Sabine Vogt (Foto: privat)

Ganzheitliches Arbeiten

Gestatten, Sabine Vogt, Klassische Philologin!

Worin besteht Ihr Selbstverständnis als Professorin?

Charakteristisch für mich und meine Arbeit ist, dass ich sowohl bei meinen Forschungsprojekten als auch in der Lehre versuche ganzheitlich zu arbeiten. Konkret bedeutet dies, dass ich mich als klassische Philologin zugleich auch als Altertumswissenschaftlerin verstehe. Das breite Spektrum an Methoden, Disziplinen und Gegenständen, das dieses Verständnis mit sich bringt, habe ich immer als Chance und als etwas Schönes begriffen. Deswegen nähere ich mich der griechischen Sprache und Literatur gerne und so oft es geht kulturwissenschaftlich.

Wie gehen Sie dabei vor?

Mir ist es wichtig, mich über die Texte an das Leben, an die Kultur, an die Gesellschaft heranzuarbeiten. Es ist mir ein Anliegen zu vermitteln, dass die Gegenstände, die wir in den Altertumswissenschaften behandeln, immer auch etwas mit uns selbst zu tun haben. Natürlich sind wir Jahrtausende von der Antike, auch der griechischen Antike getrennt, dennoch liegen dort viele unserer eigenen europäischen Wurzeln und Denkmuster. Wenn es gelingt, diese Verbindung zu sehen, landet man fast zwangsläufig bei der Frage, ob und was man beispielsweise von der Verhaltensweise eines homerischen Helden oder aus der aristotelischen Moralphilosophie in das eigene Leben übernehmen kann oder wo vielleicht auch ganz große Differenzen zu sehen sind. Auf diese Weise können eigene Positionen geklärt und entwickelt werden.

Warum sollte man heute Ihr Fach studieren?

Die meisten meiner Studierenden wollen Latein- und Griechischlehrer werden – und da sind die Berufsaussichten, vor allem in Latein, immer noch recht gut: Lehrer zu werden, in einem spannenden Fach, das uns viel über uns und unsere eigene Kultur erzählt, ist nicht der schlechteste Beruf. Zum anderen bin ich der Meinung, dass man gerade in Zeiten, in denen es keine Jobgarantien mehr gibt, bei der Wahl seines Studiums dem folgen sollte, was man am liebsten mag, was innere Beteiligung und Begeisterung weckt. Nur dann kann man gut sein, und nur, wenn man gut ist, kann man überzeugen und auch von sich überzeugen.

Man schreibt einem geisteswissenschaftlichen Studium ja immer zu, dass es ideal ist, um sich Softskills zu erwerben. Trifft das auf die Klassische Philologie auch zu?

Ja, das stimmt. Da wir nicht wie die modernen Sprachen mit Muttersprachlern kommunizieren können, müssen wir uns das Sprachverständnis aus dem Text erarbeiten. Das zwingt zum genauen Hinschauen, da sich syntaktische Zusammenhänge unter Umständen durch einen einzigen Buchstaben oder ein Wort erschließen. Die Studierenden erwerben sich bei der Beschäftigung mit den alten Sprachen also die Fähigkeit, gründlich und akribisch zu arbeiten, logisch zu denken und sich ein hohes Maß an Konstruktionsvermögen anzueignen. Das sind Eigenschaften, die ihnen in allen Lebens- und Berufssituationen zugutekommen können.

Wie unterstützen Sie die Studierenden, die nicht auf Lehramt studieren? Denn in diesem Fall sind die beruflichen Aussichten vermutlich nicht so gut.

Natürlich schaffen die unsicheren beruflichen Perspektiven auch Zukunftsängste und bauen Druck auf. Gerade weil die Gräzistik ein Fach ist, das nicht von Studenten überlaufen ist, und weil ich meine Studierenden dadurch besser kennen lernen kann, empfinde ich es als meine Verantwortung, sie in dieser Hinsicht zu unterstützen. Ich kann keinen Job versprechen, aber ich kann versuchen, das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und die eigenen Entscheidungen zu fördern. Durchaus auch in Gesprächen, in denen wir zum Beispiel herauszufinden versuchen, was persönliche Stärken und Schwächen sind.

Haben Sie ein besonders wichtiges, schönes oder spannendes Forschungsprojekt, über das Sie gerne berichten würden?

Ich arbeite seit längerem an der Edition eines ungewöhnlichen Medizintextes: Heilmittelrezepturen eines Arztes namens Servilius Damokrates aus dem 1. Jahrhundert n. Chr., die er in griechischen jambischen Versen verfasst hat. Das Spannende daran ist, dass ich mir mein Material erst erschließen muss, bevor ich es interpretieren kann, da es dazu noch keine textkritische Ausgabe und nur wenig Literatur gibt.

