- Patricia Foertsch

Tausendundeine Nacht an der Newa

Exkursion von Bamberger Orientalisten nach St. Petersburg

Was hat St. Petersburg mit dem Orient zu tun? Sehr viel: islamische Keramiken, das Gold der Skythen, Fragmente aus dem Koran - für Orientalisten ist die Stadt an der Newa eine Art Mekka, schwärmen Bamberger Studierende.

Langsam gibt Herr Schkoda den Zahlencode ein. Als die rote Warnleuchte nicht ausgeht, runzelt er die Stirn und gibt den Code erneut ein. Jetzt öffnen sich die alten Holztüren und geben den Blick frei - auf Gold in allen Formen und Größen. Vitrinen voll mit Ohrringen und Diademen, Zeptern und Vasen, teilweise noch mit Edelsteinen verziert. Das Gold der Skythen verschlägt mir den Atem, und für einen Augenblick denke ich fast, ich stehe in der Höhle Ali Babas.

"Was hat St. Petersburg mit dem Orient zu tun?"

Tatsächliche aber befinde ich mich ein paar tausend Kilometer zu weit nördlich für orientalische Märchen - in St. Petersburg in der Eremitage, dem Winterpalais der russischen Zaren, direkt an der Newa. Mit einer Gruppe von Bamberger Studierenden, Dozenten und Professoren unter der Führung von Prof. Dr. Lutz Rzehak bin ich dort für sieben Tage, vom 7. bis 24. November, auf Exkursion.

"Warum macht ihr eine Exkursion nach St. Petersburg? Was hat das mit dem Orient zu tun?", hat mich mein Bruder zwei Tage vor dem Flug gefragt. Leicht ist mir die Antwort nicht gefallen - auf der Vorbesprechung waren die Forschungsinstitute aufgezählt worden, und die Stadt selbst sollte natürlich toll sein. Vor Ort bestätigt sich schnell, dass das Skythengold in der Eremitage nicht der einzige Grund ist, um als Orientalist nach St. Petersburg zu kommen. Ausstellungen über das Leben der Völker des Kaukasus und Zentralasiens, sassanidische Silberteller, islamische Keramiken oder alte Manuskripte ? in dieser Stadt gibt es märchenhafte Schätze für uns zu entdecken.

Im Institut für Orientalistik, das in einem Palais gebaut für einen Zarensohn untergebracht ist, erwartet uns Professor Akimuschkin in seinem "Großraumbüro" - dem ehemaligen Salon. Er führt uns in das Herz des Instituts, in die riesige Bibliothek mit Tausenden von Originalmanuskripten nicht nur aus dem Nahen Osten, sondern auch aus dem zentralasiatischen Raum. Staunend gehe ich an den Vitrinen vorbei, in denen uralte Koranfragmente liegen, betrachte die prachtvollen Miniaturmalereien und die Kalligraphie von Büchern, die Hunderte von Jahren alt sind. Den Erklärungen lausche ich nur mit einem Ohr, zu sehr versuche ich, das Arabisch auf den Seiten zu entziffern und höre am Raunen um mich, dass auch einige andere der Versuchung nicht widerstehen können.

Forscher mit Leib und Seele

Auf dem Rückweg werfe ich noch einmal einen Blick in das "Großraumbüro". Zwischen überquellenden Tischen und Regalen, ramponierten Stühlen und Sesseln arbeitet eine Gruppe junger Wissenschaftler - zu einem wahren Hungerlohn, wie ich erfahre. Trotzdem gebe es Nachwuchs, meint Professor Akimuschkin, die ewigen Idealisten, die zum Glück nicht aussterben. Sie würden trotz der schlechten Bezahlung mit Leib und Seele forschen.

Dass sich hier nicht nur Wissenschaftler noch voll und ganz engagieren, erfahre ich von Wladimir und Maxim, Studenten der Afrikanistik und Japanologie an der Orientalistik-Fakultät. Sie studieren nicht nur 40 Semesterwochenstunden und arbeiten dabei noch nebenbei, um ihr Studium zu finanzieren, sondern organisieren mit Kommilitonen aus St. Petersburg und Moskau Kongresse für Studierende der Orientalistik.

Ägyptische Sphingen an der Newa

"Wir sorgen für die freie Unterbringung, organisieren das Essen und die Räume für die Studenten, die dort diskutieren, Referate halten oder Abschlussarbeiten vorstellen", meint Wladimir. Auf meine Frage, welche Professoren und Ämter der Universität sie dabei unterstützen, schaut er mich verständnislos an. "Das organisieren wir alles selbst", sagt er. Ob wir denn so etwas nicht täten? Meine Antwort fällt länger aus, aber ich merke, dass sie die beiden Russen nicht zufrieden stellt. Wenn wir mehr Geld und mehr Zeit haben, müsste uns das Engagement für unser Studienfach doch leicht fallen...

Es ist Abend in St. Petersburg, und ich laufe die Newa entlang. Plötzlich fallen Stufen zum Wasser ab. Rechts und links der Treppe erheben sich zwei Sphingen. Die Statuen sind aus Ägypten. Ich laufe zu der einen Sphinx unter diesem weiten, kalten Himmel und schaue auf die Hieroglyphen. "Das hier ist vermutlich die nördlichste Sphinx die es gibt, das ist fast schon wie aus 'Tausendundeine Nacht' ", schießt es mir durch den Kopf. Tausendundeine Nacht an der Newa.