Bildungsforschung der pädagogischen Praxis nutzt
Regelmäßig berichtet die Presse über Ergebnisse von Vergleichsstudien: Welches Land steht im Leistungsvergleich vorne? Welche Kinder und Jugendlichen werden wie gefördert, wer erhält Zugang zu anspruchsvollen Bildungswegen, wer ist motiviert und leistungsstark – kurz gesagt: sind die Bildungschancen gerecht verteilt? Politiker tun sich schwer, solche Diagnosen zu kommentieren oder gar Konsequenzen zu ziehen. Dasselbe gilt für Schulleitungen und Lehrkräfte, die sich einer Evaluation stellen oder immer wieder neu aus Vergleichsarbeiten erfahren: Wo liegen die Stärken, wo die Schwächen unserer Schülerinnen und Schüler? Wie sehen externe Beobachter, aber auch die Kinder und Jugendlichen und deren Eltern das soziale Klima, den Unterricht und die pädagogische Arbeit der Schule?
PISA und IGLU, Evaluation und Vergleichsarbeiten beleuchten die Arbeitsbedingungen der Schulen, die pädagogischen Prozesse, Erfolge und Misserfolge. Die Befunde können wach rütteln und dazu herausfordern, sich Problemen zu stellen und zum Beispiel zu fragen: Entspricht das Profil unserer Schüler den gesetzten Zielen? Tun wir genug, um Schüler mit unterschiedlicher Herkunft zu integrieren? Können wir den Anforderungen an einen individuell fördernden, unterstützenden, fachlich anspruchsvollen und gut strukturierten Unterricht genügen? Tun wir das Notwendige, um die Schule weiter zu entwickeln?
Zu Recht erwartet man von der Bildungsforschung aber mehr als Fragen zu stellen und Probleme zu benennen. Politik und Bildungsverwaltung fordern immer wieder „Steuerungswissen“ ein – zum Beispiel: Wie sollen wir die Schulformen organisieren? Welche Fächer brauchen wir wirklich? Solche Systemfragen lassen sich jedoch mit empirischer Forschung kaum beantworten. Nützliches Wissen bringt die Bildungsforschung hingegen für Lehrkräfte und Erzieherinnen. Vor allem Pädagogisches Handlungswissen für die alltägliche Unterrichts- und Erziehungsarbeit: Wie baue ich kompetenzorientierten Unterricht auf? Welche Methoden helfen bei individueller Förderung? Und Veränderungswissen für die Schule: Wie kann man die Kooperation im Kollegium verbessern? Was kann Schulleitung tun?
Tatsächlich kann die Bildungsforschung sehr viele produktive Antworten geben. Sie stellt Hilfsmittel und bewährte Strategien zur Verfügung. Nicht nur John Hattie mit seiner berühmten (und umstrittenen) Mega-Analyse ist hier als Kronzeuge zu nennen. Dieses Wissen kommt allerdings eher nicht aus den populären Vergleichen, sondern aus sorgfältigen Längsschnittstudien (wie etwa den Bamberger Untersuchungen in BIKS), Modellversuchen und Experimenten. Leider wird es in der Öffentlichkeit nicht so stark wahrgenommen. Wenn beispielsweise Richard David Precht seine Idee, Mathematikunterricht durch Lernprogramme zu ersetzen, in allen Medien verbreiten kann, zeigt dies einmal mehr, dass Ergebnisse der Bildungsforschung weniger gefragt sind als flotte Heilsversprechen.
Der Vortrag erläutert die unterschiedlichen Arten des Wissens, das Bildungsforschung bereitstellt, mit dem Schwerpunkt auf Unterrichtsqualität und Schulentwicklung.
Eckhard Klieme
Zur Person:
Professor Dr. Eckhard Klieme ist Direktor der Abteilung Bildungsqualität und Evaluation am Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) und Universitätsprofessor an der Goethe Universität Frankfurt am Main.
Seine Expertise ist durch jahrelange Forschung im Bereich Unterrichtsqualität, Schuleffektivität und Schulentwicklung sowie Leistungsmessung und –beurteilung in Schulen gekennzeichnet.
Prof. Klieme ist an der Konzeptionierung der PISA-Untersuchungen in Deutschland seit 2000 beteiligt.
Außerdem erhielt er 2010 den Wissenschaftspreis "Gesellschaft braucht Wissenschaft" des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft.
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