Aber den Arzt gab es wirklich?

Ja. Allerdings kennen wir ihn nur, weil ihn der hundert Jahre später lebende Arzt und Medizinschriftsteller Galen ausführlich zitiert hat. Ich erforsche, warum dieser Arzt in einem so außergewöhnlichen Versmaß Rezepte verfasst hat – das übliche Versmaß wäre der Hexameter – und für welches Publikum er geschrieben hat.

Wenn man klassische Philologie hört, denkt man ja gerne an Forschung, die man alleine irgendwo im Archiv oder in der Bibliothek betreibt. Aber auch in diesem Fach gibt es doch bestimmt Kooperationsprojekte, oder?

Aber sicher. In diesem Sommersemester habe ich zum Beispiel zusammen mit einem Kollegen aus der Klassischen Archäologie, Professor Andreas Grüner aus Erlangen, ein Seminar gehalten. Dabei ging es um das Zusammenwirken von Texten und Bildern und die Hermeneutik, mit der man sich beides auf unterschiedliche Weise erschließt. Wir stellen uns die Frage, wie weit die Erzählweise von Wandmalereien in römischen Villen und die von literarischen Beschreibungen von Räumen, Landschaften und Mythen übereinstimmen oder sich komplementär ergänzen – immerhin richten sich beide an genau dasselbe Publikum.

Sie interessieren sich auch sehr für Homer und haben dazu auch eine Vorlesung gehalten...

Nicht nur das. Auch in meiner Antrittsvorlesung habe ich mich mit „Darstellung und Selbstdarstellung“ am Beispiel von Homer befasst, und im größeren Zusammenhang von Porträt-Darstellungen von Dichtern und Denkern würde ich gern in Zukunft einen weiteren Forschungsschwerpunkt legen. Dazu stehe ich mit einigen Fachkollegen in vorbereitenden Gesprächen. An dieser Stelle würde ich aber gerne noch etwas erwähnen, was kein Forschungsprojekt ist. 

Bitte, sehr gerne.

Gemeinsam mit dem Griechischlehrer Klaus Furthmüller am Kaiser-Heinrich-Gymnasium und mit Unterstützung durch andere Bamberger Dozenten möchte ich das Interesse von Schülerinnen und Schülern an altertumswissenschaftlichen Fragestellungen wecken und fördern. Zum Beispiel durch Thementage, bei denen sie die Gelegenheit haben, sich mit uns Texte, Gegenstände oder Objekte aus der Antike anzuschauen. Wir haben das Angebot „Bamberger Akademie“ genannt und freuen uns darauf, im September zum ersten Mal ein solches Blockseminar zu veranstalten. Als Thema haben wir das griechische Drama gewählt, im Zentrum steht die Orestie des Aischylos.

Was sehen Sie als den größten Unterschied zwischen Ihrer Studienzeit und der heutigen Situation der Studierenden?

Meine Mitstudierenden und ich hatten viel größere Spielräume, uns auszuprobieren, als das unter den Anforderungen der heutigen Studienordnungen der Fall ist. Wir konnten Einblicke in andere Fächer und Methoden gewinnen und eigene Studienschwerpunkte legen. Und wir konnten auch zeitweise außeruniversitäre Aktivitäten in den Vordergrund stellen. In solchen Freiräumen findet persönliche Reifung und Bildung statt. Deswegen würde ich sie den heutigen Studierenden gerne in deutlich stärkerem Maße wünschen, als es die modularisierten Studiengänge erlauben.

Gibt es eine Wissenschaftlerin oder einen Wissenschaftler, die/der Sie besonders beeinflusst hat?

Mehr als einzelne Persönlichkeiten haben mich zwei unterschiedliche Wissenschaftskulturen geprägt. Im Grundstudium in München habe ich eine gründliche Sprachausbildung in Latein und Griechisch erhalten und umfangreiche Literaturkenntnisse erworben. Nach der Zwischenprüfung konnte ich ein Jahr in Oxford studieren. Da wurden mir die Augen geöffnet, welch weite Horizonte sich durch die Methoden und Gegenstände der benachbarten Disziplinen erschließen lassen.

Inwiefern hat Sie dieses Erlebnis geprägt oder vielleicht auch verändert?

Ich ging als klassische Philologin nach Oxford und kehrte als Altertumswissenschaftlerin zurück. Dort habe ich gelernt, dass man nicht nur ein Sprach- oder Literaturwissenschaftler einer alten Sprache ist, sondern tatsächlich die gesamte Kultur und die gesamte Welt dieser Zeit im Auge haben muss, um diese eine Literatur und Sprache auch tatsächlich zu verstehen.

