Literaturnobelpreis für Bob Dylan

Eine Einschätzung und Würdigung der Amerikanistin Christine Gerhardt und des Kulturwissenschaftlers Pascal Fischer

Die Schwedische Akademie in Stockholm begeht Neuland. Der diesjährige Literaturnobelpreis geht erstmals nicht an einen Schriftsteller, sondern an den Singer-Songwriter Bob Dylan. Was auf den ersten Blick als Überraschung anmutet, kommt für Kenner des Liedermachers nicht von ungefähr.

Schon seit vielen Jahren sind seine Person und sein Werk Gegenstand universitärer Forschung und Lehre. In der amerikanischen Literatur- und Kulturwissenschaft gilt er als Ausnahmekünstler, der wie kaum ein anderer einen reichen Fundus unterschiedlicher literarischer Stile, Gattungen und Vorlagen geöffnet und für originelle Schöpfungen nutzbar gemacht hat. „Ob er das Genre der Volksballade wiederbelebt, sich bei den französischen Symbolisten bedient oder die Tradition der Beat Generation fortführt, immer erschafft Dylan etwas sehr Eigenes, das sich oft nur schwer gängigen Kategorien zuordnen lässt“, erklärt Prof. Dr. Pascal Fischer, Professor für Anglistische und Amerikanistische Kulturwissenschaft an der Universität Bamberg, die Besonderheit von Dylans Werk. „Wenn er seine Verse mal mit und mal ohne Gitarrenbegleitung vorträgt, verschwimmen insbesondere die Grenzen zwischen Gedichten und Songtexten.“ Die knappe Begründung des Komitees, man ehre mit der Auszeichnung jemanden, der neue poetische Ausdrucksmöglichkeiten in der großen amerikanischen Song-Tradition gefunden habe, hält Fischer daher für sehr überzeugend.

Für die Bamberger Professorin für Amerikanistik, Dr. Christine Gerhardt, verkörpert Dylan eine Dimension der amerikanischen Kultur und Politik, die gerade wieder am erstarken ist und sich zum Beispiel in der internationalen Aktivisten-Bewegung „Black Lives Matter“ und der Begeisterung vieler junger Amerikanerinnen und Amerikaner für den Politiker Bernie Sanders ausdrückt: „Die Auszeichnung lenkt den Blick auf dieses ‚andere‘ Amerika, auf die ‚counter culture‘ (deutsch: Gegenkultur), für die Dylan seit den sechziger Jahren steht.“

Doch reicht das alles, rechtfertigen die Shakespeare- und Bibelbezüge in Dylans Songtexten, das Epische und Lyrische darin, seine Präsenz in literarischen Anthologien und neuen amerikanischen Literaturgeschichten einen Literaturnobelpreis? Die Frage, worin das spezifisch Literarische seiner Songs liegt, greift hier zu kurz, findet Christine Gerhardt. „Bob Dylan entzieht sich als Künstler auch solchen Zuschreibungen und ist gerade deshalb dieses Preises würdig. Er verkörpert eine Persönlichkeit, die sich dem Erfolg zwar nicht widersetzt, aber dem Establishment trotzdem widersteht.“

Doch die Entscheidung der Stockholmer Akademie ist für die beiden Wissenschaftler mehr als eine Würdigung des Lebenswerks und eine Bestätigung der Schaffenskraft des Künstlers: „Das Komitee hat damit anerkannt, dass Texte der Populärkultur literarischen Wert besitzen können“, erklärt Pascal Fischer. „Und Literatur, vor allem Lyrik, eben nicht nur in geschriebener Form in Erscheinung tritt.“
Für Gerhardt ist die Entscheidung der Akademie vor allem kulturgeschichtlich bedeutsam, da Dylans Songs durch ihre Popularität eine Form von Gemeinschaft erzeugen, die eine lange Tradition in der amerikanischen Kultur hat, weit über die Folk-Musik hinaus. Der Preis ist somit nichts weniger als eine Anerkennung und Würdigung einer gesellschaftlichen Entwicklung. „Wenn Dichtung in ihrer Direktheit und Vielschichtigkeit, in ihrer Symboldichte und oft berückenden sprachlichen Schönheit hier einen Platz hat, ist das schon eine kleine Revolution. Und der Nobelpreis ein großer Grund zum Feiern“.  

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