Poetikprofessur 2013: Jenny Erpenbeck

Im Sommersemester 2013 hat die Autorin Jenny Erpenbeck die Bamberger Poetikprofessur übernommen.  Nachdem Frau Erpenbeck bereits im Herbst 2012 im Rahmen der Reihe "Zwischen Ost und West: Grenzgänger-Lesungen" aus ihrem Roman Heimsuchung gelesen hat, hat sie im Sommer an vier Abenden Einblicke in die Enstehung ihrer Texte gewährt.

Die Termine der Vorträge waren:

  • 7. Mai
  • 28. Mai
  • 5. Juni
  • 19. Juni

20.00 Uhr s.t., Hörsaal U2/025

Jenny Erpenbeck wurde 1967 in Ost-Berlin geboren. Nach einer Buchbinderlehre und verschiedenen Tätigkeiten am Theater studierte sie Theaterwissenschaften und Musiktheaterregie, u.a. bei Peter Konwitschny, Ruth Berghaus, Werner Herzog und Heiner Müller. Sie arbeitete als Regieassistentin und Opernregisseurin. Heute lebt sie als freie Autorin und Regisseurin in Berlin.


Jenny Erpenbecks literarische und essayistische Texte schließen an die historischen Diskurse des 20. und 21. Jahrhunderts an. Sie erzählen von der großen Geschichte in der kleinen, von Tätern, Opfern und Mitläufern und den prekären Machtverhältnissen, in die sie verstrickt sind. Die Verschränkung von Mikro- und Makrogeschichte reicht in Erpenbecks Werk bis in die privatesten und intimsten Beziehungen hinein, die Zeitläufe beschädigen hier Familien, Liebesbeziehungen und individuelle Lebensentwürfe. Umgekehrt spiegeln sich in den intimen, familiären und beruflichen Lebenswelten des Subjekts jeweils die historischen Umbrüche des Jahrhunderts.
Deutlich wird dies an Erpenbecks jüngstem Roman Aller Tage Abend (2012), der das historische Spannungsverhältnis von Kontingenz und Schicksal anhand alternativer Lebensläufe der zentralen Figur verhandelt, die im Text gleich mehrfach und unter immer anderen historischen Bedingungen stirbt. Der Roman geht der Frage nach, was dem Subjekt innerhalb eines je verschiedenen topographischen und gesellschaftlichen Rahmens geschieht und wie sich die Geschichte jeweils anders in den Körper des Menschen einschreibt.
Diese Fragestellung prägt das Werk Jenny Erpenbecks von Anfang an: Der von der Kritik gefeierte Debütroman Geschichte vom alten Kind (1999) macht die Verletzungen und Narben eines traumatisierten Subjekts sichtbar, das die eigene Geschichte noch einmal neu zu inszenieren versucht. Das Drama Katzen haben sieben Leben (2000) leuchtet die Frage nach der Schuld in Abhängigkeitsbeziehungen neu aus, indem die Positionen von Opfer und Täter(in) unablässig ausgetauscht werden. Der Roman Wörterbuch (2004) erzählt die Genese einer Diktatur aus der Sicht einer Tochter, die sich am Ende mit der Erkenntnis auseinandersetzen muss, dass der geliebte Vater eine entscheidende Rolle innerhalb der totalitären Strukturen ihres märchenhaft verklärten Heimatlandes spielte. Der von der Kritik gefeierte Roman Heimsuchung (2008) schließlich beleuchtet die Geschichte des 20. Jahrhunderts anhand eines Hauses am märkischen Scharmützelsee, das die wechselnden Besitzer und Bewohner durchweg erfolglos als Ort der Geborgenheit und Zuflucht entwerfen.

TEXTE (AUSWAHL)

1999 Geschichte vom alten Kind. Roman

2000 Katzen haben sieben Leben. Drama
[Uraufführung 30.1.2000, Vereinigte Bühnen Graz]

2001 Tand. Erzählungen

2002 Leibesübungen für eine Sünderin. Drama (unveröffentlicht)
[Uraufführung 27.3.2003, Deutsches Theater Berlin]

2004 Wörterbuch. Roman

2008 Heimsuchung. Roman

2009 Dinge, die verschwinden

2011 Schmutzige Nacht. Drama

2012 Aller Tage Abend. Roman

PREISE UND FÖRDERUNGEN (AUSWAHL)

2001 Preis der Jury beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb

2004 GEDOK-Literaturpreis

2008 Heimito von Doderer-Literaturpreis, Solothurner Literaturpreis

2009 Preis der LiteraTour Nord

2013 Evangelischer Buchpreis, Schubart-Literaturpreis

Eine Berlinerin in Bamberg(571.0 KB, 1 Seite)

Internationales Forschungskolloquium mit Jenny Erpenbeck

Zum Kolloquium

Das wissenschaftliche Kolloquium „Lebensalter – Zeitalter. Subjekt und Zeitgeschichte in der Literatur der Gegenwart“ schließt an die Poetikprofessur der Universität Bamberg an, die 2013 mit Jenny Erpenbeck eine der renommiertesten Erzählerinnen und Dramatikerinnen der deutschsprachigen
Gegenwartsliteratur innehat. Ihr Werk ist vielfach preisgekrönt, zuletzt wurde es mit dem hochdotierten Joseph-Breitbach-Preis ausgezeichnet.