Verraten Sie uns noch etwas über Sie selbst? Welche Berufe wären für Sie zum Beispiel noch in Frage gekommen und warum?

Schon als Kind haben mich Bücher fasziniert, nicht nur wegen ihrer Inhalte, sondern auch als physische Objekte, als Produkte der vereinten Bemühungen von Typographen, Druckern, Buchbindern, Coverdesignern. Insofern zeichnete es sich früh ab, dass mein Beruf mit Sprache und Büchern zu tun haben würde. Ich habe das große Glück, dass ich einen anderen Buch-Beruf bereits ausüben konnte: In den letzten zehn Jahre war ich als Lektorin im Verlag De Gruyter dafür verantwortlich, das altertumswissenschaftliche Verlagsprogramm zu pflegen und auszubauen.

Hat Ihnen diese Tätigkeit für Ihre jetzige Arbeit als Wissenschaftlerin geholfen?

Diese Tätigkeit hat mir viel Freude gemacht, und ich bin sehr froh, diese Perspektive des „Büchermachens“ praktizieren zu dürfen – nicht zuletzt, weil es aus meiner Sicht gleichermaßen wichtig ist, sich als Wissenschaftler in die geistigen Höhen von Spezialfragen zu begeben, zugleich aber mit den Füßen auf dem Boden der Realität, auch der ökonomischen Realität, zu stehen. Dadurch, dass ich auch während meiner Verlagszeit akademisch gelehrt und geforscht habe, hatte ich immer auch die Doppelperspektive, wie man einerseits wissenschaftliche Inhalte möglichst professionell verbreitet, und wie man sie rezipiert und damit arbeitet. Gerade in diesen Jahrzehnten des Umbruchs von der „Gutenberg-Welt“ des gedruckten Buches in die zusätzliche digitale Welt ist es ungemein spannend, beide Perspektiven zu kennen und zu gestalten.

In welchem Land könnten Sie sich vorstellen zu leben?

Großbritannien. Meine zwei Studienjahre in Oxford und Cambridge haben mich für den besonderen Charme des Landes und seiner Leute gewonnen und auch für seine Literatur und Geschichte. An vielen Briten habe ich Bescheidenheit und eine ironische Distanz zu sich selbst und ihrer eigenen Bedeutung kennengelernt. Davon könnte auch unsere deutsche Wissenschaftskultur profitieren.

Was schätzen Sie an Ihren Freunden am meisten?

Dass wir Erlebnisse und Erinnerungen auf verschiedenen Strecken unseres Lebenswegs geteilt haben. Daran können wir jederzeit anknüpfen, wenn wir einmal längere Zeit nicht so viel Kontakt hatten. Dadurch begegnen wir uns immer wieder neu. Aber die gemeinsame Wellenlänge bleibt erhalten und verstärkt sich sogar.

Welche Fehler verzeihen Sie am ehesten?

Fehler aus Dummheit oder Unkenntnis und Fehler, die jemand einsieht, zugibt und nicht wiederholt. Da halte ich es ganz mit dem platonischen Sokrates: Wer nicht weiß, was gut ist, mag falsch handeln. Wer jedoch weiß, was gut ist, der wird auch entsprechend gut handeln.

Haben Sie schon einen Lieblingsplatz oder eine Lieblingslokalität in Bamberg?

Meine ehemaligen Kollegen aus dem Verlag haben mir zum Abschied ein Abonnement für die Bamberger Symphoniker geschenkt, und dafür bin ich ihnen dreifach dankbar: Weil ich dadurch schon vor der Ankunft in Bamberg sechs feste Verabredungen fern von meinem Schreibtisch oder der Bibliothek im Kalender stehen hatte; weil die Symphoniker ein ganz phantastisches Orchester sind, und weil mich auch die Konzerthalle sowohl architektonisch als auch akustisch ganz außerordentlich beeindruckt.

Waren Sie schon auf einem Bamberger „Keller“?

Kürzlich war ich zum ersten Mal auf dem Spezi-Keller, und der Besuch dort hat auf jeden Fall Lust auf mehr gemacht. Nachdem ich die letzten zehn Jahre in Berlin gelebt habe, wo es überwiegend flach ist, geht mir beim Anblick der Silhouette der Berg-Stadt von der Insel aus und beim Blick über die Dächer Bambergs von einem der Hügel aus jedes Mal das Herz auf.

Hinweis

Dieses Interview führte Tanja Eisenach für die Pressestelle der Universität Bamberg. Es wurde am 4. November 2013 veröffentlicht.

Bei Fragen oder Bilderwünschen kontaktieren Sie die Pressestelle bitte unter der Mailadresse medien(at)uni-bamberg.de oder Tel: 0951-863 1023.