- Pressemitteilung des Leibniz-Instituts für Bildungsverläufe (LIfBi)

30 Jahre nach dem Mauerfall: Wie der Osten und Westen über Rollenbilder denkt

Einstellung zu Müttererwerbstätigkeit spaltet Ost und West, Jung und Alt

Sollten Mütter kleiner Kinder beruflich kürzer treten? Frauen sich lieber um die Familie als um die Karriere kümmern? Männer sich aus der Hausarbeit heraushalten? Die Einstellungen zu solchen Rollenbildern unterscheiden sich in Ost- und Westdeutschland auch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung noch deutlich. Erstmals beleuchtet eine Studie mit Längsschnittdaten, wie sich die Einstellungen in den vergangenen zehn Jahren entwickelt haben und inwieweit Ost-West-Unterschiede für jüngere Generationen noch relevant sind. Wider Erwarten zeigt auch die jüngere Nachwendegeneration noch deutliche Ost-West-Unterschiede in ihren Rollenvorstellungen.

Dr. Gundula Zoch, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bamberger Leibniz-Institut für Bildungsverläufe, hat mithilfe von Längsschnittdaten untersucht, inwiefern sich Ost- und Westdeutsche in ihren Rollenbildern aktuell noch unterscheiden. Für ihre Analyse verwendeten sie Daten des Beziehungs- und Familienpanels pairfam (Panel Analysis of Intimate Relationships and Family Dynamics). Die ursprünglich etwa 12.000 Teilnehmenden werden seit 2008 einmal pro Jahr zu Themen wie Partnerschaft, Einstellungen und Familienleben befragt. Für die Untersuchung vergleicht Zoch drei Geburtskohorten von Ost- und Westdeutschen, die Anfang der 1970er, 1980er und 1990er Jahre geboren wurden und damit unter ganz unterschiedlichen Bedingungen aufgewachsen sind.

Müttererwerbstätigkeit spaltet Ost und West, Jung und Alt

Auch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung unterscheiden sich die Rollenbilder in Ost und West immer noch deutlich: Ostdeutsche befürworten im Durchschnitt etwas modernere Rollenbilder als Westdeutsche. Zwar liegen die Einstellungen, dass sich Männer ebenso wie Frauen an der Hausarbeit beteiligen sollten, in Ost- und Westdeutschland recht nahe beieinander, der größte Unterschied zeigt sich aber in der Bewertung der Erwerbstätigkeit von Frauen mit kleinen Kindern. Während sich im Westen die Haltung dazu im Laufe der Jahre immer weiter modernisiert und sich damit den egalitäreren Einstellungen des Osten angeglichen hat, förderte die Auswertung überraschende Ergebnisse für die jüngste befragte Altersgruppe zutage: Sowohl in West als auch in Ost zeigt die Gruppe der zwischen 1990 und 1993 Geborenen deutlich traditionellere Einstellung zur Müttererwerbstätigkeit als ältere Befragte. Für die traditionelleren Einstellungen jüngerer Ostdeutsche dürften vor allem die gestiegene Teilzeitarbeit von Müttern und der Abbau von Betreuungsplätzen in der Nachwendezeit relevant sein.

Zustimmung zu Müttererwerbstätigkeit vor allem bei Jüngeren stark gestiegen

Aufgrund der jährlichen Befragung konnte erstmals auch untersucht werden, inwieweit sich die Rollenbilder individueller Personen in den vergangenen 10 Jahren verändert haben. Hier zeigt sich: gerade jüngere Befragte verändern ihre Einstellungen vor dem Hintergrund neuer Erfahrungen und Lebensereignisse stärker als ältere Befragte. Die jüngste Generation in Ost und West unterscheidet sich inzwischen in ihren Einstellungen am wenigsten voneinander.

Lebensverhältnisse wichtiger als Herkunft

Ein großer Teil der beobachteten Einstellungsunterschiede zwischen Ost und West geht auf unterschiedliche Lebensverhältnisse zurück. Beispielsweise arbeiten im Westen Deutschlands noch immer mehr Frauen in Teilzeit, es gibt dort mehr Menschen mit Migrationshintergrund und mehr religiös geprägte Menschen als im Osten. All diese Eigenschaften beeinflussen die generelle Einstellung zu traditionellen Rollenbildern stark. Aber auch wenn diese Unterschiede berücksichtigt werden, unterscheiden sich vor allem ältere Ost- und Westdeutsche in ihren Einstellungen zur Müttererwerbstätigkeit.

„Die Ost-West-Unterschiede haben sich in einem nur sehr kurzen Zeitfenster von knapp 10 Jahren sichtbar reduziert. Vor allem in Westdeutschland lassen sich deutliche Veränderungen in den vormals eher traditionellen Rollenbildern beobachten. Diese Einstellungsveränderungen, insbesondere im Hinblick auf die Berufstätigkeit von Frauen, hängen sicherlich auch mit dem starken Ausbau der Betreuungsmöglichkeiten für Kinder unter drei Jahren in Westdeutschland zusammen“, so Gundula Zoch.

Der vollständige Bericht ist auf www.lifbi.de/Transferberichte zu finden.

Über das Leibniz-Institut für Bildungsverläufe (LIfBi)

Das Leibniz-Institut für Bildungsverläufe (LIfBi) an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg untersucht Bildungsprozesse von der Geburt bis ins hohe Erwachsenenalter. Um die bildungswissenschaftliche Längsschnittforschung in Deutschland zu fördern, stellt das LIfBi grundlegende, überregional und international bedeutsame, forschungsbasierte Infrastrukturen für die empirische Bildungsforschung zur Verfügung.

Kern des Instituts ist das Nationale Bildungspanel (NEPS), das am LIfBi beheimatet ist und die Expertise eines deutschlandweiten, interdisziplinären Exzellenznetzwerks vereint. Weitere Großprojekte, an denen das LIfBi beteiligt oder führend ist, sind die Geflüchtetenstudie ReGES, das schulbezogene Inklusionsprojekt INSIDE, die Förderstudie für benachteiligte Kinder und Familien BRISE oder die regionale Studie zu Bildung in Oberfranken BiLO. Grundlage dafür sind die eigenen Forschungs- und Entwicklungsarbeiten, insbesondere die fundierte Instrumenten- und Methodenentwicklung für längsschnittliche Bildungsstudien, von der auch andere Infrastruktureinrichtungen und -projekte profitieren.

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