Das Kolloquium versteht sich als Forum des Austausches zwischen der Seite der literarischen Produktion, der wissenschaftlichen Rezeption, der Literaturvermittlung und der interessierten Leserschaft. Die Vorträge beleuchten das Werk Jenny Erpenbecks aus verschiedenen Perspektiven und stellen es zugleich in den Kontext der deutschsprachigen Literatur des 21. Jahrhunderts. Als Referenten sind sowohl Literaturwissenschaftler aus dem In- und Ausland als auch prominente Literaturvermittler in Bamberg zu Gast. Auch die Autorin wird während des Kolloquiums anwesend sein, für Fragen zur Verfügung stehen und sich an der Diskussion beteiligen.

PROGRAMM

Mittwoch, 19. Juni 2013: An der Universität 2 / Hörsaal 025

20.00 Uhr                 Prof. Dr. Friedhelm Marx: Begrüßung und Einführung

                                 Jenny Erpenbeck: Eröffnungsvortrag

                            

Donnerstag, 20. Juni 2013: Theatertreff im E.T.A.- Hoffmann-Theater

9.15 – 9.30 Uhr        Begrüßung durch Prof. Dr. Dr. Godehard Ruppert,  

                                 Präsident der Universität Bamberg

                                 Einführung durch Prof. Dr. Friedhelm Marx

9.30 – 10.00 Uhr      PD Dr. Julia Schöll (Bamberg):

                            Wörter und Dinge. Text- und Objektästhethik bei

                            Jenny Erpenbeck

  

10.00 – 10.30 Uhr   Prof. Dr. Ulrike Vedder (Berlin):

                                Lebensläufe: Zeit und Genealogie in Jenny

                                Erpenbecks Literatur

10.30 – 11.00 Uhr   Diskussion der Vorträge

11.00 – 11.30 Uhr   Kaffeepause

11.30 – 12.00 Uhr   Prof. Dr. Georg Mein (Luxemburg):

                                Ariadnes Faden. Erzählen und Erinnerung im Werk

                                Jenny Erpenbecks

                                Diskussion des Vortrags

12.15 – 14.30 Uhr   Mittagspause

14.30 – 15.00 Uhr   Prof. Dr. Agnes Mueller (South Carolina):

                                Die jüdische Mutter in Jenny Erpenbecks

                                Roman Aller Tage Abend

15.00 – 15.30 Uhr   Prof. Dr. Iris Hermann (Bamberg):

                                Heimsuchungen in Aller Tage Abend

15.30 – 16.00 Uhr   Diskussion der Vorträge

16.00 – 16.30 Uhr   Kaffeepause

16.30 – 17.00 Uhr   Dr. Johannes Birgfeld (Saarbrücken):

                                Jenny Erpenbecks Dramatik

17.00 – 17.30 Uhr   Malve Lippmann (Berlin):

                                Jenny Erpenbecks Katzen haben sieben Leben

                                auf der Bühne

17.30 – 17.45 Uhr   Diskussion der Vorträge

17.45 – 18.30 Uhr   Dr. Katrin Lange (München):

                                Gespräch mit Jenny Erpenbeck

20.00 Uhr                 Abendessen

Freitag, 21.Juni 2013: Theatertreff im E.T.A.-Hoffmann-Theater

9.00 – 9.30 Uhr        Prof. Dr. Carsten Gansel (Gießen):

                                 Jenny Erpenbeck und das ‚Prinzip Erinnerung‘

9.30 – 10.00 Uhr      Prof. Dr. Anke Biendarra (Irvine):

                                 Heim. Heil. Erpenbecks Roman Heimsuchung als 

                                 europäischer Erinnerungsraum

10.00 – 10.30 Uhr   Diskussion der Vorträge

10.30 – 11.00 Uhr   Kaffeepause

11.00 – 11.30 Uhr   Prof. Dr. Andrea Bartl (Bamberg):

                                „Dickie möchte uns ein Gedicht aufsagen.“ Der Typus

                                des ‚unangenehmen Kindes’ – und seine Variation in

                                Jenny Erpenbecks Geschichte vom alten Kind

11.30 – 12.00 Uhr   Prof. Dr. Friedhelm Marx (Bamberg):

                                Geschlossene Gesellschaften in Jenny Erpenbecks

                                Geschichte vom alten Kind und Wörterbuch

12.00 – 12.30 Uhr   Abschlussdiskussion und Resümee der Tagung

Ende der Tagung

Tagungsband zum Werk Jenny Erpenbecks erschienen

Literaturwissenschaftler untersuchen das vielfach preisgekrönte literarische und essayistische Werk Jenny Erpenbecks.

Jenny Erpenbecks Texte beobachten Menschen bei ihrer unermüdlichen Suche nach Wahrheit - die jedoch stets in der Erkenntnis mündet, dass »die Wahrheit« per se nicht existiert. Stattdessen bleibt jedem Einzelnen nur die Aufdeckung der persönlichen Illusionen und Selbsttäuschungen. So verschwimmen vermeintlich lineare Lebensläufe in Kontingenz, lösen sich Familienbindungen auf, verschwinden Sicherheit und Geborgenheit - immer im Zwischenspiel von individueller Existenz und gesellschaftlich-geschichtlicher Realität.
Literaturwissenschaftler gehen diesen verschiedenen Facetten der Wahrheitssuche in Jenny Erpenbecks Werken nach.

Mit Beiträgen von Andrea Bartl, Anke Biendarra, Johannes Birgfeld, Jenny Erpenbeck, Carsten Gansel, Iris Hermann, Friedhelm Marx, Georg Mein, Agnes Mueller, Julia Schöll und Ulrike Vedder.

Wahrheit und Täuschung. Beiträge zum Werk Jenny Erpenbecks. Herausgegeben von Friedhelm Marx und Julia Schöll. Göttingen: Wallstein 2014 [= Poiesis. Standpunkte zur Gegenwartsliteratur, Bd. 11]

€ 18,00 (D)