P. Heggarty et al., Science (2023)

Vermuteter Ursprung und Verbreitung der indogermanischen Sprachen: Die Sprachfamilie begann sich vor etwa 8.100 Jahren von ihrer Urheimat unmittelbar südlich des Kaukasus ausgehend zu verzweigen. Eine Migrationswelle erreichte vor etwa 7.000 Jahren die pontisch-kaspische sowie die Waldsteppe, von wo aus vor etwa 5.000 Jahren weitere Migrationen in weitreichende Teile Europas erfolgten.

Indoeuropäische Ursprache wahrscheinlich älter als gedacht

Forscher*innen vermuten, dass das Urindoeuropäische bereits vor 8.100 Jahren entstanden ist und seine Urheimat südlich des Kaukasus liegt.

Was hat die deutsche Sprache mit dem Nepalesischen in Nepal, mit Pashto in Afghanistan, oder mit dem Gaelischen in Irland gemeinsam? Auf den ersten Blick nicht allzu viel. Aber bereits vor mehr als hundert Jahren hat die historische Sprachwissenschaft gezeigt, dass diese Sprachen zusammen mit hunderten weiteren auf der eurasischen Landmasse gesprochenen Sprachen aus einer gemeinsamen Ursprache hervorgegangen sind: der sogenannten Indoeuropäischen Sprache. Viel später, im Zuge der Kolonialisierung, erreichten Sprachen wie Spanisch, Portugiesisch und Englisch eine globale Ausbreitung; inzwischen spricht fast die Hälfte der Menschheit eine aus der indoeuropäischen Sprachfamilie stammende Sprache.

Mittlerweile gibt es einen breiten Konsens darüber, welche Sprachen zur indoeuropäischen Sprachfamilie gezählt werden können, doch wesentliche Fragen zur vorgeschichtlichen Entwicklung und Ausbreitung des Indoeuropäischen liegen nach wie vor im Dunkeln: Wo und wann hat sich die Ursprache herausgebildet und auf welchen Wegen haben die ersten Sprachgemeinschaften das enorme Verbreitungsgebiet zwischen Indien und Nordwesteuropa besiedelt? 

Forscher*innen werteten 161 Sprachen aus

Neue Erkenntnisse zu diesen Fragen liefert nun ein in der Wissenschaftszeitschrift Science erschienener Aufsatz, in dem ein international zusammengesetztes Autorenteam aus der Linguistik und Genetik Daten aus 161 Sprachen ausgewertet hat. Die mehrjährige Forschungsarbeit um den Erstautor Paul Heggarty wurde hauptsächlich am Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig durchgeführt. Das zentrale Ergebnis: Das Indoeuropäische hat sich nach dem neuen Erkenntnisstand vermutlich zuerst südlich des Kaukasus im heutigen Ostanatolien herausgebildet und von dort weiter ausgebreitet, wobei einige Gruppen zunächst nördlich über die Steppe ihre Ausbreitung begonnen haben könnten. Zudem gehen die Wissenschaftler*innen davon aus, dass sich die indoeuropäische Ursprache bereits vor rund 8.100 Jahren formiert hat. Die Ergebnisse sprechen gegen die frühere sogenannte „Steppen-Hypothese“, nach der das Urindoeuropäische vor etwa 6.000 Jahren in der pontisch-kaspischen Steppe entstanden sei. Die aktuellen Ergebnisse fußen auf einem eigens für das Projekt neu entwickelten Verfahren zur Sprachdatenerhebung. Dabei wurden neben heute gesprochenen auch ältere, bereits ausgestorbene indoeuropäische Sprachen wie das Altgriechische oder Altpersische einbezogen. Die Daten werden durch ein aufwändiges statistisches Verfahren, eine sogenannte Bayesʼsche phylogenetische Analyse, ausgewertet, um die plausibelste Chronologie zu generieren.  Durch das neue Verfahren sowie die Einbindung der älteren Sprachstufen konnten einige Ungenauigkeiten früherer Studien überwunden und die Entwicklungschronologie verfeinert werden.

Internationale Zusammenarbeit dank eines Alexander-von-Humboldt-Fellowships

Am Projekt beteiligt ist auch der Bamberger Linguist Geoffrey Haig, Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Sprachwissenschaft am Bamberger Institut für Orientalistik, der, zusammen mit seinem kanadischen Kollegen Erik Anonby, Professor für Linguistik an der Carleton University in Ottawa, für Daten aus den neuiranischen Sprachen verantwortlich war. Ihre gemeinsame Arbeit fand im Rahmen eines Alexander-von-Humboldt-Fellowships statt, das Anonby 2016 bis 2017 einen Aufenthalt in Bamberg ermöglichte. In diesem Zeitraum hat der Bamberger Linguist Haig mit seinem Team zu verschiedenen neuiranischen Sprachen, die eine bedeutende Untergruppe innerhalb des Indoeuropäischen bilden, Datenerhebungen konzipiert und diese in unterschiedlichen Feldforschungskontexten durchgeführt, unter anderem zu Balochi, Kurdisch, Mazanderani und Tati. „Mit der Veröffentlichung der Ergebnisse findet nun die mehrjährige Forschungsarbeit einen vorläufigen Abschluss, wobei gerade die iranischen Sprachen ein weites Feld für künftige Forschungen auf diesem Gebiet darstellen“, erläutert Haig. Aus seiner Sicht bestätigt die Studie, dass die klassischen Fragen der historischen Linguistik wie beispielsweise das Rätsel um die Urheimat der Indoeuropäischen Sprache nur interdisziplinär unter Beteiligung verschiedener Forschungsbereiche wie der Linguistik, der Evolutionsbiologie, der Genetik und der Paläoanthropologie und unter Einsatz von statistischer Modellierung angemessen zu lösen sind.

Der Aufsatz in der Wissenschaftszeitschrift Science ist zu finden unter: Heggarty, Paul, et al. 2023. Language trees with sampled ancestors support a hybrid model for the origin of Indo-European languages. Science 381. https://www.science.org/doi/10.1126/science.abg0818 

Bild:(1.6 MB)  Vermuteter Ursprung und Verbreitung der indogermanischen Sprachen: Die Sprachfamilie begann sich vor etwa 8.100 Jahren von ihrer Urheimat unmittelbar südlich des Kaukasus ausgehend zu verzweigen. Eine Migrationswelle erreichte vor etwa 7.000 Jahren die pontisch-kaspische sowie die Waldsteppe, von wo aus vor etwa 5.000 Jahren weitere Migrationen in weitreichende Teile Europas erfolgten.

Quelle: P. Heggarty et al., Science (2023)

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