Präsident Godehard Ruppert eröffnete den Lesemarathon (Fotos: Pressestelle).

Vizepräsidentin Anna Susanne Steinweg las aus "Mein Kampf" von George Tabori.

Bibliotheksdirektor Fabian Franke freute sich über viele Besucher.

Das Themenpektrum des Lesemarathons umfasste auch englischsprachige Bücher.

- Elisabeth von Sydow

Deutschland liest… Bamberg erst recht

Universität lockte mit Lesemarathon der besonderen Art

Im Rahmen der bundesweiten Aktionswoche „Deutschland liest. Treffpunkt Bibliothek“ fand am 5. November der 24-Stunden-Lesemarathon „Die Otto-Friedrich-Universität liest!“ statt. 48 Leser, darunter Professorinnen und Professoren, Studentinnen und Studenten sowie Universitätsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter, trugen je eine halbe Stunde lang aus ihren Lieblingswerken vor. Den Auftakt gestaltete Präsident Prof. Dr. Dr. habil. Godehard Ruppert mit „Schischyphusch“ von Wolfgang Borchert.

„Borchert ist sehr schwer zu lesen“, meinte Ruppert. „Schischyphusch“ gehöre trotzdem zu seinen Lieblingserzählungen, da diese Schrift für ihn ein sehr klassischer Erzähltext sei. „Diese Geschichte ist eine brutale Ansammlung von Adjektiven, aber genau deswegen liebe ich sie“, ergänzte Ruppert. Ihr Protagonist ist ein einbeiniger und lispelnder Kellner, der mit seinen Äußerungen wie „Wasch ischt hier? Schprachfehler scheit Geburt! Bitteschön!“ oder „Auf Wiedersehen Schischyphusch, bisch näschten Schonntag, du dummesch Luder!“ immer wieder für Erheiterung sorgte – vor allem aufgrund Rupperts grandios lispelnden Vortrags.

Hitler, du denkst zu viel, hauptsächlich Blödsinn

„Schischyphusch“ hat mit viel Herz und Humor den Lesemarathon gelungen eingeführt. Abgelöst wurde diese amüsante Kurzgeschichte durch die rabenschwarze Satire „Mein Kampf“, gelesen von Vizepräsidentin Prof. Dr. Anna Susanne Steinweg. Der in einem Asylheim lebende Schlomo trifft in George Taboris Werk auf den bettelarmen Studenten Adolf Hitler, der unbedingt die Kunstakademie besuchen will. Diese Situation führt zu grotesken Szenen und Gesprächen zwischen den Protagonisten. Befremdlich und komisch zugleich wirkte ein künstlerisch begabter Hitler, dessen Kunstwerke mit den bedeutungstragenden Titeln „Mais im Zwielicht“, „Mein Hund im Zwielicht“ und „Meine Mutter beim Erbsenpulen im Zwielicht“ das Publikum erheiterten. Ernstere und düstere Töne schlug Prof. Dr. Andrea Bartl an, die aus Ian McEwans „Der Zementgarten“ las.

Auf dem Programm standen aber nicht nur Texte von zeitgenössischen Autoren, auch Werke aus  vergangenen Epochen waren präsent. Für Abwechslung sorgten zudem die unterschiedlichen Textgattungen. So wurde unter anderem aus Romanen, Kurzgeschichten, Erzählungen oder Dramen vorgetragen – und dies zum Teil im fremdsprachlichen Original wie englisch oder mittelhochdeutsch. „Ein Höhepunkt war sicher die fast komödiantisch zu nennende Lesung von Prof. Dr. Friedhelm Marx aus „Uniklinik“ von Jörg Uwe Sauer, die sowohl beim Lesenden als auch bei den Zuhörenden zu massiven Lachanfällen geführt hat“, berichtete Dr. Fabian Franke, Direktor der Universitätsbibliothek Bamberg und Hauptorganisator des Lesemarathons. „Auch mit dem Zuspruch am Abend – teilweise über 50 Zuhörer – waren wir sehr zufrieden.“

Spannend, fies und besinnlich

In den Marathon wurde außerdem die Lesung von Helmut Krausser integriert, eine Veranstaltung aus der Reihe „Literatur in der Universität“. Krausser stellte seinen neuen Roman „Einsamkeit und Sex und Mitleid“ vor, der unter anderem als „das witzigste deutsche Buch dieses Jahres“ (Daniel Kehlmann, FAS) bezeichnet wird. „Einsamkeit und Sex und Mitleid“ ist ein Roman mit 36 Protagonisten und vielen Geschichten, die sich immer mehr ineinander verweben und zum Schluss zu einem Ganzen zusammen wachsen.

Einen Bruchteil der Charaktere hat Krausser an jenem Abend dem Publikum vorgestellt. So haben die Zuhörer einen unzufriedenen und notorisch fluchenden zwangspensionierten Lateinlehrer kennen gelernt, der ein „geringes, wirklich ganz geringes Alkoholproblem“ hat. Des Weiteren wurde der zu Schweißfüßen neigende und daher nur Sneakers tragende Dr. Stern eingeführt, der sich im Zug nach Berlin mit einer „Vollidiotenmutter von einem Arschlochkind“ anlegt. Und auch der hochreligiös erzogene und sexuell noch unerfahrene Johannes, der sich wünscht, dass seine Freundin beim ersten Sex ohnmächtig wird, damit sie nichts mitbekomme, sorgte für Lacher, die dem Publikum die Tränen in die Augen schießen ließen. Die spannende, fiese und oftmals auch ordinäre Sprache Kraussers hat großen Anklang beim Publikum gefunden und für große Begeisterung gesorgt. „Einsamkeit und Sex und Mitleid“ konnte die Lesenacht um ein amüsantes und bitterböses Werk bereichern.