Interdisziplinäres, internationales Kolloquium

Realität und Wahrnehmung von Finanzmärkten in der Gegenwart

28. bis 30. November 2018

Karsten Becker

Die Finanz- und Währungskrisen der vergangenen 20 Jahre stellten nicht nur die Weltsicht von Ökonominnen und Ökonomen auf den Kopf, mit der Folge, dass immer mehr Volkswirte die Rationalität von Finanzmärkten generell in Frage stellen. Auch Schriftstellerinnen und Schriftsteller sowie andere Kulturschaffende in Theater und Film nehmen zunehmend die Kontexte und Abläufe der Geldwirtschaft in den Blick. Das Ausmaß an Fiktionalität auf den Finanzmärkten provoziert sie zu künstlerischen Bearbeitungen derselben. Innerhalb der Geisteswissenschaften, insbesondere der Literaturwissenschaft, hat sich ein Zweig entwickelt, der auch finanzwirtschaftliche Prämissen und Theorien kritisch und aus ungewohnter Perspektive beleuchtet. Deshalb sahen wir es an der Zeit, Volkswirte und Geisteswissenschaftler in einen Dialog auf Augenhöhe zu bringen. Während einer dreitätigen Konferenz konnten wir beobachten, wie beide Seiten neue und überraschende Einsichten gewannen.  

Der Plan war, die Konferenz zum ersten Gemeinschaftsprojekt zwischen dem „Promotionskolleg Makroökonomik bei beschränkter Rationalität: Dynamik, Stabilisierung und Verteilung“ (BaGBeM) und der „Bamberger Graduiertenschule für Literatur, Kultur und Medien“ (BaGraLCM) zu machen.

Ablauf und Rückschau 

Ein großer Gewinn für die Tagung war die Keynote von Jochen Hörisch, welche sich als idealer Auftakt und erster Höhepunkt der dreitägigen Veranstaltung darbot: Der Mannheimer Professor und Literatur- und Medienwissenschaftler, bekannt durch zahlreiche Publikationen zu den Schnittpunkten von Literatur und Wirtschaft, sprach fächerübergreifend über Das Medium Geld. 

Die geistes- und finanzwissenschaftlichen Vorträge der Tagungsteilnehmer schlossen sich daran an. Während die Mehrzahl der geisteswissenschaftlichen Vorträge die künstlerische und journalistische Rezeption von Finanzmärkten mit kreativen Ansätzen behandelte, beschäftigten sich die Volkswirte vor allem mit Fragen wie: Wenn fiktionale Erzählungen in Romanen und Filmen die gesellschaftliche und sogar die ökonomische Sicht auf Geld und Finanzmärkte beeinflussen können, wie kann dann das Medium Geld selbst, als vielleicht folgenreichste Fiktionsleistung in der Menschheitsgeschichte, keinen realen ökonomischen Effekt haben? Ist diese Prämisse eventuell grundfalsch? 

Ein Glücksfall war die Teilnahme von Ökonomen, die selbst filmische und literarische Bearbeitungen der Finanzmärkte-Thematik zur Analyse heranzogen, etwa Prof. Dr. Martin Schneider von der Universität Paderborn. 

Der nächste Höhepunkt war zweifelsohne die hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion am zweiten Abend der Tagung, die im feierlichen Ambiente des ETA Hoffmann Theaters Bamberg stattfand und auf großes außeruniversitäres Interesse stieß. Unter Moderation von Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann von der Tageszeitung taz diskutierten Theaterintendantin und Regisseurin Sibylle Broll-Pape, Michael Roos (Professor für Makroökonomie in Bochum), Robert Woelfl (Schriftsteller und Dramatiker aus Wien), Brigitte Young (Professorin für internationale und feministische Ökonomie in Münster) und Rainer Voss (ehemaliger Investmentbanker) aus unterschiedlichen Perspektiven zu den Themen Finanzmärkte und Finanzbranche inklusive einer Prognose für die Zukunft der Finanzwirtschaft und ihren gesellschaftlichen Folgen.  

Langfristige Erkenntnisse und Ergebnisse 

Im Sinne der Interdisziplinarität war im Vorfeld der Tagung unsere primäre Absicht, dass es einen regenAustausch zwischen den Disziplinen geben soll. Unsere größten Bedenken hatten wir dahingehend, dass die Vorträge aus anderen Disziplinen zwar zur Kenntnis genommen würden, aber möglicherweise nicht gemeinsam diskutiert würden. Unsere Bitte an die Vortragenden, auf fachspezifisches Vokabular zu verzichten, bildete die Grundlage für einen erfolgreichen Austausch. Wir konnten bei diversen ökonomischen Vorträgen, die als Grundlage durchaus ein technisches Gerüst verwendeten, beobachten, dass die Zuhörer anderer Fachrichtungen aufmerksam folgten und nicht zögerten auch „unkonventionelle“ Fragen zu stellen. Der resultierende Dialog führte dazu, dass die Ansätze der Volkswirtschaftslehre auf grundsätzlicher Basis und von mehreren Seiten kritisch beleuchtet wurden.

Um die Ergebnisse der Tagung langfristig zu sichern, ist ein Tagungsband in Planung, der Ende 2019 bzw. Anfang 2020 erscheinen soll. 

Das Tagungsprogramm finden Sie hier(2.6 MB, 8 Seiten).

Organisation: Prof. Dr. Andrea Bartl, Karsten Becker, Prof. Dr. Christian R. Proaño, Tim Hagenhoff.

Mit freundlicher Unterstützung von:

Andrea von Braun-Stiftung

Bundesministerium für Bildung und Forschen

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ETA Hoffmann Theater